Anklage wegen Verleumdung Sind fünf Jahre Haft realistisch? Wie es mit Gil Ofarim weitergeht
Der Eklat um den angeblichen Antisemitismusvorfall in einem Leipziger Hotel ist zum Fall Ofarim geworden. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Verleumdung erhoben, jetzt liegt die Sache beim Landgericht. Drohen dem Sänger wirklich fünf Jahre Haft?
In der Mitteilung, die die Staatsanwaltschaft am Donnerstag rausgeschickt hat, ist das maximal mögliche Strafmaß für Gil Ofarim gleich mitgenannt: Auf Verleumdung, "wenn die Tat öffentlich begangen ist", stehen laut Paragraph 187 des Strafgesetzbuches bis zu fünf Jahre Haft.
Aber: Wie realistisch ist ein solch hohes Strafmaß in diesem Fall? Und wie geht es jetzt konkret weiter?
Ofarim ist bisher noch kein Angeklagter – sondern bloß Angeschuldigter
Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat Anklage "wegen des Tatvorwurfs der falschen Verdächtigung in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Verleumdung" erhoben. Ofarim hatte in einem Instagram-Video behauptet, im Hotel "The Westin Leipzig" antisemitisch beleidigt und zum Ablegen seiner Davidsternkette aufgefordert worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass dies so nicht passiert ist – und sieht den Verdacht als hinreichend begründet an, der Sänger habe bewusst gelogen.
Anhängig ist die Sache seit wenigen Tagen bei der sechsten großen Strafkammer des Landgerichts Leipzig. Öffentlich wurde die Anklage am Donnerstag, nachdem die Staatsanwaltschaft sicher war, dass Ofarim sie auch zugestellt bekommen und gesehen hat.
Mit Anklageerhebung ist Gil Ofarim aber noch lange kein Angeklagter, betont Katrin Seidel, Richterin am Landgericht und dort Pressesprecherin. Im Augenblick befinde sich der Fall im sogenannten Zwischenverfahren: In diesem wird Ofarim als Angeschuldigter geführt.
Wird Ofarim einen Antrag stellen? Und wenn ja: Welchen?
Er und seine Verteidigung haben nun eine Erklärungsfrist, innerhalb derer sie Anträge stellen können. Zum Beispiel könnten sie bestreiten, dass wie von der Staatsanwaltschaft behauptet ein hinreichender Tatverdacht besteht, und verlangen, dass das Verfahren eingestellt wird. Sie könnten auch beantragen, dass der Fall nicht vor dem Landgericht, sondern vor dem Amtsgericht verhandelt wird.
Dafür könnte es Gründe geben: Denn nach einem Urteil des Landgerichts wäre keine Berufung mehr möglich. Es bliebe nur noch die Möglichkeit, Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen. Da Verleumdungsklagen normalerweise an Amtsgerichten verhandelt werden, die Staatsanwaltschaft die Anklage aber "aufgrund der besonderen Bedeutung des Falles" zum Landgericht Leipzig erhoben hat, wäre dies ein denkbarer Schritt.
Von Einstellung bis Überweisung: Die vier Möglichkeiten des Landgerichts Leipzig
Nach Ablauf der Erklärungsfrist, die üblicherweise einige Wochen beträgt, entscheidet das Landgericht Leipzig dann über eine mögliche Eröffnung des Hauptverfahrens. Richterin Seidel weist auf vier grundsätzliche Möglichkeiten hin:
- Das Gericht sieht nach gründlicher Prüfung keinen hinreichenden Tatverdacht und beschließt, das Verfahren einzustellen. In diesem Fall könnte die Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegen, über die dann das Oberlandesgericht entscheiden müsste.
- Die Anklage wird unverändert zugelassen.
- Die Anklage wird mit geänderter rechtlicher Bewertung zugelassen, also etwa nur noch auf falsche Verdächtigung und nicht mehr auf Verleumdung lauten.
- Der Fall wird ans Amtsgericht überwiesen.
Bis zur Prozesseröffnung könnte es Monate dauern
Falls die Anklage – unverändert oder nicht – am Landgericht zugelassen wird, muss ein Termin gefunden werden. Das könnte Wochen oder sogar Monate dauern. "Klar ist, dass großes öffentliches Interesse besteht", erklärt Richterin Seidel. "Man müsste dann unter anderem gucken, wann der größte Saal im Landgericht frei ist. Qualität geht vor Geschwindigkeit."
- Gil Ofarim gegen Westin: Der lange Weg zur Anklage
Völlig offen ist auch, wie lang ein möglicher Prozess dauern würde. Es gäbe viele Zeugen zu hören und umfangreiches Videomaterial zu sichten. Das könnte die Verhandlung in die Länge ziehen – wie sehr, hinge auch von der Strategie der Verteidigung ab.
Fünf Tagessätze oder fünf Jahre: Der Strafrahmen
Bei all den Unwägbarkeiten jetzt schon über eine mögliche Verurteilung zu sprechen, ist gewagt. Um Ofarim schuldig zu sprechen, müsste ihm bewiesen werden, dass er bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Richterin Seidel betont: "Im Zweifel für den Angeklagten."
Falls aber tatsächlich ein Urteil wegen Verleumdung gesprochen werden sollte, hat das Gericht einen großen Spielraum. Der Strafrahmen reiche von einer Geldstrafe bis zur Haft, erklärt Seidel. Die geringst denkbare Geldstrafe betrage bei Verleumdung fünf Tagessätze. Zur konkreten Festsetzung würde das monatliche Nettoeinkommens Ofarims zunächst durch 30 geteilt und dann mit der Anzahl der vom Gericht festgesetzten Tagessätze multipliziert.
Die Höchststrafe liegt, sofern die Verleumdung in der Öffentlichkeit stattfand, bei fünf Jahren Gefängnis. Da Ofarim die Anschuldigungen gegen den Hotelmitarbeiter in einem bei Instagram veröffentlichten Video erhoben hat, träfe dies zu.
Experten halten eine solch hohe Strafe aber für unrealistisch, zumal Ofarim nicht einschlägig vorbestraft ist. Und auch Seidel deutet an, dass sie bei einer Verurteilung eher ein niedrigeres Strafmaß erwarte. Letztlich sei das Urteil aber allein Sache der sechsten großen Strafkammer, sagt sie.
- Telefonat mit Landgerichts-Pressesprecherin Katrin Seidel
- Eigene Recherchen
- Staatsanwaltschaft Leipzig: Mitteilung vom 31. März 2022