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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Einkaufshilfe in Mainz Zwischen schwindender Solidarität und geordneter Zettelwirtschaft
Eine Biologiestudentin aus Mainz sorgt seit Beginn der Pandemie mit einer besonderen Initiative für Zusammenhalt und Sicherheit in der Stadt: der Einkaufshilfe. Doch nicht alles läuft wie geplant.
Noch bevor die Nation das Wort Lockdown kannte, hat Alena Haub in Mainz eine Einkaufshilfe gegründet. Seit Anfang März hat die 23-jährige Biologiestudentin über 200 Aufträge zwischen jungen Einkäufern und Menschen der Risikogruppe vermittelt. Doch es wird immer schwieriger, Freiwillige zu finden, die Besorgungen übernehmen. Ein Gespräch über schwindende Solidarität, geordnete Zettelwirtschaft und den Vorteil von Handys mit zwei SIM-Karten.
t-online: Als die Pandemie im Frühjahr den Alltag von uns auf den Kopf gestellt hat, waren viele erst einmal mit sich selbst beschäftigt. Sie waren die erste in Mainz, die eine Einkaufshilfe auf die Beine gestellt hast. Wie kam es dazu?
Alena Haub: Ich habe Anfang März von einer Schulklasse in Wien gelesen, die für Menschen der Risikogruppe Einkäufe übernimmt. Da dachte ich: Klasse Aktion, sowas sollte es hier in Mainz auch geben. Da es hier in der Stadt noch keine Initiative gab, habe ich kurzerhand selbst eine gegründet.
Wie haben Sie Unterstützer für Ihre Idee gefunden?
Da ich selbst in der Grünen Jugend und im Debattierclub der Uni Mainz aktiv bin, habe ich in den beiden Gruppen für die Einkaufshilfe Werbung gemacht. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Idee dann wie ein Lauffeuer verbreitet. Über Freunde und Freundesfreunde hatte ich ganz schnell einen Unterstützerkreis. Es gibt eine Whatsapp- und eine Telegramgruppe, in denen mittlerweile mehr als 150 ehrenamtliche Einkäufer miteinander vernetzt sind. Über Aushänge in der Stadt und Presseberichte haben wir auf das Hilfsangebot aufmerksam gemacht.
Und wie genau finden dann Hilfsempfänger und Ehrenamtliche zueinander?
Jeder der Hilfe benötigt, kann mich über die Handynummer erreichen, die auf den Aushängen notiert ist. Ich habe mir für die Einkaufshilfe extra eine zweite SIM-Karte zugelegt, damit ich private Sachen und das Ehrenamt besser trennen kann. Nach jedem Anruf notiere ich mir die Adresse und die genaue Bestellung des Hilfsempfängers: Wie viele Liter Milch werden gewünscht? Von welcher Marke? Ich habe da ein extra Ordnersystem. Die Kontaktdaten und den konkreten Einkaufszettel gebe ich natürlich nur an die Leute weiter, die sich bereiterklären, die Besorgungen zu übernehmen. Mit einer kurzen Nachricht in den beiden Messengerdiensten gebe ich dann den Ehrenamtlichen Bescheid, wann und wo Hilfe benötigt wird.
Über 200 Einkäufe habe ich so schon vermitteln können. Obwohl die Zahl über die Sommermonate abgenommen hat. Mit den sinkenden Fallzahlen und zunehmenden Lockerungen haben auch immer mehr Mainzer ihre Besorgungen eigenständig erledigt. Aktuell haben wir im Durchschnitt drei Einkäufe pro Woche.
Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Koordinationsarbeit?
Für Einkäufe in den Vororten oder Nachbargemeinden wie Budenheim ist es schwieriger, Ehrenamtliche zu gewinnen. Viele Studierende haben kein Auto, deshalb dauert es etwa auch bei Besorgungen von schweren Wasserkisten immer etwas, bis sich jemand meldet. Insgesamt wird es aber komplizierter, Einkäufer zu finden. In der Anfangszeit hatte ich innerhalb von zwei Minuten teilweise fünf Rückmeldungen in der Gruppe. Mittlerweile dauert es auch für Erledigungen in der Innenstadt manchmal einen Tag, bis sich jemand findet.
Woran liegt das in Ihren Augen, dass die Hilfsbereitschaft in der Gruppe abnimmt?
Viele haben auch in der Pandemie wieder ein geregeltes Alltagsleben aufgenommen. Die Schule geht wieder los, die Uni-Verpflichtungen rufen, die Kurzarbeit wird weniger. In Summe führt das dazu, dass weniger Zeit für ehrenamtliches Engagement bleibt. Das ist natürlich schade, aber überrascht mich auch nicht. Egal ob es Umweltkatastrophen oder Anschläge sind: Am Anfang ist die Anteilnahme und Hilfsbereitschaft immer sehr hoch, aber das nimmt mit der Zeit auch genauso schnell wieder ab.
Geht es bei der Einkaufshilfe immer um Einkäufe oder gibt es auch andere Aufträge und Besorgungen?
Das allermeiste sind Wocheneinkäufe im Supermarkt. Was aber auch regelmäßig vorkommt, sind Erledigungen in der Apotheke. Dann geht es oft darum, ein Rezept beim Arzt abzuholen und dann ein Medikament in der Apotheke einzulösen. Insgesamt zweimal ging es darum, den Hund auszuführen. Weil sich zuletzt keiner aus der Gruppe der Ehrenamtlichen gefunden hat, der dafür regelmäßig Zeit hat, habe ich einen Hund im Stadtteil Weisenau ausgeführt. Bevor eine Anfrage komplett unbeantwortet bleibt, übernehme ich das dann.
Gibt es Dinge, auf die Sie besonders achten, wenn Sie die Aufträge koordinieren?
Wenn möglich, versuche ich darauf zu achten, dass Tandems entstehen. Im besten Fall kennen sich dann Ehrenamtliche und Hilfsempfänger schon und wissen in etwa, wie der Einkaufszettel aussieht. Das hat dann auch den Vorteil, dass der Kreis an Kontaktpersonen klein gehalten wird und das Gespann ein Vertrauensverhältnis zueinander aufbauen kann.
Stehen Sie auch im Austausch mit anderen Einkaufsinitiativen in der Stadt?
Es gibt noch ein Hilfsprojekt der organisierten Fanszene von Mainz 05. Die hatten mich kontaktiert und wir haben erste Erfahrungen ausgetauscht. Und als ich zuletzt eine Anfrage nicht vermitteln konnte, bin ich nochmal auf die Gruppe zugekommen. Da hat das auch prima geklappt: Jetzt übernehmen zwei Frauen aus der Faninitiative regelmäßig einen Einkauf. Was auch gelegentlich vorkommt, ist, dass mich Mitarbeiter der Stadt Mainz anrufen, um Menschen aus der Risikogruppe dann an die Einkaufshilfe weiterzuvermitteln.
Sie studieren an der Uni Mainz und sind in vielen Organisationen aktiv. Woher nehmen Sie die Zeit für das Engagement in der Einkaufshilfe?
Ich hatte noch einen Nebenjob in der Hotelbranche, der weggebrochen ist. Und auch in meinem Biologiestudium hatte ich im vergangenen Semester keine Kurse und Veranstaltungen. Dadurch hatte ich die Zeit für die Einkaufshilfe. Anfangs war ich schätzungsweise zehn Stunden pro Woche eingebunden, mittlerweile hat sich das Engagement aber auch auf wöchentlich eine Stunde reduziert.
Die Einkaufshilfe ist innerhalb kürzester Zeit in einer sehr unübersichtlichen Gemengelage entstanden. Würden Sie rückblickend etwas anders angehen?
Ich würde mir wahrscheinlich einen Teampartner suchen, der von Anfang an mitplant und sich genauso verantwortlich fühlt wie ich. Dann kann man sich absprechen und gemeinsam ein Konzept entwickeln. So liegt jetzt alle Verantwortung bei mir. Ich habe immer einen Blick auf mein Handy, auch im Urlaub.
Nicht von heute auf morgen, aber die Pandemie ist hoffentlich irgendwann vorbei. Wird es die Einkaufshilfe dann trotzdem noch geben?
Ja. Ich hoffe, dass das Hilfsangebot losgelöst von Corona bestehen bleibt. Es wird dann sicherlich nicht mehr so viele Anfragen geben. Aber auch jetzt schon steht das Angebot nicht nur der Risikogruppe offen, sondern allen, die gesundheitlich so beeinträchtigt sind, dass sie Einkäufe nicht mehr selbst erledigen können. Das funktioniert natürlich nur, wenn es auch weiter eine aktive Gruppe an Ehrenamtlichen gibt, die sich engagiert. Aber da zähle ich auf die Mainzerinnen und Mainzer.
- Gespräch mit Alena Haub