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Cat Calls of Mainz: "Kuss- und Pfeifgeräusche sind keine Komplimente"


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Sexuelle Belästigung
Cat Calls of Mainz – "Kuss- und Pfeifgeräusche sind keine Komplimente"

InterviewVon Henrik Rampe

18.02.2021Lesedauer: 4 Min.
Melina Crispin, Aktivistin, kniet vor einem anzüglichen Kommentar: "Ok, darf ich Sie dann mal besteigen?"Vergrößern des Bildes
Melina Crispin, Aktivistin, vor einem anzüglichen Kommentar: "Ok, darf ich Sie dann mal besteigen?" (Quelle: Andreas Arnold/dpa)

Verbale sexuelle Belästigung ankreiden: Das ist die Idee hinter "Cat Calls of Mainz". Die Gruppe schafft Aufmerksamkeit fürs sogenannte Catcalling – damit vor allem politisch etwas passiert.

Vor dem Hauptbahnhof, am Schillerplatz und in Seitengassen: Melina Crispin und ihre Mitstreiterinnen dokumentieren sexuelle Belästigungen. Mit Straßenkreide schreiben sie die sexistischen Sprüche auf den Asphalt und teilen sie anschließend auf Instagram. Das schafft Aufmerksamkeit, stößt aber auch auf Widerspruch.

Ihre Gruppe heißt "Cat Calls of Mainz". Was haben Katzen mit sexueller Gewalt zu tun?

Es gibt nicht wenige Männer, die Frauen hinterherzischen, als ob man eine Katze anlocken würde. Ziemlich absurd, auch weil es die Assoziation nahelegt, dass Frauen Katzen sind, die man wie Tiere zu sich ruft. Wir als Aktivistinnen und Aktivisten verstehen unter Catcalling alle Situationen, in denen sich Menschen sexuell belästigt fühlen. Wobei "Menschen" hier in 99 Prozent der Fälle "Frauen" heißt. In fast allen Nachrichten berichten uns Frauen, dass sie sexuell belästigt wurden.

Wie sind Sie auf "Cat Calls of Mainz" aufmerksam geworden?

Die Ortsgruppe ist aus dem "Feministischen Kollektiv Mainz" entstanden. Zum Weltfrauentag im März 2020 haben sich mehrere aus der Gruppe zusammengeschlossen und sich von "Cat Calls of New York" inspirieren lassen. Aus einem Aktionstag ist dann eine feste Gruppe geworden, aktuell sind wir elf Aktivistinnen und Aktivisten. Ich habe das selbst noch aus der Ferne verfolgt, weil ich zu der Zeit im Ausland war. Aber ich fand die Idee von der ersten Sekunde an unterstützenswert, weil mich Themen wie Sexismus, Frauenrechte und Anti-Diskriminierung schon sehr lange interessieren.

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Mittlerweile sind Sie in verschiedenen Ländern und mit insgesamt 160 Ortsgruppen aktiv.

Das ist eine schöne Entwicklung und ein super Netzwerk. Mit "Cat Calls of Wiesbaden" waren wir auch schon gemeinsam ankreiden. Die Idee dahinter ist in allen Städten gleich: Es gibt eine Instagram-Seite, aber auch andere Kontaktmöglichkeiten wie E-Mails. Da kann man uns schreiben, wenn man selbst verbale sexuelle Gewalt erfahren hat. Wir schreiben immer zurück. Im ersten Schritt sagen wir, dass es uns leid tut, dass die Person so etwas erfahren musste, bedanken uns gleichzeitig aber auch für die offenen Worte und das Vertrauen. Im Team sortieren wir dann die Nachrichten und schreiben mit bunter Straßenkreide die sexuelle Anmache oder die geschilderte Situation auf die Straße. Anschließend posten wir den Spruch dann auf unserem Instagram-Kanal.

Gibt es Kooperationen mit anderen Initiativen in der Stadt?

Wir arbeiten mit dem Frauennotruf Mainz zusammen und stellen im persönlichen Austausch mit Betroffenen da auch den Kontakt her. Immer wieder bekommen wir auch körperliche Übergriffe geschildert, die wir nicht ankreiden, weil sie triggern und Angstzustände auslösen können. Gemeinsam mit dem Frauenzentrum in Mainz planen wir in Zukunft auch noch Workshops zu dem Thema.

Wie viele Betroffene haben Ihnen schon geschrieben?

Uns haben insgesamt über 500 Nachrichten erreicht. Wir kommen aber mit dem Ankreiden gar nicht so schnell hinterher. Aus allen Mainzer Stadtteilen wird von sexuellen Belästigungen berichtet. Die meisten Vorfälle finden in der Innenstadt statt. Gerade an gut besuchten Orten wie vor dem Hauptbahnhof, am Schillerplatz oder in der Ludwigsstraße haben wir schon viel angekreidet. Zum Glück gibt es immer wieder nette Menschen, die Kreide sponsern.

Wie fällt denn ganz grundsätzlich das Feedback aus, wenn Sie in Mainz kreiden?

Es gibt zwei Lager. Viele kennen uns schon und unterstützen die Idee. Aber viele laufen auch kopfschüttelnd an uns vorbei. Ich würde sagen, 70 Prozent des Feedbacks ist positiv, 30 Prozent negativ. Ähnlich ist es auch online. In unseren Kommentarspalten ist der Umgangston meistens freundlich, aber es gibt immer wieder auch ignorante oder beleidigende Kommentare von Menschen, die gar nicht verstehen wollen, worum es geht.

"Ach, das war doch nur als Spaß gemeint. Das ist keine sexuelle Belästigung!", rechtfertigen sich Männer häufig.

Ja, aber es ist egal, wie es gemeint war. Entscheidend ist, wie es bei der anderen Person ankommt. Eine Mitstreiterin hat das mal ganz treffend auf den Punkt gebracht: Eigentlich ist alles eine Belästigung, womit man nicht mit "Dankeschön" antworten kann oder möchte. Wir werden oft gefragt: Was ist denn eine sexuelle Belästigung? Und das hängt vom Kontext ab und entscheidet immer die Empfängerin oder der Empfänger der Worte.

Welche Reaktion empfehlen Sie Betroffenen?

Wir machen immer klar, dass es nicht um die passende Gegenreaktion gehen kann. Damit wird eine Verantwortung an die betroffene Person übergeben. Viele sagen: Man muss sich wehren und einen flotten Spruch auf Lager haben. Am Ende liegt die Schuld aber auf der Täterseite und das muss auch klar benannt werden. Wir sagen nur: Alles, was sich für die Betroffenen in der Situation richtig anfühlt, ist auch richtig.

Bisher sind Beleidigung und physische sexuelle Belästigung in Deutschland strafbar, verbale hingegen nicht.

Die Rechtslage ist total unverständlich. Sprüche wie "Schnecke, komm mal rüber", Kuss- und Pfeifgeräusche oder anzügliche Gesten sind keine Komplimente, kein Flirten. Wir unterstützen und teilen die Petition von Antonia Quell, die fordert, dass auch verbale sexuelle Belästigungen strafbar sind – so wie es beispielsweise in Frankreich der Fall ist, wo Catcalling mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet wird. Die Petition hat aktuell knapp 70.000 Unterschriften. Das Thema bewegt viele, jetzt muss auch politisch endlich mal etwas passieren.

Abgesehen vom Strafmaß, was muss sich noch verändern?

Vieles. Das fängt bei der Beleuchtung in der Stadt an. Da gibt es einige Ecken und Unterführungen, in denen ich mich abends als Frau unwohl fühle. Und das geht weiter mit Aufklärungsarbeit an Schulen. Es ist sinnvoll, Anti-Sexismus-Trainings kostenfrei und für alle in den Schulunterricht zu integrieren. Regionalpolitikerinnen und -politiker hören uns oft zu, nicken zustimmend, aber vieles ist dann doch erst mal nur Lippenbekenntnis oder vages Zukunftsversprechen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Melina Crispin
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