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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auftritte in Deutschland Hinter dieser Tanzshow steckt eine umstrittene Sekte
Werbeplakate für die chinesische Tanzshow "Shen Yun" hängen in Deutschland derzeit an vielen Wänden. Doch hinter der harmlos aussehenden Show verbirgt sich ein Kult.
Wer derzeit durch die Innenstadt einer deutschen Großstadt läuft, kann den Werbeplakaten kaum entfliehen. Vor dem türkisen Hintergrund, auf dem eine chinesische Festung abgebildet ist, steht eine Tänzerin im lila Kleid. Ihr linker Fuß ist anmutig gen Himmel gereckt, jeder Muskel ihres Körpers wirkt angespannt. "Shen Yun – China vor dem Kommunismus" steht je nach Ausführung des Plakats am oberen oder unteren Bildrand der Werbung.
25 Auftritte hat die Tanzgruppe samt Orchester im Frühling und Sommer 2024 in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dazu kommen viele weitere Termine in ganz Europa, den Vereinigten Staaten, Taiwan und Japan. Sogar in Brasilien und Mexiko gastiert "Shen Yun" und zieht weltweit hunderttausende Zuschauer an. Bei Kartenpreisen zwischen ungefähr 50 und 150 Euro kommt eine nicht unbeträchtliche Summe heraus.
Hinter "Shen Yun" steckt Falun Gong
Doch "Shen Yun" ist nicht das harmlose chinesische Konzert, für das man es auf den ersten Blick und sogar beim zweiten Blick auf die Website der Gruppe halten könnte. Erst, wenn man auf der Internetpräsenz durch verschiedene Untermenüs klickt, findet man die Organisation, die hinter der harmlos wirkenden Tanz- und Musikgruppe "Shen Yun" steht. Dort heißt es im Untermenü "Künste und Spiritualität", die spirituelle Verbindung sei der Grund, weshalb alle Beteiligten der Show nach "hervorragenden Leistungen" streben: "Quelle der Inspiration der Künstler ist die spirituelle Disziplin, die Falun Dafa heißt."
Falun Dafa, auch bekannt unter dem Namen Falun Gong, ist eine spirituelle Bewegung. Gegründet wurde sie im Jahr 1992 von ihrem spirituellen Meister Li Hongzhi in der chinesischen Provinz Jilin. Hongzhi verbreitete die Lehre im ganzen Land und konnte viele Anhängerinnen und Anhänger um sich scharen. Anfangs unterstützte die chinesische Regierung das Falun Gong noch – das änderte sich allerdings, als sich die Bewegung vom chinesischen Staat entfernte und auf Eigenständigkeit pochte. 1999 verbot die Regierung in Peking Falun Dafa schließlich.
Homosexualität und Handys als Gefahr für die Jugend
Bis heute werden Falun-Dafa-Anhängerinnen und -Anhänger in China verfolgt. "In westlichen Ländern nutzen sie diese Verfolgungssituation für eigene Werbezwecke", erklärt Matthias Pöhlmann, Experte für Sekten, Psychogruppen, Neureligionen und Weltanschauungen bei der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern, im Gespräch mit t-online. Dazu tritt die Gruppe häufig an touristischen Orten wie dem Brandenburger Tor in Berlin auf und informiert über ihre Verfolgung in China.
"Dabei stellt Falun Gong den religiösen Aspekt der Bewegung meist in den Hintergrund", führt Pöhlmann weiter aus. Genau das ist auch bei der Tanzshow "Shen Yun" der Fall. Dass die Show einem die Ideale der Falun-Gong-Gruppierung propagiert, spielt in der großflächig und außerordentlich häufig platzierten Werbung für die Show keine Rolle. Zuschauerinnen und Zuschauer werden erst während der Aufführung damit konfrontiert, wie zahlreiche Kulturjournalistinnen und -journalisten in Zeitungen wie der "New York Times", dem "New Yorker" oder dem "Guardian" berichten.
So schreibt die Journalistin Jia Tolentino im "New Yorker", dass während einer "Shen Yun"-Show mehrere Anhängerinnen und Anhänger der Falun-Gong-Bewegung als Kämpfer gegen die "Korruption der Jugend" durch Smartphones und Homosexualität dargestellt werden. In einer weiteren Szene zerstört laut Tolentinos Bericht ein Tsunami mit dem Konterfei von Karl Marx ein kleines Dorf am Meer, in dem Mitglieder der Falun-Gong-Bewegung leben.
Falun Gong hat einen Exklusivitätsanspruch
In einem Bericht des Guardian heißt es, die "Shen Yun"-Werbung, die derzeit in vielen europäischen Städten hängt, werde von den lokalen Falun-Gong-Gruppierungen bezahlt. Eine Anfrage von t-online dazu ließ der deutsche Falun-Dafa-Verein bis Mittwochnachmittag unbeantwortet.
Das alles wäre vermutlich nicht wert, darüber zu berichten, wenn Falun Gong ein ganz normaler Verein wäre. Doch die Gemeinschaft ist mehr als das. "Falun Gong vertritt eine neureligiöse Heilslehre und Praxis – mit einem methodisierten Heilsweg unter der Autorität ihres Meisters Li Hongzhi", erklärt Matthias Pöhlmann im Gespräch mit t-online. "Innerhalb der Bewegung kann der Meister seine Schülerinnen und Schüler schnell befördern, was zu einer hohen Abhängigkeit führen kann."
Dazu kommt der Exklusivitätsanspruch der Vereinigung. "Falun Gong propagiert, dass das persönliche Heil nur in der eigenen Gruppe gefunden werden kann und exkludiert auf diesem Wege andere Lebensentwürfe", sagt Pöhlmann. Durch diese Exklusivität sei die Gruppe potenziell anfällig für Fake News und Verschwörungsmythen.
"Shen Yun" ist keine harmlose Tanzshow
Da verwundert es nicht, dass die "Epoch Times", eine Zeitung, in der solche Verschwörungserzählungen häufig verbreitet werden, von Mitgliedern der Falun Gong in New York gegründet wurde. Und auch das Oberlandesgericht Dresden entschied in einem Urteil aus dem Jahr 2005, dass die Meinung vertretbar sei, in Falun Gong entwickle sich ein "elitäres und sektierisches Gruppenbewusstsein".
"Shen Yun" ist also keine harmlose Tanzshow, sondern propagiert zumindest in Teilen die Lehre eines elitären Kultes mit Exklusivitätsanspruch. Das sollten potenzielle Zuschauerinnen und Zuschauer der Show bedenken, wenn sie beim Anblick der bunten Werbung in der Innenstadt darüber nachdenken, eine Karte für "Shen Yun" zu kaufen.
- Eigene Recherchen
- Telefonat mit Matthias Pöhlmann
- newyorker.com: "Stepping Into the Uncanny, Unsettling World of Shen Yun" (englisch, kostenpflichtig)
- nytimes.com: "A Glimpse of Chinese Culture That Some Find Hard to Watch" (englisch)
- businessinsider.com: "Shen Yun posters are everywhere — here's everything you need to know about the mysterious show and the 'cult' behind it" (englisch)
- stuyspec.com: "Behind Shen Yun: Concert or Cult" (englisch)