Verdächtiger identifiziert Anschlagsserie auf Demokratie-Café in sächsischer Kleinstadt
Das Netzwerk für Demokratische Kultur hat in Wurzen ein Café eröffnet. Sofort setzte eine regelrechte Anschlagsserie ein, nun gibt es einen ersten Erfolg.
Nach einer Serie von Anschlägen auf ein Café in Wurzen haben die Ermittler einen Verdächtigen identifiziert. Es handelt sich um einen 28 Jahre alten Mann, wie die Polizei Leipzig am Dienstag mitteilte. Ihm werden mehrere Fälle der Sachbeschädigung zur Last gelegt.
Das Café wird vom Wurzener Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) betrieben. Es eröffnete am 7. Juli. Von Beginn an stand es im Visier von Angriffen. Als mutmaßliche Täter wurden Neonazis vermutet, die das Demokratie-Café in der Wurzener Innenstadt als Provokation auffassten.
Wurzen: Ständige Angriffe auf "Mitmach"-Café
Wie das Netzwerk mitteilte, war noch vor der Eröffnung das Fahrrad einer im Netzwerk engagierten Person mit einem Aufkleber des neonazistischen Versandhandels "Druck18" beklebt worden – die Ziffern 1 und 8 stehen in rechtsextremen Kreisen für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets, die Initialen Adolf Hitlers.
In den Tagen nach der Eröffnung tauchten dann zunächst immer wieder Sticker am Schaufenster des "Mitmach"-Cafés in der Martin-Luther-Straße auf, die gegen Antifaschismus hetzten. Auf ihnen stand "FCK ANTIFA" und "Good Night Left Side". Danach setzten die Farbanschläge ein: Innerhalb kurzer Zeit wurde das Café fünfmal mit Farbbeuten beworfen. "Es ist ein Versuch der Einschüchterung, der demokratisches Arbeiten erschweren soll, aber nicht verhindern wird", sagte Matthias Held vom NDK t-online.
"Das ist schon ein bisschen ermüdend"
Zudem wurde der Schriftzug "Verpisst euch" angebracht und das Türschloss des Cafés mit Klebstoff verschmiert und unbrauchbar gemacht, wie das Netzwerk berichtete. Bei einer sechsten Attacke in der Nacht auf den 10. August verschmierten die Täter dann großflächig ölige Farbe. "Das ist schon ein bisschen ermüdend", sagte Geschäftsführerin Martina Glass dem MDR.
Der polizeiliche Staatsschutz übernahm die Ermittlungen. Bei einer Wohnungsdurchsuchung bei dem nun identifizierten Verdächtigen Wurzener seien Beweismittel sichergestellt worden, teilte die Polizei mit. Die Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen.
Wurzen galt Extremisten als "national befreite Zone"
Wurzen im Nordosten des Landkreises Leipzig galt bei Rechtsextremisten schon in den 1990er-Jahren als "national befreite Zone", also als ein Gebiet, in dem Andersdenkende und als Ausländer gelesene Menschen kein Bein auf den Boden bekommen und in ständiger Angst vor Gewalt leben müssen.
Übergriffe und nazistische Propaganda sind auch heute noch Alltag. Das Dokumentationsportal "chronik.LE" hat seit 2007 Hunderte Vorfälle in der Kleinstadt erfasst. Dazu gehören Ausschreitungen sowie rassistische und antisemitische Sprechchöre bei einem C-Jugendfußballspiel, Rudolf-Heß-Plakate, Aufmärsche mit Fackeln und Trommeln oder Nazi-Parolen auf Schultoiletten.
Rechtsextreme Schläger in Wurzen: 36 Angriffe dokumentiert
Auch körperliche Attacken kommen immer wieder vor: Einmal greift eine 20-köpfige Gruppe zwei Männer und eine Frau auf der Straße an, wobei ein Mann bewusstlos geschlagen wird und die Türen eines Hauses zerstört werden, in das sich die Angegriffenen flüchten. Dann wieder werden Geflüchtete mit Steinen beworfen oder in ihren Wohnungen überfallen. Und zuletzt gab es 2022 mehrfach Attacken auf Journalisten bei sogenannten Montagsdemos.
Insgesamt hat "chronik-LE" 36 körperliche Angriffe in den Jahren 2007 bis 2022 in der Region Wurzen erfasst. Hinzu kamen 143 Fälle von Nazi-Propaganda, 33 Versammlungen und 89 Sachbeschädigungen.
- polizei.sachsen.de: Mitteilungen der Polizei Leipzig vom 3. August, 10. August und 29. August 2023
- Telefonat mit einer Sprecherin der Polizei
- chronikle.org: Datenbank mit faschistischen, rassistischen und diskriminierenden Ereignissen in und um Leipzig
- ndk-wurzen.de: Mitteilungen vom 6. und 11. August 2023
- mdr.de: "Mehr Polizeistreifen in Wurzen nach Attacken auf Mitmach-Café"