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Lebensmittelpreise steigen: Dürre im Portemonnaie


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Steigende Lebensmittelpreise
Rukwied: "Momentan ist das Angebot knapp"


Aktualisiert am 05.08.2022Lesedauer: 5 Min.
Mähdrescher auf dem Feld: Für viele Bauern fällt die Ernte in diesem Jahr nicht gut aus.Vergrößern des Bildes
Mähdrescher auf dem Feld: Für viele Bauern fällt die Ernte in diesem Jahr nicht gut aus. (Quelle: Arnulf Hettrich/imago-images-bilder)
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Hitze und Dürre haben in vielen Regionen die Böden vertrocknen lassen. Bauern klagen über Ernteeinbußen – bei gleichzeitig steigenden Kosten. Das hat Folgen.

Die Hitze flimmert über den Feldern, der Boden ist staubtrocken. In vielen Regionen Deutschlands ist das aktuell ein alltägliches Bild – es herrscht Dürre. Den Bauern bereitet das große Sorgen: Beim Getreide sind die Ernteausfälle bereits spürbar, auch bei anderen Anbauprodukten drohen Einschnitte. Die Verbraucher könnten das zu spüren bekommen. Durch den Ukraine-Krieg und die steigende Inflation sind die Lebensmittelpreise ohnehin gestiegen – treibt das extreme Wetter sie nun noch weiter in die Höhe?

"Hammer", fand Landwirtschaftsminister Cem Özdemir Mitte Juli den Zustand des Weizenfeldes von Joachim Rukwied. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) traf den Grünenpolitiker zwischen den reifen Ähren. Der Acker war derart trocken, dass sich Risse durch den Boden zogen. "Null Bodenfeuchtigkeit", so Rukwied. Neben Getreide baut er auf 340 Hektar auch Zuckerrüben, Ölfrüchte, Leguminosen und Kohl an, dazu kommen 23 Hektar Weinberge.

Ohne Wasser kein Wachstum

Wie ihm geht es vielen Landwirten in Deutschland. Der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung ist vor allem im Osten und im Südwesten knallrot eingefärbt. Gelbe, orangefarbene und rote Flächen zeigen an, wo die nutzbare Feldkapazität weniger als 30 Prozent beträgt. Die Einheit gibt den Wassergehalt des Bodens an, der von den Wurzeln tatsächlich aufgenommen werden kann. Dabei wird das sogenannte pflanzenverfügbare Wasser betrachtet, das sich vor allem in der oberen Bodenschicht bis 25 Zentimeter befindet – in Reichweite der Wurzeln. Sinkt der Wert unter 30 Prozent, stehen die Pflanzen unter sogenanntem Trockenstress.

Das hat Folgen: "Wir erleben in diesem Jahr wieder ein sehr durchwachsenes Erntejahr", sagt Bauernpräsident Rukwied zu t-online. In einigen Regionen sei eine gute Ernte eingefahren worden. "In vielen anderen dagegen sehen wir starke Schäden durch Hitze und Trockenheit."

In besonders betroffenen Gebieten geht er beim Weizen von Ertragseinbußen von bis zu 30 Prozent aus. Am Dienstag stellte der Bauernverband eine vorläufige Bilanz der Weizenernte vor: 21 Millionen Tonnen werden geschätzt. Das ist mehr als im vergangenen Jahr, aber zehn bis zwölf Prozent unter dem Durchschnitt.

Zudem enthalte der Weizen weniger Eiweiß als üblich – und ist somit von geringerer Qualität. Dafür gibt es noch eine zweite Ursache: Nach der neuen Düngeverordnung dürfen die Bauern nicht mehr so viel Stickstoffdünger verwenden wie früher. Den Stickstoff braucht die Weizenpflanze aber zur Bildung von Eiweißen.

Besser sei die Ernte bei der Wintergerste verlaufen, so der Bauernverband. 7,5 Tonnen pro Hektar gaben die Felder her – der Fünf-Jahres-Durchschnitt liegt bei 6,9 Tonnen pro Hektar. Es zeige sich erneut, dass die Wintergerste besser für Hitzesommer geeignet ist: Im Herbst gesät, reifen die Körner noch vor dem großen Anstieg der Temperaturen heran.

Dennoch rechnet Rukwied mit einer insgesamt kleinen Getreideernte: 41,2 Tonnen seien zu erwarten. 2021 waren es 42,3 Tonnen, in den Jahren 2015 bis 2020 im Durchschnitt 44,2 Tonnen.

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Beim Raps liegt die Erntemenge pro Hektar mit 3,7 Tonnen in diesem Jahr über der des Vorjahres (3,5 Tonnen pro Hektar). Rukwied erklärt, die Wurzeln des Raps reichten tiefer in die Erde, daher habe er in einigen Regionen mehr Wasser zur Verfügung gehabt. Dennoch kann er keine Entwarnung geben: Zum Beispiel in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt, wo die Trockenheit schon sehr lange anhält, habe es trotz des Vorteils der Pflanze schlechtere Erträge gegeben – "weil dort zu früh auch in tieferen Schichten kein Wasser mehr vorhanden war".

Künstliche Bewässerung kann den Bauern kaum helfen. Nur zwei Prozent der Flächen könnten aktuell künstlich beregnet werden, erklärte Rukwied kürzlich im ZDF. Das sei normalerweise der Fall bei Wein, Obst und Gemüse. Zu t-online sagt er, wo es landwirtschaftlich nützlich und umweltverträglich sei, sollten Beregnungsmöglichkeiten ausgeweitet werden. "Schließlich geht es darum, die Ernährung von 84 Millionen Menschen zu sichern."

Mit Gentechnik gegen die Folgen der Klimakrise?

Gleichzeitig merkt er jedoch an, es reiche nicht, nur auf die Wasserzufuhr zu schauen: "Um die Versorgung der Bevölkerung sichern zu können, müssen wir an mehreren Punkten ansetzen." Dazu zähle die Weiterentwicklung von wassersparenden Anbauverfahren ebenso wie der Anbau von widerstandsfähigeren Pflanzen und neuen Kulturen. Große Chancen sieht er in modernen Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas.

Mit dieser Methode können Forscher gezielt in das Erbgut der Pflanzen eingreifen und so Sorten heranzüchten, die robuster gegen Hitze und Trockenheit sind. Der Europäische Gerichtshof stufte das Verfahren 2018 als Gentechnik ein – Befürworter sehen jedoch großes Potenzial für die Anpassung der Landwirtschaft an die Klimakrise. Auf diese müsse man sich noch stärker einstellen, meint Rukwied: "Die Politik sollte auf die Wissenschaft hören und sich zügig dieses Themas annehmen."

Problem erkannt – aber noch längst nicht gebannt

Das Landwirtschaftsministerium hat das Problem zwar erkannt – insbesondere nach dem Rekorddürrejahr 2018 einigte man sich auf die Erarbeitung von Konzepten. Konkrete Lösungen gibt es jedoch noch nicht. Das aktuelle Maßnahmenprogramm zur Klimaanpassung sieht vor allem Forschung, Aufbau von Infrastruktur zur Bewässerung und Investitionsförderung vor.

Die Europäische Kommission machte am Mittwoch hingegen einen konkreten Vorschlag: Sie will, dass Felder in Zukunft verstärkt mit aufbereitetem Abwasser bewässert werden. 40 Milliarden Kubikmeter gebe es davon in der EU jedes Jahr, nicht einmal eine Milliarde werde wiederverwendet. "In Zeiten von nie dagewesenen Temperaturspitzen müssen wir aufhören, Wasser zu verschwenden und diese Ressource effizienter verwenden", erklärte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius.

Wann spricht man von Dürre?

Das Helmholtz-Zentrum beschreibt eine Dürre als ein Niederschlagsdefizit, das zu einer ausgeprägten Trockenheit im Boden führt. Verglichen werden die aktuellen Niederschlagsmengen mit einem Durchschnittswert aus den Jahren zuvor. Dürren werden durch die Klimakrise häufiger, da mit jedem Grad Erderhitzung die Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen kann. Daher regnet es seltener, aber stärker. Starkregen verursacht jedoch große Wassermassen, die vom Boden nicht gut gespeichert werden können. Daher sinkt die durchschnittliche Bodenfeuchte. Außerdem treten Hitzewellen häufiger auf – es verdunstet also zeitweise auch mehr Wasser, wodurch der Boden zusätzlich austrocknet.

Der Bauernverband fordert eine Regeländerung, die ebenfalls die EU-Kommission vorgeschlagen hatte – allerdings in Hinblick auf die stockenden Weizenexporte aus der Ukraine. Nach dem aktuellen Stand müssten aus Naturschutzgründen etliche Flächen im kommenden Jahr vorübergehend brach liegen. Die EU-Kommission und der Bauernverband fordern, diese Brachflächen freizugeben. Rund 200.000 Hektar zusätzliche Anbaufläche könne man in Deutschland so gewinnen und dort rund 1,4 Millionen Tonnen Weizen anbauen, heißt es vom DBV.

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Die Agrarministerkonferenz konnte sich in der vergangenen Woche darauf jedoch nicht einigen. Präsident Rukwied kritisierte das im ZDF scharf: Die Minister hätten "wissentlich die Ernährungskrise verschärft", so der Verbandspräsident.

"Wir können nicht einfach das Auto stehen lassen"

Klar ist schon jetzt: Die Preise werden wohl weiter steigen. "Momentan ist das Angebot knapp", so der Bauernpräsident. "Hinzu kommen Preissteigerungen bei Energie und Logistik." Dabei könnten die Landwirte ihre Produktionskosten kaum senken, warnte er bereits im Juni beim Bauerntag: "Wir können nicht einfach am Wochenende wie Privatleute das Auto stehen lassen und sagen, jetzt mache ich den Ausflug nicht. Wir müssen unsere Felder bearbeiten."

Ertragseinbußen, steigende Energiekosten, teurerer Dünger: Einige Betriebe hätten bereits jetzt zu kämpfen, berichtet der Verbandschef. "Der wirtschaftliche Schaden ist enorm." Und Entwarnung ist vorerst nicht in Sicht: Die kommenden Ernten hängen maßgeblich von den kommenden Wochen ab. "Für die Herbstkulturen wie Kartoffeln oder Mais brauchen wir in vielen Regionen dringend Regen", so Rukwied.

Noch bleibe ein kleines Zeitfenster. Doch am Wochenende vorhergesagte Gewitter bringen nur lokale Niederschläge, und selbst diese werden kaum reichen. Es sei keine Entspannung der Trockenheitssituation zu erwarten, so der Deutsche Wetterdienst. Im Gegenteil: Die Bodenfeuchte wird wohl noch weiter sinken.

Verwendete Quellen
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