Mobbing oder nur ein Spiel? Forscher fordern Abschaffung von Völkerball im Sportunterricht
Völkerball gehört zu Deutschlands Schulen wie kaum ein anderer Sport. Doch nun kritisieren
Kanadische Wissenschaftler kritisieren in einer neuen Studie den Traditionssport Völkerball. Er sei gleichzusetzen mit "legalisiertem Mobbing". Starke Schüler würden das Spiel nutzen, um schwache Klassenkameraden zu demütigen. Der Sport sei "entmenschlichend" und "unterdrückend". Er fördere Ausgrenzung und Machtlosigkeit.
Diese ersten Ergebnisse hatten die Forscher, die sich mit Erziehungstheorie beschäftigen, auf einem Kongress der Geistes- und Sozialwissenschaften in Vancouver vorgestellt. Die Studie soll bald in einem Fachmagazin erscheinen. Darüber hatte zuerst die Lokalzeitung "National Post" berichtet.
Ist Völkerball "entmenschlichend"?
Dabei beziehen sich die Forscher auf die nordamerikanische Variante des Völkerballs. Beim "Dodgeball" schießen beide Schülergruppen mit mehreren Bällen aufeinander. In Deutschland teilen sich die Schüler auch in zwei Teams auf, werfen aber nur mit einem Ball.
Eigentlich wollten die Forscher mit der Studie einen Blick auf den Sportunterricht ihres Landes werfen. Dafür interviewten sie zwölf- bis 15-jährige Kinder. Viele von ihnen sprachen auch über Völkerball – meist negativ.
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Das sagt ein Psychologe aus Deutschland
Doch wie ist es mit dem Völkerball an Schulen in Deutschland? Unser Völkerball ist mit Dodgeball kaum zu vergleichen, sagte der ehemalige Schulpsychologe Lothar Dunkel t-online.de. Inzwischen ist er Vorstandsmitglied der Sektion Schulpsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. "Beim Dodgeball geht es viel konzentrierter um das Abschießen einer Person. Beim Völkerball ist das anders", so der Psychologe.
Dennoch findet Lothar Dunkel es gut, "dass bei diesem Spiel mal geschaut wird, wie dort Mobbing praktiziert werden kann." Das könne man aber mit jedem Spiel machen. "Es ist Aufgabe des Lehrers zu schauen, dass Mobbing nicht praktiziert wird. Generell kann das im Schulsport passieren – auch beim Basketball oder so." Die aktuelle Untersuchung könnte das Bewusstsein der Sportlehrer schärfen.
Viele Reaktionen in den sozialen Medien
Auch in den sozialen Medien wird angeregt diskutiert. Mancher Twitter-User meint, man dürfe die Schüler nicht in Watte packen. Andere Nutzer beschrieben ihre schlechten Erfahrungen mit Völkerball.
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Für ein Verbot ist der Trainer der "Stoppt Mobbing!"-Kampagne, Carsten Stahl, wie die "Bild"-Zeitung berichtete. "Völkerball ist eine akzeptierte Form des Mobbings, bei dem einer in der Mitte steht, und alle dreschen auf ihn ein. Und später tut das Opfer genau das Gleiche, vom anderen Spielfeldrand aus, um selbst nicht wieder zum Opfer zu werden", zitierte ihn die Zeitung.
Der Deutsche Turner-Bund (DTB) will die Studie zum Anlass nehmen, um die Sportart Völkerball kritisch zu betrachten, sagte Sprecher Torsten Hartmann t-online.de. "Der DTB versucht Völkerball als faires Spiel zu vermitteln, bei dem es eher um Reaktionsschnelligkeit und das Fangen des Balles in allen Varianten geht, als darum 'Unterdrückung' auszuüben oder jemanden zu 'entmenschlichen'", erklärte Hartmann. Völkerball solle für Teamwork und Fairplay stehen.
Forscher: "Lehrer sollten über Spiele nachdenken"
Die Forscher werden ihre Studie demnächst im Fachjournal "European Physical Education Review" veröffentlichen. Ihr Fazit: Die Lehrer sollten öfter über Spiele im Sportunterricht nachdenken. Dabei sollten sie auch die schwächeren und stilleren Schüler berücksichtigen. Zudem schlagen sie vor, dass Lehrer die Schüler selbst Spiele entwickeln lassen könnten.
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Die deutsche Variante des Völkerballs wird auch 2-Felder-Ball genannt. Gespielt wird es seit dem 18. Jahrhundert. Es galt damals auch als Kriegsübungsspiel: Eine Partei sollte die andere vollständig vernichten.
- Eigene Recherche
- Geschichte von Völkerball in Deutschland