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USA: Als Amerika einen "Kaiser" hatte – der den Kongress stürmen wollte


"Kaiser von Amerika"
Dieser Mann wollte den US-Kongress stürmen lassen


05.06.2025Lesedauer: 4 Min.
Joshua Norton: Er war der einzige "Kaiser" der Vereinigten Staaten von Amerika.Vergrößern des Bildes
Joshua Norton: Er war der einzige "Kaiser" der Vereinigten Staaten von Amerika. (Quelle: Granger, NYC/ullstein-bild)
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Er ernannte sich selbst zum Herrscher der USA und warf mit Dekreten geradezu um sich: 1859 bekamen die Vereinigten Staaten einen "Kaiser", der sogar den US-Kongress mithilfe des Militärs abschaffen wollte.

Im Januar 1860 riss Joshua Norton der Geduldsfaden. "Unverzüglich", wies er General Winfield Scott an, mit seinen Soldaten in Washington, D.C. einzurücken. Dort sollte der Oberbefehlshaber des US-Heeres "mit dem nötigen Nachdruck die Hallen des Kongresses räumen".

Wer war dieser Joshua Norton, der sich erdreistete, dem US-Kongress den Kampf anzusagen? Nun, er war kein Geringerer als der "Kaiser von Amerika". "Von Gottes Gnaden" hatte Norton sich am 17. September 1859 in San Francisco zum Herrscher der Vereinigten Staaten ausgerufen. Die Machtübernahme war gut vorbereitet gewesen: Eine Zeitung in der Stadt hatte seine Proklamation gehorsam verbreitet, die Bürger erfuhren auf diesem Wege, dass sie fortan in einer Monarchie anstelle einer Republik lebten:

"Den Wunsch einer großen Mehrheit vorwegnehmend, erkläre und ernenne ich, Joshua Norton, ehemals Algoa Bay (Südafrika), und nun seit neun Jahren und zehn Monaten San Francisco, Kalifornien, mich selbst zum Kaiser dieser Vereinigten Staaten."

Ernst nahm Nortons Selbstermächtigung zum "Kaiser" niemand, aber dafür löste sie Heiterkeit allerorten aus – und brachte dem frischgebackenen Monarchen in San Francisco auch reichlich Sympathie ein. Dieser war um 1811 in England geboren worden, später mit seiner begüterten Familie nach Südafrika ausgewandert und schließlich nach Kalifornien gegangen, um dort während des Goldrausches aus einem kleinen Vermögen ein großes zu machen. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings, Norton verzockte sich beim Spekulieren mit Reis aus Peru und stand schließlich mittellos in seiner neuen Heimat San Francisco da.

Dann eben "Kaiser"

Nach seiner Pleite war Joshua Norton zunächst von der Bildfläche verschwunden, am 17. September 1859 trat er dann mittels seiner Proklamation zum "Kaiser" ins Rampenlicht – das er nicht mehr verlassen sollte. Bereits einen Monat nach seiner "Amtsübernahme" verfügte Norton I. die Auflösung des Kongresses in Washington. Als diese unterblieb, befahl er General Winfield Scott den besagten Einsatz von Soldaten – zu dem es aber nicht kam, weil ihn eben niemand ernst nahm.

Warum aber hegte Norton I. eine Antipathie gegen den Kongress? Dort herrschte seiner Meinung nach die blanke Korruption. Damals war diese Annahme in der US-Gesellschaft durchaus verbreitet – so wie auch aktuell wieder. Donald Trump, in gewisser Weise eine Art Nachfolger von Norton I., wurde auch deshalb ins Weiße Haus wiedergewählt, weil er das Image pflegt, nicht zum Washingtoner Establishment zu gehören, dieses als korrupt darstellt und im Wahlkampf versprach, es zu bekämpfen. Allerdings scheint das Gegenteil der Fall zu sein: So ließ Trump sich soeben von Katar einen Luxusflieger verehren und macht mit einer eigenen Kryptowährung Kasse.

Norton I. hingegen war harmlos – und eine ehrliche Haut. Der "Kaiser von Amerika" wollte sich nach Ansicht seiner Zeitgenossen tatsächlich für die "normalen" Bürger einsetzen. Wie hart das Leben in Armut und Not war, hatte der Bankrotteur schließlich am eigenen Leib erfahren. Nach Nortons "Thronbesteigung" ging es ihm allerdings besser: Er trug eine geschenkte Uniform – goldfarbene Schulterstücke inklusive – zur Schau, dazu einen Zylinder, gefertigt aus Biberfell. Bisweilen wurde Norton I., der sich später auch noch zum "Schutzherrn von Mexiko" machte, bei seinen Spaziergängen durch San Francisco von zwei Straßenhunden namens Bummer und Lazarus eskortiert. In manchen Restaurants, die sich als "Hoflieferanten" bezeichnen durften, speiste der Monarch kostenlos. Die Eigentümer lockten mit dieser Betitelung wiederum Gäste an.

Die Einwohner San Franciscos schätzen ihren "Kaiser", der bald weit über die Grenzen der Stadt hinweg bekannt war und sogar Touristen anzog. Darunter auch Prominente: 1876 hielt sich Brasiliens – echter – Kaiser Dom Pedro II. in San Francisco auf; er äußerte den ausdrücklichen Wunsch, sich mit Norton I. zu treffen. Eine gute Stunde unterhielten sich die beiden Kaiser.

Der "Kaiser von Amerika" genoss in seiner Stadt geradezu Narrenfreiheit. Als ein Polizist Joshua Norton wegen arger Zweifel an dessen geistiger Gesundheit festnahm, regte sich seitens der Zeitungen und Bürger Widerstand. Am Ende bat der Polizeichef Norton I. um Verzeihung; die Polizisten waren zukünftig angewiesen, dem "Kaiser" zu salutieren, wenn sie ihm begegneten.

"Sehr sympathisch"

Für die Zeitungen war Norton I. ein gefundenes Fressen, eifrig berichteten sie über seine zahlreichen Proklamationen und Erlasse. Letztere sind heute Donald Trumps bevorzugtes Instrument, um seine radikale Politik durchzusetzen; damals amüsierte Joshua Norton seine Zeitgenossen eher damit. So verbat sich der "Kaiser" den "fürchterlichen Begriff" Frisco für San Francisco, bei Zuwiderhandlung drohte er Geldstrafen an. Während dies eher eine Frage des Geschmacks war, bewies der Monarch in anderer Hinsicht Weitblick: 1872 wollte Norton I. San Francisco und die Stadt Oakland auf der anderen Seite der San Francisco Bay per Brücke verbinden lassen. In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde dieses Vorhaben tatsächlich Realität.

Was war Joshua Norton aber letzten Endes? Ein geistig verwirrter Mensch, jemand, der unter einer psychischen Erkrankung litt? Oder ein begnadeter Darsteller, der der Gesellschaft den Spiegel vorhielt? Diese Fragen diskutierte seine Umwelt lebhaft, darunter ein berühmter Schriftsteller namens Mark Twain. Dieser hielt Norton I. für die perfekte Verkörperung der Rolle, die dieser spielte. Mit dem "König" in "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" soll Twain Norton I. ein literarisches Denkmal gesetzt haben.

Als "sehr sympathisch" beschreibt der Historiker Kevin Starr Norton I. in seinem Buch "Americans and the California Dream 1850–1915". Entsprechend trauerten die Bürger San Franciscos, als Joshua Norton am 8. Januar 1880 auf offener Straße eines natürlichen Todes starb. "Der König ist tot", schrieb der "San Francisco Chronicle". Mehr als ein paar Dollar hinterließ der erste und einzige "Kaiser" der Vereinigten Staaten der Nachwelt nicht. Und das, obwohl er eine eigene Währung herausgegeben hatte, die allerdings eher Sammler interessierte.

Damit Norton I. aber eine würdige letzte Ruhestätte finden konnte, wurden Spenden gesammelt, eine erkleckliche Summe kam zusammen. Tausende Menschen erschienen schließlich zur Beisetzung Joshua Nortons. Das eindrucksvollste Denkmal setzten ihm allerdings die Comic-Giganten Morris und Goscinny rund 100 Jahre später: 1976 traf Lucky Luke im Wilden Westen auf den "Kaiser von Amerika".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Kevin Starr: "Americans and the California Dream 1850-1915", New York 1973
  • Welt.de: "...ernenne ich mich selbst zum Kaiser der USA"
  • Rod Miller: "The Lost Frontier", Helena 2015
  • Nate Hendley: "The Big Con. Great Hoaxes, Frauds, Grifts, and Swindles in American History", Santa Barbara 2016
  • Spiegel.de: "Der Kaiser von Amerika"
  • Br.de: "Joshua Norton macht sich zum Kaiser der USA"
  • Richard Rand: "Historic Walks in San Francisco", San Francisco 2008

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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