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Meldestelle Respect: Eine Gefahr für die Meinungsfreiheit im Internet?


Meinung
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Demokratie und Fake News
Geht das Internet bald in die Zensur?

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 22.10.2024Lesedauer: 5 Min.
Die Onlineshops werben mit emotionalen Botschaften auf Social Media Plattformen wie Facebook und Instagram.Vergrößern des Bildes
Die Onlineshops werben mit emotionalen Botschaften auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram. Manchmal auch mit Fake News. (Quelle: imago stock&people)
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Eine Organisation namens "Respect" soll das Internet säubern. Sie wurde von der Bundesregierung dafür zertifiziert. Es gibt einen Aufschrei: Zensur! Die Demokratie ist in Gefahr! Stimmt das?

Zwei Thesen, Sie entscheiden. Erstens: Das Internet ist der Ort der Meinungsfreiheit, hier werden die großen gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit ausgetragen. Zweitens: Das Internet ist die Kloake der Fake News, hier werden Menschen mit Hass und Hetze fertig gemacht.

Wozu neigen Sie? Egal, welche Wahl Sie treffen, Sie haben recht. Das Internet ist ein Ort der Demokratie. Ob Trump oder Harris die Wahl gewinnen, ob AfD und BSW die etablierten politischen Parteien ersetzen, das entscheidet sich nicht zuletzt auf Facebook, Insta, YouTube, TikTok und X. Genau diese Plattformen sind zugleich die Orte von Diskriminierung und Rassismus, von Beleidigung und Bedrohung, von Antisemitismus und Volksverhetzung. Was kann man dagegen tun?

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Die Bundesnetzagentur, eine Behörde der Bundesregierung, hat eine Meldestelle als "vertrauenswürdigen Hinweisgeber" zugelassen. Eine Organisation namens "Respect" soll künftig melden, was sie im Netz für unzulässig hält. Die Social-Media-Plattformen müssen den Beschwerden dieser staatlich autorisierten Organisation vorrangig nachgehen. Ihnen drohen hohe Strafzahlungen, wenn sie rechtswidrige Inhalte nicht umgehend löschen.

Dagegen gibt es viele Bedenken. Internet-Romantiker, für die das globale Netz ein Hort der Freiheit und der zivilisierten Kommunikation ist, lehnen jede staatliche Regulierung der Plattformen ab. Politiker sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr. Verfassungsrechtler sprechen von Zensur. Der Verdacht, geringfügig überspitzt formuliert: "Respect" sei eine linksgrüne Denunziations-Stasi, die nicht das Gesetz, sondern woke Sprachregeln im Internet durchsetzen will. Ist diese Behauptung berechtigt?

Ein zentraler Einwand lautet: Das ist doch alles überhaupt nicht nötig. Denn Beleidigung, Bedrohung und andere Vergehen im Netz sind sowieso verboten. Zuständig für die Verfolgung von Straftaten ist aber die Staatsanwaltschaft, nicht irgendein Verein. Das klingt plausibel. Wer aber jemals eine Straftat im Netz angezeigt hat, weiß, was dann passiert: erst einmal lange Zeit nichts. Über Wochen und Monate sind Postings, Memes und Videos, die Menschen verunglimpfen, herabwürdigen oder bedrohen, weiter zu lesen oder zu sehen; sie werden geteilt, gelikt und kommentiert, verbreiten sich und ziehen Kreise.

Was ist mit den Plattformen?

Also, die Justiz ist zuständig, aber zu langsam. Was ist mit den Plattformen? Müssen die nicht selbst dafür sorgen, dass sie "sauber" sind, auch ohne staatliche Vorgaben? Jahrelang haben sich die Strategen des Silicon Valley taub gestellt. Ihre Lesart: Wir stellen nur eine technische Infrastruktur zur Verfügung, wie eine Telefongesellschaft. Telekom und Vodafone sind auch nicht dafür verantwortlich, was über ihre Leitungen gesprochen wird.

Die Konsequenz: Wenn journalistische Medien wie ARD, FAZ oder t-online über Sie, liebe Leserinnen und Leser (oder über Annalena Baerbock oder über Alice Weidel), falsch berichten, können Sie sich wehren: eine Unterlassungserklärung oder eine Gegendarstellung verlangen, womöglich Schadenersatz. Oder Sie rufen den Presserat an. Wenn in den angeblich sozialen Medien Lügen über Sie verbreitet werden, sind Sie dem Geschehen mehr oder minder schutzlos ausgeliefert. Das darf ja nicht wahr sein.

Kommt es zu "Overblocking"?

Es ist auch nicht mehr wahr. Inzwischen hat die EU den "Digital Services Act" verabschiedet, der die Internet-Plattformen in die Pflicht nimmt. Sie müssen ihren Nutzern die Möglichkeit geben, illegale Inhalte online zu melden, solche Meldungen müssen "zügig" geprüft werden. Den Mitgliedstaaten wird empfohlen, sogenannte "Trusted Flagger", also vertrauenswürdige Hinweisgeber, zu bestimmen, deren Meldungen bevorzugt bearbeitet werden. "Respect" ist in Deutschland die erste Organisation, die diesen Status erhalten hat. Weitere könnten folgen. Auch Wirtschaftsverbände oder Gewerkschaften sollen diese Rolle wahrnehmen.

Kritische Frage: Kommt es dabei zum "Overblocking"? Werden also nicht nur illegale, sondern auch unliebsame Veröffentlichungen blockiert? Die Bundesnetzagentur hat einen Katalog von Inhalten veröffentlicht, die gemeldet werden sollen: Todesdrohungen, Leugnung des Holocaust, Aufrufe zum Terror, gefälschte Bilder. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber nicht alles ist so eindeutig. Ob ein Video auf TikTok nur geschmacklos ist oder ob es sich tatsächlich um eine Beleidigung handelt, wo die Grenzen zwischen ordinären Witzen und sexueller Belästigung verlaufen, das ist selbst vor Gericht oft umstritten. Und was steckt hinter Begriffen wie "Informationsmanipulation" und "Ausländische Einflussnahme"? Geht es da nur um den hybriden Krieg von Putins Propagandabrigaden? Oder wird auch die Meinung von Sahra Wagenknecht blockiert?

"Keine göttlichen Eingebungen"

Wolfgang Kubicki, der streitbare FDP-Mann, hält nichts von diesen Regeln: "EU-Verordnungen sind keine göttlichen Eingebungen und nicht sakrosankt." Da hat er natürlich recht. Aber was ist die Alternative? Ein Achselzucken gegenüber den Opfern von Hass und Hetze? Die Nase zuhalten, wenn die Kloake Internet allzu sehr stinkt? Gehört zur Freiheit der Information die Freiheit, Informationen zu manipulieren? Die liberale Demokratie muss diejenigen, die sie zerstören wollen, nicht auch noch schützen. Aber sie muss ihre Bürgerinnen und Bürger schützen – auch im Internet.

Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler, der in der Vergangenheit mit der Corona-Politik der Bundesregierung kritisch ins Gericht gegangen ist, geht noch weiter als Kubicki. Er hält die Einrichtung der Trusted Flagger nicht nur für politisch falsch, sondern für verfassungs- und demokratiefeindlich. Über "Respect" urteilt er: "Das sind Theologen, Sozialpädagogen und Geisteswissenschaftler, die Wert auf Sprachsensibilität legen und gegen Diskriminierung engagiert sind, aber keine Ahnung davon haben, wie weit die Meinungsfreiheit geht." Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum rechten Krawallportal "Nius", das den Direktor der Organisation so vorstellte: "Das ist der Islamgelehrte Ahmed Gaafar, Deutschlands oberster Zensor."

Gaafar, der an der Spitze von "Respect" steht, hat ägyptische Wurzeln. Hauptberuflich arbeitet er für die bayerische Landesregierung – die war bisher nicht als Hort des Islamismus bekannt. "Nius" darf diesen Unfug behaupten, ohne "geflaggt" oder gar verboten zu werden. Dummheit kann man nicht verbieten. Arroganz auch nicht. Wenn ein Professor für öffentliches Recht glaubt, man müsse das Zweite Juristische Staatsexamen vorweisen können, um eine relevante Meinung zur Meinungsfreiheit zu äußern: bitte. Sie und ich reden trotzdem mit.

Ein Professor aus Oldenburg

Der Jurist Boehme-Neßler ist ein akademischer Vorkämpfer gegen jegliche staatliche Regulierung im Internet. Auch die "Community-Regeln" von Facebook und Co. findet er unerträglich. Der Staat überlasse den Netzwerken die Zensur, was die Sache nur noch schlimmer mache: "Im Internet findet die für unsere Gegenwart relevante öffentliche Diskussion statt, aber die Plattformen sind formal-juristisch gesehen private Räume, die selbst entscheiden können, was zulässig ist und was nicht.“

Vom öffentlichen Recht wird der Professor aus Oldenburg sicher Ahnung haben, von der privaten Wirtschaft eher nicht. Alphabet (YouTube) und Meta (Facebook, Instagram) sind nicht nur "formal-juristisch" private Räume. Es handelt sich bei ihnen auch nicht um gemeinnützige Unternehmen, deren Geschäftszweck die Verbesserung der Welt ist. Sondern um kapitalistische Konzerne, die ein Ziel haben: Werbung zu verkaufen. Damit verdienen sie ihr Geld, dem ordnen sie alles unter. Sie fragen nicht, ob Inhalte seriös sind, sondern ob sie Reichweite generieren. Darauf trainieren sie ihre Algorithmen, davon hängt ab, was Sie in Ihrer Timeline zu sehen bekommen.

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Bei TikTok und X ist das ähnlich. Nur, dass TikTok nicht der Herrschaft des Silicon Valley unterliegt, sondern der Kommunistischen Partei Chinas. Und X unterliegt der Herrschaft von Elon Musk. Das ist nicht viel besser.

Netze brauchen Regeln

All diese Netzwerke brauchen Regeln. Weil sie global agieren, ist der Einfluss nationaler Regierungen sehr begrenzt. Es gibt nur zwei Institutionen, die stark genug sind, solche Regeln zu setzen: die US-Regierung und die EU-Kommission. Die Meinungsfreiheit ist sowohl in den USA als auch in der EU ein verbrieftes Grundrecht, aber kein unbeschränktes. Wo die Grenzen verlaufen, muss eine Gesellschaft immer wieder neu aushandeln. Die Trusted Flagger der EU sind keine Grenzüberschreitung – meine ich. Aber darüber können wir streiten.

Worüber wir nicht streiten können, ist der Grundsatz, den der EU-Kommissar Thierry Breton einfach und leicht verständlich formulierte: "Sachen, die man in echt nicht sagen darf, darf man auch im Netz nicht sagen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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