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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zweiter Weltkrieg Als Amerika Rache für Pearl Harbor nahm
1941 plante Isoroku Yamamoto den japanischen Überfall auf Pearl Harbor. Seitdem sahen die USA den Admiral als "Staatsfeind Nummer eins". Und waren auf Vergeltung aus.
Raubvögeln, die sich über ihre Beute hermachen, glich der Luftkampf, der sich am Morgen des 18. April 1943 über der Salomoneninsel Bougainville im Pazifik ereignete: Amerikanische P-38-Lightning-Jagdflugzeuge überraschten zwei japanische Bombermaschinen, die gerade im Begriff waren zu landen.
Nach kurzem, heftigem Beschuss trudelte der erste Bomber ins Meer, während der zweite von Salven durchlöchert direkt in den Dschungel abstürzte. Zwei Insassen des ersten Flugzeuges konnten gerettet werden, für die der zweiten Maschine kam jede Hilfe zu spät. Unter ihnen kein Geringerer als Admiral Isoroku Yamamoto. Ihm hatte die Attacke gegolten.
Dr. Takuma Melber, Jahrgang 1983, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heidelberg Centre for Transcultural Studies (HCTS) der Universität Heidelberg. Der deutsch-japanische Historiker ist Experte für die Geschichte des Zeitalters der Weltkriege im asiatisch-pazifischen Raum. 2016 veröffentlichte Melber sein Buch "Pearl Harbor. Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA", ein Jahr später folgte "Zwischen Kollaboration und Widerstand. Die japanische Besatzung in Malaya und Singapur (1942-1945)". Auf dem "Portal Militärgeschichte" des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V. ist ein anderer Artikel Melbers zu Isoroku Yamamoto erschienen.
Nur wenige Tage zuvor hatte der US-Nachrichtendienst einen japanischen Funkspruch abgefangen und dekodiert – eine der erfolgreichsten Intelligence-Aktionen des Zweiten Weltkriegs. Das Entschlüsseln und Mitlesen des Reiseplanes Yamamotos, der am frühen Morgen des 18. April den Stützpunkt Rabaul für eine Truppeninspektion auf den Salomonen verließ, gab den Startschuss für die Planung von Operation Vengeance (Unternehmen Rache).
Und nicht ohne Grund bezeichneten die USA diese Aktion als Racheunternehmen: Denn seit eineinhalb Jahren galt Admiral Yamamoto in den USA als Staatsfeind Nummer 1. Als Befehlshaber der Vereinigten Flotte Japans war er der strategische Kopf hinter dem japanischen Überraschungsangriff auf den US-Flottenstützpunkt in Pearl Harbor (Hawaii) gewesen.
Vater war ein Samurai
Am frühen Morgen des 7. Dezember 1941 waren Torpedobomber und Jagdflugzeuge von einer Trägerflotte gestartet, um in einer konzertiert ausgeführten Attacke amerikanische Schlachtschiffe in zwei Angriffswellen anzugreifen. Mit diesem Präventivschlag versetzte das Japanische Kaiserreich den USA einen empfindlichen Schlag: Japans Angreifer zerstörten zahlreiche Schiffe und Flugzeuge; über 2.400 US-Soldaten verloren ihr Leben.
Allein die Versenkung des Schlachtschiffes "USS Arizona" forderte über 1.100 Todesopfer. Im Anschluss an den Überraschungsangriff wurde Admiral Yamamoto in seiner Heimat für seinen vermeintlich genialen militärischen Schachzug als Volksheld gefeiert und verehrt. Pearl Harbor galt als der größte Erfolg in der Militärgeschichte des modernen Japans seit dem Russisch-Japanischen Krieg von 1904/1905. Für die Vereinigten Staaten von Amerika stellte Pearl Harbor dagegen ein nationales Trauma dar. "Rache für Pearl Harbor" war einer der Slogans der amerikanischen Kriegspropaganda – mit Admiral Yamamoto als "Enemy of the State".
Dabei hatte Yamamotos Grundhaltung eigentlich nichts ferner gestanden als ein Krieg mit den USA: Am 4. April 1884 wurde er als Isoroku Takano geboren, er soll bereits zu Schulzeiten ein Faible für Benjamin Franklin, die USA und ihre liberal-demokratische Werteordnung entwickelt haben. Sein Vater war ein Samurai, der im Zuge der Meiji-Restauration, der Modernisierung Japans nach westlichem Vorbild, verarmte.
Isoroku schlug eine erfolgreiche militärische Laufbahn ein. Den Russisch-Japanischen Krieg erlebte er als Kadett auf dem Kreuzer "Nisshin". Dabei wurde er in der Seeschlacht von Tsushima schwer verwundet. Da er die Marinehochschule mit überdurchschnittlichen Leistungen absolvierte, adoptierte ihn der altehrwürdige Yamamoto-Clan, der auf der Suche nach einem männlichen Erben auf ihn aufmerksam geworden war.
Unbezwingbarer Goliath
Von da an trug er den Namen Isoroku Yamamoto. Schließlich studierte er in Harvard Englisch, bevor er Mitte der 1920er Jahre als Marineattaché in Washington tätig war. Gerade in dieser Zeit lernte er die USA, ihre Kultur, Land und Leute kennen und auch lieben: Die Größe und Potenz des Landes, vor allem im ökonomischen Bereich, wurde ihm dabei durch das Studium vor Ort sehr bewusst. In der Folgezeit warnte Yamamoto stets vor einer Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten: Eine Nation wie Japan könne es mit einem Land solcher Größe niemals ernsthaft aufnehmen.
Bei Reisen nach Texas und ins benachbarte Mexiko erkannte er, dass eine Ressource für die wirtschaftlichen, aber auch militärischen Belange seiner Zeit von zentraler Bedeutung war: Erdöl. Und davon besaßen die USA im Gegensatz zu Japan sehr viel. Auch soll Yamamoto die amerikanische Frauenwelt verehrt haben – nicht nur aufgrund äußerer Reize, sondern vor allem aufgrund ihrer emanzipatorischen Züge. Sein Faible für Strategiespiele und strategisches Denken pflegte er auch in den USA, wo Yamamoto beispielsweise das Pokerspiel kennenlernte.
In der Zwischenkriegszeit zählte Yamamoto zum moderaten Flügel innerhalb der Kaiserlichen Marine Japans. Er favorisierte einen Deeskalationskurs und sprach sich etwa als Vertreter der japanischen Delegation auf der Londoner Flottenkonferenz 1930 zum Erhalt des Friedens in der Welt, primär aber zum Wohle seines Landes für maritime Abrüstung aus. Einem Bündnis mit Berlin und Rom stand der anglophile Yamamoto kritisch gegenüber, sah er doch voraus, dass ein solches in einer Konfrontation mit den Angloamerikanern münden würde.
Die Versenkung des auf dem Jangtse patrouillierenden Kanonenboots "USS Panay" während des Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieges 1937 durch japanische Piloten löste eine diplomatische Krise zwischen Japan und den USA aus. Hier war es unter anderem Yamamoto, der mit Worten und Gesten der Entschuldigung half, eine frühere militärische Konfrontation mit den USA zu vermeiden.
Unwiederbringlicher Verlust
Treue zu Kaiser und Nation waren Teil seines soldatischen Selbstverständnisses und letztlich Grund dafür, dass Amerikafreund Yamamoto als Befehlshaber der Vereinigten Flotte Japans in federführender Position einen Krieg gegen die USA führte – eine Konstellation, welche eine wohlbekannte Geschichtsdokumentationsreihe mit den Worten "Ironie der Geschichte" betiteln würde.
In militärstrategischer Hinsicht war er ein progressiv und geradezu revolutionär Denkender, der die Bedeutung von maritimen Luftstreitkräften und Flugzeugträgern früh erkannt hatte. Yamamoto muss daher schon bald nach Pearl Harbor klar gewesen sein, dass – allen Jubelstürme im eigenen Land zum Trotz – der von ihm en détail einstudierte Überfall in Wahrheit kein nachhaltiger Erfolg war.
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Denn wie durch ein Wunder waren die eigentlichen Hauptziele des Angriffs, nämlich die amerikanischen Flugzeugträger, am Morgen des 7. Dezember 1941 nicht im Hafen von Hawaii und blieben von Japans Angriff verschont. Als Admiral Yamamoto Anfang Juni 1942 bei der Trägerschlacht bei den Midwayinseln vier und damit den Kern seiner Flugzeugträger verlor, wusste auch er, dass dies der Wendepunkt im Pazifikkrieg war. Das Kaiserreich war nun in die Defensive gedrängt. Mit dem Tod seines Chefstrategen am 18. April 1943 erlitt es einen weiteren erheblichen Schlag, den es bis Kriegsende nicht mehr kompensieren konnte.
Noch heute wird die Erinnerung an Yamamoto als einem der bedeutendsten Militärplaner und -strategen in Japan hochgehalten – vor allem in seiner Heimatstadt Nagaoka (Präfektur Niigata). Hier sind ein Park, in dem sich ein Nachbau seines Geburtshauses und eine Yamamoto-Statue befinden, sowie eine Gedenkstätte nach ihm benannt.
"Tragischer Held"?
Letztere widmet sich umfänglich der Biografie des posthum zum Großadmiral ernannten Sohns der Stadt und stellt in seiner Ausstellung auch den linken Flügel der Absturzmaschine des Modells Mitsubishi G4M Hamaki (Zigarre) aus. Zudem findet sich in Nagaoka Yamamotos Grab, das erstaunlicherweise nicht das einzige im Land ist. Denn bevor er in Nagaoka beerdigt wurde, war ihm bereits in Tokio ein großes, propagandistisch zelebriertes Staatsbegräbnis zuteilgeworden.
Dieses sollte seinen Stellenwert untermauern und fand nicht ohne Zufall am 5. Juni 1943 statt. Denn exakt neun Jahre zuvor war Admiral Togo, Japans großer Held des Russisch-Japanischen Krieges, zu Grabe getragen worden. Bis heute gilt Isoroku Yamamoto einerseits als ein kluger, progressiv-modern denkender Kopf und genialer Militärstratege, andererseits als "tragischer Held", der einem Krieg mit den USA zum Opfer fiel, den er selbst nie hatte führen wollen.