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Eiswürmer, Wal-Angriffe, Meeresbakterien: "Der Schwarm" im Realitäts-Check


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Keine reine Fiktion
Eiswürmer und Bakterien: So realistisch ist "Der Schwarm"


Aktualisiert am 09.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Eiswürmer in "Der Schwarm": Gibt es die Tierchen wirklich?Vergrößern des Bildes
Eiswürmer in "Der Schwarm": Gibt es die Tierchen wirklich? (Quelle: ORF/ZDF/Schwarm TV Production GmbH & Co.)
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Wale, Eiswürmer und Meeresbakterien werden in der ZDF-Serie "Der Schwarm" zur Gefahr für den Menschen. Die apokalyptischen Szenarien sind keine reine Fiktion.

In der ZDF-Serie "Der Schwarm" überschlagen sich die Katastrophen: Wale greifen Boote an, ein tödlicher Erreger verbreitet sich, eine bislang unbekannte Wurmart destabilisiert den Meeresgrund. Die neuartigen Ozean-Phänomene bringen immer mehr Menschen in Lebensgefahr und stellen die Wissenschaft vor Rätsel. Verantwortlich scheint eine neue Spezies aus dem Meer, die die Menschheit vor unbekannte Herausforderungen stellt.

Reine Fiktion, oder? Nicht unbedingt. Schon als 2004 der gleichnamige Roman von Frank Schätzing, auf dem die Serie basiert, erschien, lobten Wissenschaftler den Autoren für seine Recherchen. Und auch die Serie ist bei genauerer Betrachtung weniger utopisch, als mancher Zuschauer denken mag. Doch welche Gefahr ist real, was ist übertrieben? Die Serie "Der Schwarm" im Realitätscheck.

Sind Wale eine neue Bedrohung für den Menschen?

Da sind zum Beispiel Wale, die in der Serie plötzlich zur Gefahr für den Menschen werden. "Whale Watching", also die beliebten Bootstouren zum Wale-Anschauen, wird in "Der Schwarm" für Touristen zum lebensgefährlichen Unterfangen. Denn die Tiere vor der nordamerikanischen Küste greifen die Boote der Menschen an. Walforscher Leon Anawak versteht die Welt nicht mehr.

Realität oder Fiktion? Tatsächlich gelten die massigen Meeressäuger gemeinhin als dem Menschen friedlich gesinnt. Die Kraft, Boote zu zerstören, hätten sie allerdings – das zeigte sich in den vergangenen Jahren vor der Küste Spaniens und Portugals immer deutlicher. Seit 2020 kommt es dort immer wieder zu Orca-Angriffen. Im Juli und November 2022 sanken deswegen sogar zwei Boote. Waren es gezielte Attacken?

Eine Gruppe aus Wissenschaftlern studierte das ungewöhnlich aggressive Verhalten. Ihr Ergebnis: Die Orcas rammten gezielt das Ruder, meist von kleineren Segelbooten. Sie sprechen allerdings nicht von Angriffen, sondern von "Interaktionen" – denn Aggressivität sei dabei nicht erkennbar. Warum die Wale so handeln, ist noch nicht geklärt. Möglich ist zum Beispiel, dass die Tiere Fischer immer stärker als Nahrungskonkurrenz wahrnehmen.

Fazit: Menschen müssen von Walen nichts zu befürchten haben – eigentlich. In der weltweiten Betrachtung bleiben die Angriffe vor der iberischen Halbinsel die Ausnahme. Dort gilt es nun herauszufinden, wieso die Wale die Boote attackieren – und wie das in Zukunft verhindert werden kann.

Drohen tödliche Epidemien durch Bakterien aus dem Meer?

Ein anderes Bedrohungsszenario in der Serie sind Meeresbakterien: Eine mutierte Form des Bakteriums Vibrio vulnificus infiziert in "Der Schwarm" immer mehr Menschen – mit tödlichen Folgen. Verbreitet wird es über Hummer und Krebse sowie über das Trinkwasser.

Vibrio vulnificus gibt es wirklich. Das Bakterium kommt auch in Deutschland in Meer- und Brackwasser vor – in der Regel aber nicht im Süß- und damit auch nicht im Trinkwasser. Aktiv ist es vor allem im Sommer, wenn die Wassertemperatur über 20 Grad steigt. Dann können sich auch Menschen infizieren, zum Beispiel durch Hautverletzungen oder den Verzehr roher oder nicht durchgegarter Meerestiere. Besonders gefährdet sind Menschen mit Immunschwäche oder Hautverletzungen und Senioren – für sie gilt im Sommer vor allem an der Ostsee bei hohen Wassertemperaturen eine Badewarnung.

Schwere Blutvergiftungen bis zum Tod können die Folge sein. Anders als in der Serie kann die Infektion in der Realität allerdings mit Antibiotika behandelt werden. 2021 starb ein Mann in Kiel, nachdem er sich infiziert hatte. Er war vermutlich trotz offener Wunde und chronischer Vorerkrankungen baden gegangen.

Fazit: Epidemien wie in der Serie sind in Deutschland durch Vibrio vulnificus nicht zu befürchten. Zur Gattung der Vibrionen zählt allerdings auch der Erreger, der die hochansteckende Durchfallerkrankung Cholera auslöst. Laut Weltgesundheitsorganisation sterben zwischen 21.000 und 143.000 Menschen jährlich daran.

Wie gefährlich ist der Eiswurm?

Als Dr. Sigur Johanson in "Der Schwarm" erstmals die Aufnahmen aus der Tiefsee sieht, traut er seinen Augen kaum: Würmer, die sich durch gefrorenes Methan bohren und es dadurch destabilisieren. Schließlich kommt es nicht nur zu Gasfreisetzungen, die das Forschungsschiff Thorvaldson in Seenot bringen, sondern auch zu einem verheerenden Tsunami.

Tatsächlich lagern vor allem in Nähe der Kontinente große Vorkommen sogenannter Methanhydrate, auch Methaneis genannt. Schmilzt das Eis, entweicht das Methan – und kann entzündet werden. "Feuereis", wie es Charlie Wagner in "Der Schwarm" zeigt, ist also keine Erfindung.

Das Problem: Mit der Erwärmung der Meere durch die Erderhitzung könnten sich die Methanhydrate destabilisieren. Das Treibhausgas Methan ist rund 25 Mal schädlicher als CO₂. In den Hydraten sind riesige Mengen davon gespeichert – sie könnten die Klimakrise zusätzlich befeuern. Zudem könnte eine Auflösung tatsächlich die Kontinentalhänge zum Rutschen bringen. Die Folge wären fatale Tsunamis – wie in "Der Schwarm".

Doch sollte es je so weit kommen, ist nicht der Eiswurm schuld. Auf den Methanhydraten im Golf von Mexiko wurde 1998 die Eiswurmart Sirsoe methanicola entdeckt. Sie ernährt sich von Bakterien, die wiederum vom Methan und anderen chemischen Verbindungen aus dem Methanhydrat leben. Tief in das Hydrat hineinbohren können sie sich allerdings nicht – damit werden sie für die Kontinentalhänge auch nicht zur Gefahr.

Fazit: Der Eiswurm stellt für den Menschen nach aktuellem Stand der Forschung keine Gefahr dar. Mit Sorge blicken die Wissenschaftler allerdings auf die weltweiten Methanhydrate – hier hätte ein Abschmelzen oder eine andere Form der Destabilisierung wohl fatale Folgen. Auch aus diesem Grund wurden Überlegungen, Methanhydrat als Energiequelle nutzbar zu machen, bisher noch nicht in größerem Stil verfolgt.

Kann ein fremdes Lebewesen die Kontrolle über ein anderes übernehmen?

Gallertartige Masse in Krebsen, Hummern und Wal-Gehirnen – als den Forschern in "Der Schwarm" klar wird, dass es sich jedes Mal um die gleiche Substanz handelt, liegt die Vermutung schnell nahe: Diese Masse bringt die Tiere dazu, die Menschen anzugreifen. Kontrollverlust durch eine andere Lebensform im eigenen Körper – ein Horrorszenario, das realer ist, als es wohl vielen lieb ist.

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Denn dass sich Parasiten in ihren Wirten einnisten und diese manipulieren können, ist bekannt. Den "Yrr", so heißen die Einzeller in der Serie, kommt Toxoplasma gondii erschreckend nahe – der Erreger der Toxoplasmose. Intelligente Absicht kann man dem Parasiten zwar nicht unterstellen, doch ist auch er ein Einzeller, der möglicherweise das Verhalten von infizierten Lebewesen verändern kann.

Der Parasit kann grundsätzlich alle Säugetiere befallen – auch den Menschen. Schätzungen zufolge trägt etwa ein Drittel der Weltbevölkerung den Erreger in sich, etwa aufgrund von verunreinigten Lebensmittel. Meist verläuft die Infektion symptomfrei, gefährlich wird es vor allem, wenn sich Schwangere anstecken. Bei ungeborenen Kindern können durch eine Toxoplasmose Augen und Nerven geschädigt werden.

Studien deuten darauf hin, dass infizierte Tiere ihr Verhalten ändern können: Zum Beispiel können infizierte Nagetiere gegenüber ihrem Fressfeind, den Katzen, weniger vorsichtig werden. Und auch bei manchen Menschen mit Toxoplasmose beschreiben Forscher, dass sie sich aggressiver oder impulsiver verhalten und anfälliger für psychische Erkrankungen sind. Ob diese Veränderung aber wirklich auf den Erreger zurückzuführen ist, ist bislang nicht bewiesen.

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Rächt sich die Natur am Menschen?

Hier beginnt das Reich der Fantasie: Intelligente Lebensformen, die sich mit koordinierten Aktionen gegen die Menschen richten, existieren nicht. Das stellt auch die wissenschaftliche Beraterin der ZDF-Produktion klar. Im Interview mit der "Berliner Morgenpost" sagt Antje Boetius, Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, die "Übermacht der Einzeller des 'Schwarms' (...), die sich am Menschen rächen", sei absolute Fiktion.

Aber: Die Serie enthält trotz der fiktionalen Elemente erhebliche Überschneidungen mit der Realität – zumal sich der Zustand der Meere immer weiter verschlechtert. Die Klimakrise und das Artensterben setzen den Tieren und Pflanzen zu, ebenso die Überfischung oder die Verschmutzung durch Plastikmüll. Auch gebe es Lebensformen im Meer, die sich der Mensch heute noch nicht einmal vorstellen kann, so die Biologin Boetius – und zieht ein beunruhigendes Fazit: "Man hat das Gefühl, die Realität schreibt ein härteres Drehbuch als die Fiktion."

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