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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erbitterte Schlacht in der Ukraine Militärexperte: "Das ist die rote Linie"
An der Front in der Ukraine herrscht derzeit eisige Kälte, trotzdem halten die erbitterten Kämpfe an. Worauf es für die Soldaten jetzt ankommt, erklärt ein Militärexperte im Video.
Bis zu minus 20 Grad herrschen derzeit in einigen der umkämpften Regionen in der Ukraine. Die extrem niedrigen Temperaturen stellen die Soldaten auf beiden Seiten vor zusätzliche Herausforderungen, erklärt Militärexperte und Oberst a. D. Wolfgang Richter im Gespräch mit t-online.
Die Witterungsbedingungen haben auch Auswirkungen auf das Kampfgeschehen vor Ort. Zuletzt haben russische Truppen vor allem ihre Angriffe aus der Luft wieder intensiviert – ein Vorgehen, das auch auf das Wetter der vergangenen Wochen zurückzuführen sei.
Der Experte warnt: In den kommenden Wochen und Monaten könnte darüber hinaus ein weiterer Umstand die ukrainischen Streitkräfte vor große Probleme stellen.
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An der Front in der Ukraine herrscht derzeit eisige Kälte. In einigen der umkämpften Regionen fallen die Temperaturen dieser Tage auf bis zu minus 20 Grad.
Für die Soldaten sind diese Temperaturen eine zusätzliche Herausforderung, wie Militärexperte Wolfgang Richter im Gespräch mit t-online erklärt.
"Die Bedingungen sind ausgesprochen hart. Man muss überlegen, dass die Soldaten beider Seiten in Feldunterkünften teilweise in Gräben, in Stellungen ausharren müssen. Dazu braucht man wirklich gute Winterkleidung, behelfsmäßige Feuermöglichkeiten, also Feldöfen usw., um sich warmzuhalten. Man muss also dann auch versuchen, mit Holz die Stellungen zu verbauen, mit Holz, Palisaden an den Seiten. Wenn man so tief gräbt, dass der Ausbau gut funktioniert, dass man nach oben hin auch einen gewissen Schutz hat, sodass dann, wenn man beispielsweise in einer Unterkunft in einer Feldunterkunft den Ofen anwirft, dass die Hitze nicht sofort oder die Wärme nicht sofort wieder entweicht. Es muss aber so eingerichtet sein, dass man sehr schnell auch aus der Stellung heraus natürlich operieren kann."
Dafür sind auch einsatzfähige Waffen und Fahrzeuge unerlässlich. Diese im kalten Winter instand zu halten, sei eine weitere Herausforderung.
"Es gibt ja bestimmte Spritsorten, die bei einer gewissen Temperatur dann auch nicht mehr funktionieren, die dann einfrieren. Man muss aufpassen, dass die Geschütze und die Gewehre, alle möglichen Waffenarten sozusagen, immer wieder gut geölt sind, winterfest geölt sind, sodass sie nicht einfrieren. Das ist die Herausforderung, die im Winter auf beide Seiten zukommt. Was nicht unbedingt behindert wird, sind Bewegungen querfeldein. Dann, wenn der Boden gefriert und fest wird und der Schnee auch einigermaßen hält, dann können auch gepanzerte Fahrzeuge sicher über solches Gelände fahren. Aber generell werden Offensivbewegungen natürlich erschwert. Ich sage, nicht unmöglich gemacht, aber erschwert."
Vor allem im Osten des Landes, in der Region Donezk, toben nach wie vor heftige Kämpfe. Die Sommeroffensive der Ukraine hat kaum nennenswerte Erfolge erzielt. Stattdessen ist es zuletzt vor allem den russischen Truppen gelungen, mit massiven Angriffen kleinere Erfolge zu erzielen.
"Beide Seiten haben sich überwiegend in Stellungen eingegraben. Die russische Seite hält allerdings auch an mit ihren taktischen Angriffen, die sich auf bestimmte Gebiete konzentrieren, oder Ortschaften. Insbesondere im Osten, also im Raum Donezk, scheint es also immer noch das Ziel zu sein, die gesamte Region Donezk zu erobern, in den administrativen Grenzen. Die zweite Entwicklung ist das, worüber ja täglich berichtet wird, nämlich der Krieg der Raketen, Marschflugkörper und Drohnen, der sich in erster Linie gegen die Infrastruktur, also Verkehrs- und Energieinfrastruktur der Ukraine richtet, aber immer wieder auch Schäden anrichtet. Es scheint wohl so zu sein, dass die Russen auch nicht nur die Luftabwehr der Ukrainer testen wollen, sondern sie saturieren wollen, möglicherweise mit der Zeit auch abnutzen wollen, sodass ihre Angriffe besser durchdringen. Andererseits hat auch die Ukraine, wenn auch in geringerem Umfang, zurückgeschlagen gegen russische Einrichtungen, militärische Einrichtungen auf der Krim, aber auch im russischen Kernterritorium, also etwa in Belgorod, sodass wir also eine Art von strategischem Luftkrieg erleben."
Ein Problem der kommenden Wochen und Monate sieht der Militärexperte vor allem in den personellen Ressourcen der Ukraine. Zum einen aufgrund der hohen Verluste, zum anderen aufgrund des Mangels an Rekruten.
"Die Verluste der Ukrainer sind hoch, zwar vielleicht nicht ganz so hoch wie die der Russen, aber nicht viel darunter. Und sie können nicht ersetzt werden durch den Westen, sonst wäre der Westen ja im Konflikt mit Russland und das ist die rote Linie, die alle vermeiden wollen. Das heißt, Personalverluste kann man nicht ersetzen. Und das ist die eigentlich kritische Größe in diesem Jahr. Die Ukrainer tun sich sehr schwer, neues Personal zu rekrutieren, vor allem qualifiziertes Personal und diese Verluste auszugleichen. Viele Ukrainer, viele männliche Ukrainer, die eigentlich Wehrpflichtige sind, haben sich dem Wehrdienst entzogen. Man spricht von über 600.000, die sich mittlerweile in der EU aufhalten, die eigentlich im wehrpflichtigen Alter sind."
Für die ukrainischen Soldaten in den Winter-Stellungen entlang der Front werden die kommenden Wochen eine physische und moralische Herausforderung. Denn nachlassen werden die Angriffe durch russische Streitkräfte trotz der eisigen Temperaturen in den kommenden Wochen wohl nicht.
Worauf es für die ukrainischen Truppen jetzt ankommt, wie die Soldaten den eisigen Temperaturen trotzen und wovor der Experte warnt, sehen Sie, wenn Sie hier klicken oder oben im Video.
- Eigenes Interview mit Wolfgang Richter
- Mit Videomaterial der Nachrichtenagentur Reuters