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Valérie (✝7) aus Uelzen stirbt nach Arztbesuch: Handelte ihre Ärztin fahrlässig?


Aktivisten erheben Vorwürfe
Starb Valérie, weil eine Ärztin sie nicht ernst nahm?

  • Gregory Dauber
Von Gregory Dauber

Aktualisiert am 05.04.2022Lesedauer: 3 Min.
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Die siebenjährige Valérie posiert für einVergrößern des Bildes
Die siebenjährige Valérie posiert für ein (Quelle: Privat)

Starb die siebenjährige Valérie Iyobor aus Uelzen wegen einer fahrlässig handelnden Ärztin? Diesen Vorwurf erhebt ihre Mutter in einem Internetvideo. Hamburger Aktivisten sehen in dem Fall auch Anzeichen für strukturellen Rassismus.

Es sind schwere Vorwürfe, die erhoben werden: Wegen starker Beschwerden geht eine Mutter mit ihrer Tochter zur Kinderärztin. Diese schickt die Siebenjährige nach Hause, so erzählt es die Mutter. Wenige Stunden später ist das Kind tot.

Am 21. März starb Valérie Iyobor in einer Klinik im niedersächsischen Uelzen. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hat eine Obduktion angeordnet. Nach einer vorläufigen Einschätzung sei ein Durchbruch des Blinddarms die Todesursache.

Valéries Mutter prangert an: Die Kinderärztin, bei der die Siebenjährige wenige Stunden vor ihrem Tod untersucht werden sollte, habe das Leid ihrer Tochter nicht ernst genommen. In einem am Samstag im Internet veröffentlichten Video schildert Jennifer Iyobor die letzten Stunden ihrer Tochter.

Das Video wurde von einer Hamburger Aktivistengruppe veröffentlicht, die sich "Black Community Coalition For Justice & Self-Defence" nennt und sich nach eigener Aussage für Menschenrechte, Ermächtigung Schwarzer* Menschen und antirassistische Bildung einsetzt. Valéries Mutter sei aus ihrer Hilflosigkeit heraus an die Gruppe herangetreten, erklärt die Aktivistin Sista Oloruntoyin t-online.

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Polizei hat Ermittlungen zur Todesursache an die Staatsanwaltschaft gegeben

Auf Anfrage bestätigte die für Uelzen zuständige Polizeiinspektion Lüneburg Valéries Tod in der Uelzener Klinik, der Fall liegt inzwischen bei der Staatsanwaltschaft. "Die Ermittlungen, die eine umfassende Überprüfung des Verhaltens aller an der Behandlung des Mädchens beteiligten Personen umfassen, stehen erst am Anfang", teilt die Staatsanwaltschaft Lüneburg mit.

Ein Blinddarmdurchbruch ist eine lebensgefährliche Folge einer Entzündung des Appendix, dem wurmförmigen Anhang des Blinddarms. Die Entzündung geht einher mit stechenden oder ziehenden Schmerzen im Bauch, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, manchmal auch Durchfall. Um einen Durchbruch zu verhindern, wird der entzündete Appendix meist operativ entfernt. Bei rechtzeitiger Behandlung liegt die Wahrscheinlichkeit, an einer Entzündung des Appendix zu sterben bei 0,001 Prozent.

Nach Angaben der Mutter habe Valérie am Sonntag vor ihrem Todestag über Bauchschmerzen geklagt und gebrochen. Am darauffolgenden Montag hätten beide eine Kinderärztin in Uelzen aufgesucht. Weil sie selbst, erst seit 2019 in Deutschland, nicht gut Deutsch spreche, habe Valérie der Ärztin ihre starken Schmerzen und das Erbrechen geschildert.

Ärztin soll Valérie Bananen und Wasser verordnet haben

Daraufhin habe die Ärztin die beiden jedoch nach Hause geschickt und gesagt, Valérie solle Wasser und Bananen zu sich nehmen und brauche keine Medizin. Auch die Untersuchung des siebenjährigen Kindes sei sehr kurz ausgefallen. Auf eine Anfrage von t-online hat die Uelzener Praxis bislang nicht reagiert.

Die Mutter wirft der Ärztin vor, Valérie nicht ordentlich untersucht zu haben. Wieder zu Hause habe sich der Zustand des Kindes weiter verschlechtert. Auch Nahrung habe sie nicht zu sich nehmen wollen. Als das Mädchen nicht mehr aufrecht habe sitzen können, habe sie einen Krankenwagen gerufen. Die Sanitäter und Klinikärzte konnten nichts mehr tun: Wenige Stunden später starb Valérie.

Hamburger Aktivisten prangern Rassismus im Gesundheitswesen an

"Für Schwarze sind das oft normale Umstände: Von Ärzten nicht ernst genommen werden oder nicht die gleiche Qualität von Behandlungen zu bekommen", sagt Aktivistin Sista Oloruntoyin. Das liege nicht daran, dass die Ärzte Rassisten seien, sondern daran, dass sie ihr Leben lang von rassistischen Strukturen geprägt worden seien. "Die meisten Weißen haben keine Vorstellung davon, was Rassismus bedeutet und wie die Lebenswelten schwarzer Menschen in Deutschland aussehen."

Die Staatsanwaltschaft erklärt, keine abschließende Angabe zur Todesursache machen zu können, bevor das schriftliche Obduktionsgutachten vorliege. Weiter heißt es zur Anfrage von t-online, dass sich "bis zu der Veröffentlichung des Videos bei Facebook, auf welches Sie Bezug nehmen, keinerlei Anhaltspunkte für ein rassistisch motiviertes Fehlverhaltens einer der an der Behandlung des Kindes beteiligten Personen ergeben haben".

Nach Tod der Tochter keine psychologische Unterstützung für Mutter

Die Mutter des verstorbenen Kindes habe weder am Abend des Todes noch später psychologische Unterstützung erhalten, berichten die Aktivisten. Man sei mit ihr im Kontakt, doch sie sei in tiefer Trauer. Die Beerdigung für Valérie soll am 7. April in Uelzen stattfinden, man wolle aus Hamburg anreisen, um der Mutter Solidarität auszudrücken und sie zu unterstützen.

Den Aktivisten ist es wichtig, nicht alle Ärztinnen und Ärzte in schlechtes Licht zu rücken. Doch struktureller Rassismus im Gesundheitswesen sei ein grundsätzliches Problem. "Wir haben in unserem Netzwerk auch ganz andere Erfahrungen und arbeiten vertrauensvoll mit reflektierten und empathischen Medizinern und Medizinerinnen zusammen oder erhalten aus verschiedenen Krankenhäusern immer wieder Anfragen zu besonderen Problemlagen mit Menschen afrikanischer Herkunft."

* Hintergrund: "Der Begriff Schwarz wird oft als Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft, schwarzen Menschen, Menschen dunkler Hautfarbe und people of colo(u)r gewählt. Das großgeschriebene "S" wird bewusst gesetzt, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich weiß dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren und gilt als Symbol einer emanzipatorischen Widerständigkeitspraxis."

Verwendete Quellen
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