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Dortmund | Schwul am Fußballplatz: "Mache da kein Versteckspiel mehr draus"


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Anfeindungen im Sport
Schwul am Fußballplatz: "Ich mache da kein Versteckspiel mehr draus"


Aktualisiert am 23.07.2022Lesedauer: 4 Min.
Sven Wiedemann vom VfL Kamen: Der Verein setzt ein klares Zeichen gegen Homophobie.Vergrößern des Bildes
Sven Wiedemann vom VfL Kamen: Der Verein setzt ein klares Zeichen gegen Homophobie. (Quelle: privat)

Sven Wiedemann ist schwul. Mit der Männerdomäne Fußball kommt er klar – viele andere belastet diese Diskriminierung sehr.

"Steh auf, du Schwuchtel!"

Sätze wie dieser fallen im Fußball immer wieder – und werden oft durch die Emotionen und Rivalitäten auf dem Spielfeld wegkaschiert, getreu dem Motto: "Das wird man doch noch sagen dürfen."

Sven Wiedemann kann das nicht verstehen. Er ist Betreuer beim VfL Kamen und hat sich mit 19 Jahren als homosexuell geoutet. "Solche Sprüche sind scheiße", sagt er im Gespräch mit t-online. Auch wenn er selbst nie aktiv von jemandem angegriffen wurde, weiß er, dass Diskriminierungen im Amateurbereich ein großes Problem sind.

Wie verletzend und einschränkend solche Anfeindungen sein können, weiß Wiedemann. "Ein Jugendlicher aus unserem Verein weiß, dass ich homosexuell bin. Er hat sich mir anvertraut und gesagt, er sei bi. Aber er kann sich nicht outen, weil es immer noch den einen oder anderen Spruch gibt", sagt er. Sowohl im Profi- als auch im Amateursport seien solche Sprüche allgegenwärtig.

Fußballplatz: "Nährboden für Anfeindungen und Ausgrenzungen"

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland verweist auf eine repräsentative Umfrage, nach der etwa sechs Prozent der Menschen in Europa angaben, homo- oder bisexuell zu sein. Blickt man in den europäischen Profifußball, findet sich lediglich ein Sportler, der offen homosexuell ist. Der erst 17-jährige Jake Daniels vom FC Blackpool outete sich im Mai dieses Jahres. Für ihn scheint das Versteckspiel schlimmer als jede mögliche Anfeindung gewesen zu sein.

Auch Wiedemann geht als einer von wenigen offen mit seiner Homosexualität um. Etwas, das gesellschaftlich immer noch tabuisiert wird – offenbar gerade auf dem Sportplatz. Wie tiefgreifend das Problem ist, kann Wiedemann mit Beispielen erklären: Er habe innerhalb der Szene von Schiedsrichtern erfahren, die aufgehört haben, weil sie mehrfach homophob beleidigt wurden. Nicht jeder Betroffene schaffe es – wie er –, da einfach drüberzustehen, sagt er.

"Ich habe am Fußballplatz mal einen älteren Herren getroffen, der über Homosexuelle geschimpft hat. Er sagte das Übliche: 'Schwule Sau!' Außerdem erwähnte er, dass er nicht damit klarkommen würde, wenn einer seiner Söhne schwul wäre." Wiedemann nahm ihn zur Seite, outete sich und sprach in Ruhe mit ihm. "Das hat geholfen. Er tritt jetzt ganz anders auf", stellt er fest. "Viele haben Berührungsängste mit dem Thema, weil sie kaum Schwule kennen oder weil sie selbst nicht in diese Ecke gestellt werden wollen."

Doch nicht nur Homophobie, sondern auch etwa Sexismus generell, Rassismus, Antisemitismus oder Klassismus sind ein Problem in deutschen Amateurligen. Das bestätigt die "Meldestelle für Diskriminierung im NRW-Fußball", die es seit dem 1. Juli gibt: "Rauschzustände, stereotypische Eigen- und Fremdbilder und das Denken in Kategorien – 'Wir' gegen 'die anderen' – sind der Nährboden für Anfeindungen und Ausgrenzungen", sagt Dr. David Johannes Berchem zu t-online.

"Brennglas der Gesellschaft"

Berchem ist Lehrkraft für Ethnologie an der Ruhr-Universität in Bochum und begleitet das Projekt. Er möchte mit seinem Team Fälle von Diskriminierung auf dem Fußballplatz anonym erfassen, wissenschaftlich auswerten und im weiteren Verlauf Angebote auf Augenhöhe für die NRW-Vereine schaffen: "Für eine Fußballkultur, in der Diskriminierung keinen Platz mehr hat", wie er sagt.

Von heute auf morgen sei das nicht möglich, wichtig sei es dennoch. Erstens, da es eine solche Anlaufstelle in NRW laut Berchem bislang nicht gibt. Und zweitens, weil der Fußball das "Brennglas der Gesellschaft" darstelle: "Damit ist gemeint, dass sich im Stadion, auf den Fußballplätzen von Amateurvereinen, in der Eckkneipe, beim Public Viewing und auf Social Media soziale Phänomene in intensivierter Form beobachten lassen, die auch in der Gesamtgesellschaft existieren." Heißt: Wenn Aufklärung über Diskriminierung auf dem Fußballplatz hilft, kann es möglicherweise auf die Gesellschaft übertragen werden.

Wiedemann findet das Projekt super, denn Diskriminierungen jeglicher Art dürften auf dem Sportplatz nicht mehr kleingeredet werden – auch nicht mit Blick auf mögliche Emotionen oder Rivalitäten. Sein Verein, der VfL Kamen, tut bereits etwas dagegen. Einen Banner "VfL gegen Homophobie" gebe es etwa, Broschüren vom Lesben- und Schwulenverband oder eine Regenbogenbinde, mit der die Teams auflaufen.

Doch reicht das allein aus? Vermutlich nicht. "Man muss bereits in der Schule oder beim Jugendfußball mit der Aufklärung anfangen. Die Kids müssen sehen, dass etwa Homosexualität nichts Schlimmes ist. Es gibt ja viele, die damit gar nicht groß oder konfrontiert werden", sagt Wiedemann. "Und das merkt man dann auch durch diskriminierende Beleidigungen auf dem Fußballplatz."

Seine eigene Entscheidung, offen mit dem Thema in dieser Männerdomäne umzugehen, hat er dennoch zu keiner Zeit bereut. "Ich mache da kein Versteckspiel mehr draus. Egal bei welchem Verein ich war, habe ich das sofort gesagt. Ich turne da ja in der Kabine mit rum."

Seine Mannschaftskameraden hätten stets fair reagiert und waren unterstützend. Das Outing habe ihm in diesem Umfeld geholfen. Noch mehr helfen würde es, wenn auch am Sportplatz sensibler mit Beleidigungen und Diskriminierungen umgegangen werde. Er hofft, dass die neue Meldestelle einen kleinen Beitrag dazu leisten könne.

Outing war ein Zufall

Bis es so weit ist, lässt Wiedemann die Sprüche weiter nicht an sich heran. Er scheint einen guten Weg gefunden zu haben, um mit Anfeindungen am Sportplatz – auch wenn sie nicht direkt an ihn gerichtet sind – umzugehen. Doch ganz so einfach war es für ihn nicht immer. Er brauchte als Jugendlicher und junger Erwachsener ebenfalls einige Zeit, um sich zu outen. Denn dazu kam es durch einen Zufall: "Ich habe meiner Cousine einen Brief geschrieben, in dem ich ihr gesagt habe, dass ich einen anderen Mann toll finde."

Den Zettel ließ er dann versehentlich auf dem Tisch liegen. "Die Familie hat ihn dann natürlich gefunden." Auf die Frage, wie die Reaktion war, grinst Wiedemann: "Die haben sehr gut reagiert. Ich musste sogar eine Pizza ausgeben."

Hintergrund zum Beitrag

Falls Sie Diskriminierungen jeglicher Art auf dem Fußballplatz erleben, können Sie sich anonym bei der "Meldestelle für Diskriminierungen im NRW-Fußball" melden. Das Projekt wird unter anderem vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Sven Wiedemann vom VfL Kamen
  • Kontakt zur "Meldestelle für Diskriminierung im NRW-Fußball"
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