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DDR-Gründung durch Walter Ulbricht 1949: "An so vielem völlig gescheitert"


Historiker Kowalczuk über die DDR
"Das war natürlich völliger Wahnsinn"

InterviewVon Marc von Lüpke

02.10.2024 - 01:57 UhrLesedauer: 10 Min.
Interview
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Walter Ulbricht: Der Machthaber der DDR wollte den Kommunismus um jeden Preis.Vergrößern des Bildes
Walter Ulbricht: Der Machthaber der DDR wollte den Kommunismus um jeden Preis. (Quelle: IMAGO)

Die DDR sollte vor 75 Jahren das "bessere" Deutschland werden, so wollte es ihr Gründer Walter Ulbricht. Gescheitert ist die DDR dann auf ganzer Linie. Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk erklärt, warum Ulbricht und sein Staat versagten.

Konkurrenz bekam die Bundesrepublik Deutschland, als am 7. Oktober 1949 die DDR als zweiter deutscher Staat gegründet wurde. Sozialer sollte die DDR sein, gerechter und zukunftsorientierter, das war der Plan ihres Gründers Walter Ulbricht. Doch ihren Ansprüchen wurde die ostdeutsche Diktatur nicht gerecht.

Woran scheiterte der sogenannte Arbeiter- und Bauernstaat? Was für ein Politiker war Walter Ulbricht? Und warum war der Preis für Schrippen in der DDR ein Politikum? Diese Fragen beantwortet Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Autor einer aktuellen zweibändigen Biografie Walter Ulbrichts, im Interview.

t-online: Herr Kowalczuk, was für ein Staat war die DDR?

Ilko-Sascha Kowalczuk: Die DDR war eine Diktatur. Punkt. Und zwar die Diktatur einer Partei, die den Kommunismus durchsetzen wollte – mit allen Mitteln, zu jedem Preis. Nun wird der eine oder andere sicher einwenden, dass die SED mit ihrer DDR weit vom Kommunismus entfernt gewesen sei. Doch diese Aussage ist purer Blödsinn. Wenn das von 1917 bis 1989/91 kein richtiger Kommunismus mit Millionen Toten gewesen ist, dann will ich lieber nicht wissen, was ein "richtiger" Kommunismus zu leisten imstande ist. Persönlich erleben möchte ich das nicht.

Heute wird die DDR in Teilen der ostdeutschen Gesellschaft verklärt und vermisst. Was ist Ihre Erklärung für dieses Phänomen?

Die DDR war ganz anders, als manche Leute sich das heutzutage in ihrer Ostdeutschtümelei zurechtfantasieren. Glauben Sie mir: Kein Mensch will die DDR zurück, wie sie wirklich gewesen ist. Sie war ein sehr unfreier Staat, kein Ostdeutscher möchte heute – aus verständlichen Gründen – auf Reisen an die schönen Orte weltweit verzichten. Oder auf andere Annehmlichkeiten, die der Kapitalismus bietet. An so vielem ist die DDR völlig gescheitert. Die DDR wird von vielen heute verklärt, weil die Gegenwart von ihnen als Zumutung wahrgenommen wird, weil jeder – ganz anders als in der DDR – dazu aufgerufen ist, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen.

Zur Person

Ilko-Sascha Kowalczuk, 1967 in Ost-Berlin geboren, ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaften und Kultur. Der Experte für die Geschichte von DDR und Kommunismus veröffentlichte 2023 und 2024 seine zweibändige Biografie von Walter Ulbricht: "Der deutsche Kommunist" und "Der kommunistische Diktator". Kürzlich erschien sein neuestes Buch "Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute".

Dabei sollte die kommunistische DDR nach ihrer Gründung am 7. Oktober 1949 eine Art besseres Deutschland sein. So hatte es Walter Ulbricht als ihr dominierender Politiker gewollt, über den Sie kürzlich mit "Der deutsche Kommunist" und "Der kommunistische Diktator" eine zweibändige Biografie verfasst haben.

Das war seine Utopie, ja. Die DDR war ein Produkt des Nationalsozialismus. Denn ohne den von den Nationalsozialisten verursachten Zweiten Weltkrieg wäre die Rote Armee nicht dorthin gekommen. Das hatte dann Folgen für beide deutschen Staaten: Die DDR verstand sich immer als Gegenentwurf zur Bundesrepublik Deutschland, die sie des Faschismus, Kapitalismus und der Kriegslüsternheit beschuldigte. Daraus zog die DDR ihre Hauptlegitimation, mit ihr wollten die Kommunisten etwas anderes ausprobieren, einen sozialistischen Gegenentwurf zu Westdeutschland. Heraus kam eine kommunistische Diktatur, deren sinnfälligstes Bauwerk die Berliner Mauer wurde: Ein Freiluftgefängnis, in dem selbst der Besitz und die Verbreitung unerwünschter Bücher verfolgt werden konnte, in dem der Schulunterricht hochgradig ideologisiert war, in dem es außerhalb von Kirchen keinen Platz gab, der von der Diktatur nicht ausgeleuchtet worden wäre.

In der Theorie sollte die DDR der gerechtere und sozialere der beiden deutschen Staaten sein. Hatte sich Ulbricht mit seinen Genossen in eine Traumwelt begeben?

Es ging Ulbricht und den anderen um eine andere Form von Gerechtigkeit, auch um andere Formen von Sozialpolitik und der Abbildung von Mehrheitsverhältnissen. In der Praxis war das zum Scheitern verurteilt, aber sie haben verdammt lange gebraucht, um das zu kapieren. Wenn sie es denn überhaupt jemals kapiert haben. Die berühmte DDR-Schrippe, also ein Brötchen, kostete 1989 immer noch lediglich fünf Pfennig pro Stück. Das war natürlich völliger Wahnsinn, wie Fachleute – auch Technokraten aus der SED-Politbürokratie – auch immer wieder betont haben. Genau wie die vielen subventionierten Preise für andere Produkte. Aber Honecker hat eine Preisanpassung untersagt, er glaubte, dass eben dies SED und DDR legitimieren würde.

Ein Schrippenpreis in Höhe von fünf Pfenning?

Das klingt völlig absurd, aber so ist es. Diese extreme Subventionspolitik verstanden Leute wie Ulbricht und sein Diadoche Honecker als Versuche, die materiellen Bedürfnisse eines großen Teils der Gesellschaft irgendwie zu befriedigen. Das ist ihnen nicht ansatzweise gelungen, aber in ihrem Selbstverständnis haben sie durch die absurd hohe Subventionierung von Mieten, von Kultur und Nahrungsmitteln den DDR-Bürgern etwas Gutes getan. Das war dann, neben anderen Gründen, auch der Sargnagel für die DDR, wirtschafts- und sozialpolitisch gesehen: "Ruinen schaffen ohne Waffen" lautete ein sarkastischer Slogan, der darauf reagierte.

Warum hat die SED diese Praxis dann nicht eingestellt?

Genau wie der Nationalsozialismus eine Antwort auf die Krise der Weimarer Republik gewesen ist, war es auch die DDR auf lange Sicht betrachtet. Und zwar eine kommunistische Antwort angesichts der Erfahrungen der entbehrungsreichen Zeit der Weltwirtschaftskrise seit 1929: Die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung müssen befriedigt werden. Das war den Gründern der DDR ins Hirn eingebrannt, vor allem Honecker kam aus dieser Falle nicht mehr heraus. Er hing kulturell und mental in der Zwischenkriegszeit fest.

Nicht zuletzt goutierten die DDR-Bürger diese rudimentäre und subventionierte Versorgung seitens der SED irgendwann nicht mehr?

Meine Generation, ich bin 1967 in Ost-Berlin geboren, konnte sich bereits schon nicht mehr tagtäglich über den Schrippenpreis von fünf Pfennig freuen. Das war einfach normal, viele haben darüber gelacht, andere, wie ich, den Kopf geschüttelt. Ja, die DDR hatte große Ziele: Sie wollte die Leute satt machen, ihnen ein Dach überm Kopf und Arbeit geben. Das hat sie auf sehr niedrigem Niveau auch irgendwie hinbekommen. Aber dass der Mensch noch andere Bedürfnisse hat? Damit konnten die Kommunisten einfach nicht umgehen.

Bereits Marx' Mitstreiter Friedrich Engels wies einst darauf hin, dass Politik überhaupt erst beginnt, wenn die Leute satt sind.

Genau. Sie hätten Marx und Engels genauer studieren sollen. Die historische Protestforschung zeigt, von wem Gefahr für ein System ausgeht. Wer stand am Anfang der Proteste im Ersten Weltkrieg? Das waren die hoch qualifizierten und gut bezahlten Facharbeiter. Die Beobachtung lässt sich ähnlich auch für Ostdeutschland machen.

Protest sollte in der DDR schlichtweg überflüssig sein, weil die Bürger allesamt wunschlos glücklich im Kommunismus werden würden, so erhoffte es sich ihr Gründer Walter Ulbricht. Was war das für ein Mann?

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Ich habe mich in den vergangenen Jahrzehnten ausgiebig mit Walter Ulbricht beschäftigt. Er muss sehr, sehr spröde gewesen sein, unglaublich fleißig und mit einem exzellenten Gedächtnis ausgestattet. Wenn ich spröde sage, meine ich aber nicht, dass Ulbricht die Menschen nicht ansprechen konnte. Im Gegenteil, er gehörte zu den kommunistischen Funktionären, die vor 1933 ein Publikum stundenlang unterhalten haben. An Ulbricht muss also schon etwas dran gewesen sein. Die Karikatur und Spottfigur, als die er seit den 50er-Jahren gezeichnet wurde, sagt auch viel über jene, die sich über ihn lustig machten: Es war ein Ausdruck von Ohnmacht und – so absurd es klingt – auch Anerkennung.

Der spätere Machthaber der DDR war gelernter Tischler. Wie war diese Karriere möglich?

Ulbricht verfügte über einen eisernen Willen, eine unfassbare Disziplin und einen unstillbaren Drang nach Wissen. Das war in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, vor allem ihren aufstrebenden Funktionären, um die vorige Jahrhundertwende herum üblich: Diese Leute wussten, dass Bildung der Schlüssel zum Aufstieg war. Einen besseren und gerechteren Staat wollten diese Leute erreichen. Darin bestand das Ziel der Arbeiterbewegung, in dieser Hinsicht war Ulbricht ihr typischer Vertreter.

Und in welcher Hinsicht nicht?

Er war Dogmatiker, Ulbricht kämpfte hart und verbissen, konnte absolut kompromisslos sein. Aber Ulbricht hat niemals etwas für den eigenen Vorteil getan. Das lässt sich nicht für jeden Arbeiterführer behaupten. August Bebel, Mitgründer der SPD, wurde nicht umsonst der "Kaiser der Arbeiter" genannt, dem ging es als Millionär ziemlich gut. Viel von dem Geld bekam Bebel durch Tantiemen für seine Schriften, auch Ulbricht erhielt immer wieder dadurch riesige Summen aufs Konto überwiesen. Er ließ stets das ganze Geld zurückgehen. Ulbricht beharrte darauf, dass die DDR und SED ihn bezahlten, mehr wäre unverdient.

Andere Parteifunktionäre der SED ließen es sich hingegen gut gehen?

In einem solchen System wie der DDR stellt sich das automatisch ein. Auch in der kommunistischen Bewegung gab es genug Leute, die bei aller Theorie und bei aller Ideologie am Ende mehr am eigenen Wohlergehen interessiert waren, denn an der Sache. Das war bei Ulbricht nie der Fall, es ging ihm nicht um Privilegien für eine bestimmte Kaste. Übrigens ähnelte ihm hier Honecker doch auffällig, will ich mal hinzufügen.

Die Eigenschaften, die Sie Ulbricht attestieren, führten allerdings auch dazu, dass er keinerlei Rücksichten bei der Verfolgung seiner Pläne nahm. Leute, die sich ihm widersetzten, mussten dafür büßen.

Ulbricht hatte ein dichotomisches Weltbild, klar und nicht hinterfragt. Gut und Böse, richtig und falsch waren bei ihm eindeutig sortiert. Auf der einen Seite gab es Ulbricht und seine Sicht auf die Welt, auf der anderen die Kapitalisten, Fatalisten, Imperialisten und Faschisten. Das war alles eine Soße für ihn. Er war einer der härtesten Leninisten, Vertreter der Machtideologie Leninismus, die es gab – darin ähnelte er seinem Idol Stalin stark.

Auch die Sozialdemokratie bekämpfte Ulbricht auf Heftigste?

Die hasste er ganz besonders, noch mehr als die Kapitalisten. In der Sowjetunion hatten sich Josef Stalin und sein Kumpan Grigori Sinowjew in der 1920er-Jahren die These vom Sozialfaschismus ausgedacht, danach sind die Sozialdemokraten der schlimmste Feind. Ulbricht glaubte daran, deswegen war er auch im Prinzip einer der Totengräber der Weimarer Republik, weil er sie ebenso wie die Nationalsozialisten bekämpfte und unterminierte.

Als die Weimarer Republik 1933 durch die Errichtung der NS-Diktatur unterging, musste Ulbricht allerdings nach Prag, Paris und dann nach Moskau fliehen.

Diese Emigrationsphase ist sehr interessant. Ich habe auch sie in der Ulbricht-Biografie ausführlich geschildert. Sie war für die Jahre nach 1945 besonders prägend. In der Sowjetunion hat er dann 1944 die Idee entwickelt, dass man sich einfach eine Sozialdemokratie erschaffen müsste, die beherrschbar sei. Denn als Ulbricht 1945 nach Deutschland zurückkehrte, war ihm klar, dass er sich irgendwie mit "einer" Sozialdemokratie arrangieren musste. Das mündete dann in die Zwangsvereinigung von SED und SPD in der sowjetischen Besatzungszone 1946.

Ulbricht avancierte recht schnell zum "starken Mann" der DDR, trotz einiger Nebenbuhler. Wie hat er das geschafft?

Otto Grotewohl, ursprünglich von der SPD und dann ab 1949 der erste Ministerpräsident der DDR, war ebenfalls ambitioniert, aber er blieb in den Augen der Sowjets stets schwach und letztlich unzuverlässig, er war alter Sozialdemokrat. Wilhelm Pieck hingegen war in Moskau sehr beliebt und hochgeachtet, aber er war seit Anfang der 1940er-Jahre nicht mehr voll belastbar und viel krank. Aber am Ende haben sie sich alle Ulbricht unterworfen, weil dieser einfach der wichtigste Mann in der Sowjetischen Besatzungszone gewesen ist. Denn die Russen hörten sogar auf Ulbricht, es war ihr Mann, aber sie liebten ihn nicht besonders.

Warum?

Mit Ulbricht konnte man nicht gut Wodka saufen, sein Russisch war wohl auch nicht besonders. Er war ein spröder Typ, wie gesagt. Aber Ulbricht brachte eine Eigenschaft mit, die Stalin ganz besonders schätzte.

Welche?

Ulbricht konnte organisieren – und zwar in Perfektion. Das hatte er sein ganzes Leben lang getan, nun musste ein neuer Staat in Form der DDR organisiert werden. Zum Organisieren gehört eine harte Hand, es braucht klare Strukturen und Verantwortlichkeiten. Dabei half ihm sein Elefantengedächtnis, hinter vorgehaltener Hand nannten sie ihn "Genosse Kartothek". Und nicht zuletzt verfügte Ulbricht über einen unglaublichen Arbeitswillen. Niemand hat so viel gearbeitet wie Ulbricht, niemand so viele Akten gefressen wie er.

Mit seinem schütteren Aussehen, dem mausgrauen Habitus und dem sächselnden Akzent wurde und wird Ulbricht als eine Art Karikatur eines Diktators gesehen. Was ist Ihre Ansicht?

Immer wieder hat man versucht, Ulbricht kleiner zu machen, als er war. Über ihn wurden Witze gerissen, er wurde verlacht. Dabei sind ihm wortwörtlich Millionen Menschen in der DDR gefolgt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die DDR zwar eine Diktatur mit dem vollen Arsenal an Verfolgung und Bestrafung gewesen ist, aber sehr, sehr viele Menschen an den Kommunismus damals geglaubt haben. Ja, Ulbricht konnte sehr schwierig sein, auch überaus wendig. Letzteres wurde ihm als Opportunismus ausgelegt.

Sie beschreiben Ulbricht als kompromisslosen Dogmatiker. Wie passt da die Wendigkeit dazu?

Dogmatiker war er zweifelsohne, aber Ulbricht verfügte auch über die Fähigkeit, Entwicklungen früh zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Das als Opportunismus zu bezeichnen, halte ich für Quatsch. Es war eine Form seiner hohen Intelligenz. Opportunisten befinden sich nie an Position Nummer eins eines Staates oder einer Partei, sondern auf den Positionen zwei, drei, vier und so weiter. Eine gewisse Kaltblütigkeit, diese Kaltschnäuzigkeit, die braucht jemand an der Spitze, egal, ob es sich um eine Diktatur oder Demokratie handelt. Ulbricht hatte das.

Die DDR war Ulbrichts ureigenstes Geschöpf, heute wird mit Erich Honecker eher sein Rivale und Nachfolger mit ihr verbunden.

Für Ulbricht gab es nichts Wichtigeres als die DDR. Da der Kommunismus in seiner Ideologie ohnehin am Ende siegen sollte, hat er seiner Arbeit alles andere untergeordnet. Diese Unbedingtheit macht ihn für Biografen sehr interessant. Ulbricht war 1949 der Geburtshelfer der DDR, 1961 hat er sie durch den Bau der Berliner Mauer stabil gemacht. Und sie endgültig in ein Freiluftgefängnis für Millionen Menschen verwandelt. Den Anteil Erich Honeckers schätze ich eher als sehr, sehr gering ein. Aber er hat die Früchte geerntet, für die Ulbricht hart gearbeitet hatte.

Worauf spielen Sie an?

Die DDR war lange Zeit weitgehend isoliert, von anderen kommunistischen Staaten abgesehen. Ulbricht bemühte sich, diesen Zustand zu ändern. Doch die Welle internationaler Anerkennung folgte erst, als Honecker Ulbricht schon in die Ecke gestellt hatte. Ansonsten hat Honecker nicht viel bewegt. Die Wirtschafts- und Subventionspolitik? Davon hat Honecker die Finger gelassen und vor allem Geld ausgegeben, das nicht erwirtschaftet worden war.

Also hat Honecker die von Ulbricht geformte DDR mehr oder weniger bis zu ihrem Ende hin verwaltet?

Das trifft es recht gut. Die von Honecker verfolgte angebliche Einheit – es war eben keine, sondern die Sozialpolitik hat Vorrang – von Wirtschafts- und Sozialpolitik? Das war einfach nur zukunftsuntauglich, wie die Honecker-SED das anging. Persönlich glaube ich, dass die DDR letzten Endes aber nicht aus wirtschaftlichen Gründen zugrunde ging, sondern politisch gescheitert ist. Solche Systeme scheitern am Schluss immer politisch, auch weil der Macht- und Sicherheitsapparat erodiert und sie dem Widerstand nichts mehr entgegenzustellen haben. Die DDR hatte immer das "Pech", nur Teil eines Ganzen zu sein, und jeder konnte Tag für Tag durchs Schaufenster schauen, wie bunt und frei die Welt sein kann.

War nicht bereits der von Ulbricht veranlasste Bau der Mauer in Berlin die Bankrotterklärung der DDR?

Da gibt es eine bezeichnende Anekdote. Anfang der 1960er-Jahre war Ulbricht zu Besuch in Moskau bei Nikita Chruschtschow, dem damaligen starken Mann der UdSSR. Chruschtschow hatte eine spezielle Art der Kommunikation, offen, derb und originell. Auf diese Art erklärte er dem "Genossen Walter" sinngemäß, dass die Mauer ja schön und gut sei, aber Ulbricht nun niemand anderen mehr für die Dinge, die in der DDR schiefgingen, verantwortlich machen könne. Also, ja, die DDR war damals schon todgeweiht, sie wusste es nur noch nicht. Als Ulbricht 1973 starb, sollte die DDR die Leute immer noch für weit mehr als ein Jahrzehnt einsperren. Dass dieser Laden heute so verklärt wird, ist mir völlig unverständlich.

Herr Kowalczuk, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ilko-Sascha Kowalczuk via Videokonferenz
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