Kind eine Woche in Kanalsystem gefangen Ermittler rekonstruieren Odyssee des kleinen Joe

Der Fall war ein Rätsel: Ein Achtjähriger steckte eine Woche in der Kanalisation fest, während ihn oben alle suchten. Jetzt hat die Polizei ermittelt, welche Wege Joe in der Unterwelt wohl nahm.
Die Ermittler waren vom Schlimmsten ausgegangen: Sechs Tage nachdem Joe spurlos wie vom Erdboden verschwunden war, hatten sie eine Mordkommission eingerichtet. Zahlreiche Hinweise hatten die Beamten bis dahin von vermeintlichen Zeugen erhalten. Keiner führte sie zu dem vermissten Kind.
Zwei weitere Tage später hörte auf einmal ein Spaziergänger Geräusche unter einem Gullydeckel in Oldenburg. Sie kamen vom achtjährigen Joe. Der Junge war unterkühlt, dehydriert – und komplett nackt.
Joes Spuren in der Regenwasser-Kanalisation
"Das Wichtigste ist: Er lebt", sagte Polizeipräsident Johann Kühme. Doch für die Ermittler bedeutete dies nicht das Ende ihrer Arbeit – sondern markierte den Beginn der Aufklärung.
Denn wie Joe ins Regenwasser-Kanalsystem unter Oldenburg gelangte, wie er dort überlebte und ob es Spuren geben könnte, die auf ein Verbrechen deuten, blieb bis jetzt rätselhaft. Am Dienstag veröffentlichten die Beamten nun, was sie über Joes Odyssee bislang in Erfahrung bringen konnten.
Nach rund 90 Metern begann Joe sich auszuziehen
Mit ferngesteuerten Robotern waren sie an verschiedenen Stellen in die Kanäle unter der Stadt eingestiegen. Dabei fanden sie heraus: Der geistig eingeschränkte Joe muss am 17. Juni, irgendwann nach 18 Uhr, in der Nähe seines Zuhauses in ein Ablaufrohr mit einem Durchmesser von einem Meter gekrochen sein.
Das Betonrohr dient der Entwässerung des Kanalsystems in einen Straßengraben, die Ermittler gehen davon aus, dass Joe zum Spielen hineinkletterte. "Nach etwa 23 Metern befand er sich unter einem Gullydeckel im Kreuzungsbereich Ammergaustraße/Hochheider Weg und ist dem Kanalsystem ab hier durch ein Kunststoffrohr mit einem Durchmesser von etwa 60 Zentimetern nach rechts gefolgt", heißt es in einer Mitteilung der Polizei. "Etwa 70 Meter weiter wurde in diesem Rohr die Weste des Jungen gefunden. Den Rest der Bekleidung entdeckten die Ermittler nach weiteren 65 Metern in südöstlicher Richtung."
Polizei Oldenburg: Zeugen müssen sich getäuscht haben
Von da an habe Joe offenbar mehr und mehr die Orientierung verloren, hieß es weiter. Eine erste Äußerung des Jungen bestätige diese Vermutung.
Zwischendrin hätten sich in regelmäßigen Abständen Kanalschächte und Abzweigungen befunden, in denen der Junge sich aufrichten konnte, teilte die Polizei mit. Am Ende sei er unter einem Gullydeckel etwa 290 Meter von dem mutmaßlichen Einstieg in das Entwässerungssystem entfernt gefunden worden. Den Ermittlern lägen keinerlei Hinweise vor, dass Joe sich während der acht Tage außerhalb des Kanalsystems aufgehalten haben könnte.
Joe ist weiter im Krankenhaus
Das ist insofern eine wichtige Information, als dass die Mordkommission nach dem Hinweis eines Zeugen gebildet worden war, der geglaubt hatte, Joe in Begleitung einer unbekannten Person gesehen zu haben. Inzwischen sind die Beamten aber ziemlich sicher, dass sich der Zeuge getäuscht haben muss: "Ein Fremdverschulden schließt die Polizei zum jetzigen Zeitpunkt aus."
Die Ermittler haben den Jungen bislang allerdings noch nicht eingehend befragen können. Der Achtjährige befindet sich weiterhin im Krankenhaus.
- Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt: "Ermittlungen im Fall Joe: Polizei schließt Fremdverschulden aus"