Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittener Vortrag Russland-Expertin widerlegt Gabriele Krone-Schmalz
Wenn es um Russlands Angriff auf die Ukraine geht, hat Gabriele Krone-Schmalz oft ihre ganz eigenen Ansichten. Eine Wissenschaftlerin zerlegt nun ihre Thesen.
Ein ausführlicher Vortrag von Gabriele Krone-Schmalz an der VHS Reutlingen über Russland und die Ukraine hatte Ende 2022 für viel Wirbel gesorgt. Wissenschaftler waren entsetzt über den Inhalt des Vortrages, warfen der selbst ernannten Russland-Expertin Kreml-Propaganda vor.
Nun hat Osteuropa-Expertin Franziska Davies von der Ludwig-Maximilians-Universität München einen Aufsatz vorgelegt, in dem sie die Thesen der angeblichen Russlandexpertin wissenschaftlich überprüft – und den Aussagen der ehemaligen ARD-Korrespondentin widerspricht. Ihr Fazit gegenüber t-online: "Der Vortrag beruht auf Verdrehungen, Halbwahrheiten, Auslassungen von zentralen Fakten bis hin zur Desinformation."
Schritt für Schritt arbeitet sie sechs Kritikpunkte heraus: "Halbwahrheiten und Falschaussagen", "Koloniale Arroganz und negative Stereotype", "Manipulativer Gebrauch von Quellen", "Rosinenpicken und Ausblendung von zentralen Fakten" sowie "Täter-Opfer-Umkehr" und "Scheinlösungen und falsche Gegensätze".
Krone-Schmalz macht es sich zu einfach
Empirisch und methodisch seien Frau Krone-Schmalz' Einlassungen unhaltbar. Mit der Behauptung, "der Westen" sei schuld am russischen Angriff auf die Ukraine, er habe Russlands Interessen ignoriert, die Nato erweitert und Russland zur Reaktion genötigt, mache es sich Krone-Schmalz zu einfach, so Davies: "Diese These kann sich nicht auf Fakten stützen".
Diese Behauptung hat Krone-Schmalz nicht nur in ihrem Vortrag verbreitet, sondern auch schon in ihren Büchern und bei früheren Interviews aufgestellt. So sei im gesamten Quellenapparat ihres Bestsellers "Eiszeit" nur eine einzige russischsprachige Quelle zu finden: "Vor allem ignoriert die 'Expertin' die einschlägige internationale Literatur über Putin und den Putinismus komplett", so Davies.
Wichtige Aspekte bleiben unerwähnt
Auch im Buch "Russland verstehen" befänden sich zweifelhafte Zitationen, sodass laut Davies zumindest wichtige Aspekte unerwähnt blieben. Etwa wenn es um die Behauptung geht, der Krieg im Donbas sei ein "innerukrainischer Bürgerkrieg": "Krone-Schmalz unterschlägt die (...) Informationen, dass ethnische Russen aus Russland die meisten Schlüsselpositionen in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk einnehmen und es viele Hinweise darauf gibt, dass Russland direkt militärisch involviert ist."
Diese Informationen befänden sich auf derselben Seite, die Krone-Schmalz zitiere, oder auf der folgenden. "Es liegt nahe, dass die Autorin der Leserschaft bewusst die Stellen vorenthält, die zeigen würden, dass ihre Darstellung und Interpretation des Krieges im Donbas unhaltbar ist", schreibt Davies.
Lesart des Kremls wird unreflektiert übernommen
Richtig sei zwar, so Davies, "dass Putin und sein Regime die Ukraine nicht in der Nato sehen wollten". Dies bedeute jedoch "keineswegs, dass der Grund für Russlands Angriff auf die Ukraine deshalb erfolgt sei, um Russlands (legitime) 'Sicherheitsinteressen' zu wahren und eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu unterbinden", schreibt Davies in Bezug auf die "Notwehr-These", die Krone-Schmalz immer wieder in Bezug auf die Aggressionen Russlands postuliert. "Dies glauben zu machen, läuft auf eine unreflektierte Übernahme der Lesart des Kremls hinaus."
So habe Bundeskanzler Olaf Scholz selbst wenige Tage vor dem Überfall auf die Ukraine noch deutlich gemacht, "dass eine Aufnahme der Ukraine in die Nato auf absehbare Zeit kein Thema" sei. "Spätestens seit dem 24. Februar 2022 müsste eigentlich jedem klar sein, dass Russlands Elite sich kaum von einem Land bedroht fühlen konnte, von dem Putin und seine Entourage (...) annahmen, es in wenigen Tagen unterwerfen zu können", schreibt Davies.
Krone-Schmalz an Opfern nicht interessiert
Die brutale, völkerrechtswidrige Form der Kriegsführung Russlands findet bei Gabriele Krone-Schmalz kaum Erwähnung. Stattdessen betreibe sie Täter-Opfer-Umkehr, etwa wenn sie bedauere, dass den Russen der Angriff auf Aleppo "noch lange nachhängen" werde.
Auch am Schicksal der ukrainischen Opfer scheine Krone-Schmalz nicht interessiert zu sein. "Frau Krone-Schmalz' Selbstdarstellung als unaufgeregte und sachliche Analytikerin ist ein wichtiger Teil des Erfolgs bei ihrem Publikum. Das ist umso erstaunlicher, als ihre Melange aus Auslassungen, Manipulation und Falschaussagen viel über ihren Blick auf die Opfer der russischen Politik aussagt, die ermordet, gefoltert, unterdrückt und verschleppt werden."
Auch die von Gabriele Krone-Schmalz angebotenen Lösungsvorschläge seien keine: "Waffenlieferungen, welche die Ukraine zu ihrer Selbstverteidigung wünscht und benötigt, findet Krone-Schmalz 'schlimm'. Stattdessen empfiehlt sie 'Geheimdiplomatie' und 'Verhandlungen'." Dem widerspricht Davies mit Nachdruck: "Welche Verhandlungsgrundlage kann es geben, wenn Russland erklärtermaßen die Ukraine als Staat und Nation vernichten will und nur die totale Niederlage der Ukraine als einen Ausweg aus diesem Krieg akzeptiert?"
Am Ende ist ihr Fazit eindeutig: "Mit Aufklärung und empirisch fundierter Analyse nach den Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens hat das Wirken von Frau Krone-Schmalz nichts zu tun", schreibt Davies. "Es handelt sich um Desinformation."
- zeitschrift-osteuropa.de: "Desinformationsexpertin"
- gea.de: "Reutlinger VHS-Leiter kontert die Kritik am Vortrag von Gabriele Krone-Schmalz" (kostenpflichtig)