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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Künstliche Intelligenz Kann sie uns vor Katastrophen schützen?
Wetterextreme wie die Ahrtal-Katastrophe werden in Zukunft immer häufiger. Könnte uns Künstliche Intelligenz früher vor diesen Gefahren warnen?
Vor rund 250 Jahren veränderte die Einführung von industriellen Maschinen die Welt. Neben einem massiven Anstieg der Produktionskraft und einer Maximierung des Wohlstands wirkt sich die Industrialisierung bis heute negativ auf unser Klima aus. Wie können die Menschen sich vor den Auswirkungen schützen?
Eine Lösung könnte Künstliche Intelligenz (KI) sein. Die Technik, die im Grunde Maschinen und Computern das eigenständige Lernen ermöglicht, führt bereits in vielen Bereichen zu revolutionären Veränderungen. Zuletzt hat beispielsweise Nvidia, einer der größten Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen, seine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Wetterunternehmen Meteomatics bekannt gegeben.
Wird also KI dazu führen, dass wir in Zukunft Extremwettereignisse besser vorhersagen können? t-online hat mit dem Meteorologen Mathias Rudolph vom Deutschen Wetterdienst (DWD) darüber gesprochen, inwieweit KI uns vor den Auswirkungen der Klimakrise schützen kann.
t-online: Herr Rudolph, kann KI unsere Wettervorhersagen verbessern?
Mathias Rudolph: Wir arbeiten bereits seit Langem mit Wettervorhersagemodellen. Im Grunde ist ein Wettermodell nichts anderes als eine KI. Aber natürlich gibt es aktuell in vielen Unternehmen Forschungen zu Wettervorhersagen, die sich auf KI-Systeme stützen – Google bietet das beispielsweise in vielen Teilen der Welt bereits an.
Warum nutzt der Deutsche Wetterdienst bisher kein KI-basiertes System?
Am Ende sind die Systeme gar nicht so unterschiedlich – sie werden eben nur anders genannt. Das Hauptproblem, das wir aktuell bei den KI-basierten Systemen sehen, ist deren fehlende Erfahrung. Die KI wird erst aussagekräftig, indem sie selbst lernt und Erfahrungen sammelt – und das braucht Zeit. In naher Zukunft werden KI-basierte Wettermodelle daher keinen signifikanten Vorteil im Vergleich zu den altbewährten Modellen bieten können.
Ist die häufig angepriesene KI-Unterstützung also mehr ein Marketinggag?
In Zukunft können diese Modelle mit Sicherheit einen Vorteil bringen. Ob das in zwei oder zehn Jahren ist, ist schwer zu beurteilen. Aber die Entwicklung in diesem Bereich schreitet immer schneller voran – die Zukunft wird zeigen, ob die bereits bestehenden Modelle in der Genauigkeit ihrer Prognose überholt werden.
Wie funktionieren die bisherigen Wettermodelle des Deutschen Wetterdienstes?
Zunächst gibt es die numerische Wettervorhersage. Die Wettermodelle, die in diesen Bereich fallen, rechnen mit einem Modellgitter, das über die Erdoberfläche gelegt wird. Zusätzlich existieren noch statistisch unterstützte Modelle, die einer KI sehr nahekommen. In Teilen sind sie auch selbstlernend – also genau das, was eine KI eigentlich ausmacht.
Wie gehen diese KI-ähnlichen Wettermodelle konkret vor?
Das Wettermodell errechnet eine Vorhersage und prüft im Nachgang, ob diese zutreffend war. Hat das Modell beispielsweise 10,5 Grad vorhergesagt und es sind am Ende 10,8 Grad eingetreten, gleicht das Modell seine künftigen Berechnungen an und versucht so, die Fehler auszumerzen. Aber ein Wettermodell kann weit mehr als das.
Es berechnet nicht nur Einzelwerte, sondern die gesamte Wetterlage und gleicht diese dann mit der Vergangenheit ab. Ist eine solche Wetterlage beispielsweise vor fünf, zehn oder 15 Jahren bereits einmal aufgetreten, lässt das Modell die Erkenntnisse von dieser Situation mit in die Vorhersage einfließen – eine Fähigkeit, die den KI-basierten Modellen aufgrund von fehlender Langzeitdaten noch fehlt.
Könnten mit Unterstützung von KI extreme Wetterlagen wie die Ahrtal-Katastrophe 2021 besser vorhergesagt werden?
Die Ahrtal-Katastrophe war ein extrem seltenes Ereignis. Eine KI hätte keinen signifikanten Vorteil in der Prognose gehabt. Es gab keine Daten zu solch einer Extremwetterlage, weil sie in dieser Form die erste seit mehreren Hundert Jahren war. Wenn wir die Daten im Zusammenhang mit der Katastrophe nun einer KI zur Verfügung stellen, könnte diese ein zweites Ahrtalereignis wahrscheinlich vorhersagen – aber eben aufgrund der bisher gesammelten Datensätze.
Zum Vergleich: Inwieweit konnte der DWD mit seinen klassischen Wettermodellen die Situation im Ahrtal vorhersagen?
Aus meteorologischer Sicht konnte das Starkregenereignis gut und mit entsprechender Vorlaufzeit vorhergesagt werden. Unsere Modelle hatten auch die Niederschlagsspitzen von rund 200 Litern pro Quadratmeter prognostiziert.
Die errechnete Wahrscheinlichkeit für diese extrem hohen Niederschlagssummen war vergleichsweise gering. Aber wenn statistisch seltene, extreme Ereignisse mit zehn, 20 oder 30 Prozent Wahrscheinlichkeit in der Vorhersage auftauchen, dann ist das immer ein deutliches Alarmzeichen. Das mag für den Bürger unlogisch wirken, wenn er das so im Radio hört – für uns Experten war aber klar, das muss unbedingt ernst genommen werden.
Warum ist eine niedrige Wahrscheinlichkeit bei einem Extremwetterereignis anders zu bewerten als sonst?
Wir müssen eine Vorhersage immer zusammen mit dem langjährig aufgetretenen Wetter betrachten, das statistisch zu erwarten ist. Ein Beispiel: Wenn es sich um eine Wetterlage handelt, die häufig auftritt – wie leichter Nieselregen bei acht Grad –, dann sind 20 Prozent sehr wenig, denn diese Wetterlage kennen die Modelle aus der Vergangenheit.
Wenn die Modelle aber ein extremes Ereignis prognostizieren, wie es im Ahrtal der Fall war, dann sind diese 20 Prozent ganz anders einzuordnen. Denn obwohl so eine Wetterlage in dieser Form bisher noch nicht eingetreten ist, haben einige Modelle es vorhergesagt. Und dann sind solche Vorhersagen trotz der geringen Wahrscheinlichkeit mit einem deutlich erhöhten Risiko verbunden.
Wie konnte es trotz der Vorhersagen zu so einer Katastrophe kommen?
Hier gibt es verschiedene Gründe. Einerseits spielt zum Beispiel die spezielle Orografie eine Rolle, also die beschreibende Darstellung des Reliefs der Erdoberfläche. Andererseits sind auch hydrologische Themen nicht zu vernachlässigen, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen.
Im Ahrtal war es das erste Starkregenereignis in dieser Form seit mehreren Hundert Jahren. Möglicherweise gab es deshalb eine Fehleinschätzung der Lage, weil man ein solches Ereignis nicht gewohnt war. So schwierig die Aufarbeitung aber auch sein mag – an vielen Stellen wurden Maßnahmen ergriffen, um in Zukunft besser geschützt zu sein. Ein Stichwort wäre hier das Cell Broadcast, das helfen wird, gerade bei Extremwetterlagen immer am Ball zu bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Interview mit Mathias Rudolph