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Maskenpflicht und Impfungen in der Corona-Pandemie: Das sagt Drosten heute


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Corona-Aufarbeitung
"Die Verwerfungen sind enorm"


09.10.2024Lesedauer: 10 Min.
Christian Drosten: Es braucht eine Aufarbeitung der Corona-Zeit, findet der Virologe.Vergrößern des Bildes
Christian Drosten: Es braucht eine Aufarbeitung der Corona-Zeit, findet der Virologe. (Quelle: Urban Zintel)
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Was lief falsch in der Corona-Pandemie? Die Politik scheitert noch immer daran, das aufzuarbeiten. Dabei wäre es dringend nötig – sagen Virologe Christian Drosten und Journalist Georg Mascolo.

Maskenpflicht, Ausgangssperren, Schulschließungen: Die Politik hat in der Corona-Pandemie tief in den Alltag der Menschen eingegriffen. Doch eine Aufarbeitung der Ausnahmezeit? Das bekommt die Ampelregierung bis heute nicht hin.

Eine Aufarbeitung aber wäre dringend notwendig, findet eine der wichtigsten und umstrittensten Figuren der Pandemie: Christian Drosten. Der Berliner Virologe hat mit dem Journalisten Georg Mascolo ein Buch veröffentlicht: "Alles überstanden? Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird", heißt es.

Im Interview mit t-online geben die beiden Antworten auf die zentralen Fragen: Welche Fehler machten Politik, Medien, Wissenschaft? Welche Wunden müssen geheilt werden?

t-online: Herr Drosten, Herr Mascolo, die Ampelkoalition wird sich wohl nicht mehr auf eine gemeinsame Corona-Aufarbeitung einigen können. Wie schädlich ist das?

Christian Drosten: Eine Aufarbeitung muss aus meiner Sicht nicht unbedingt auf politischer Ebene stattfinden. Es braucht gesellschaftlich aber dringend eine, um ein paar Dinge festzuhalten, die inzwischen wissenschaftlich eindeutig belegt sind. Wenn wir in der nächsten Pandemie wieder über Dinge reden, über die wir gar nicht mehr zu reden brauchen, werden wir erneut viel Zeit verlieren und Fehlentscheidungen treffen. Jetzt nicht daran zu arbeiten, ist eine verpasste Chance.

Woran denken Sie?

Drosten: Nur ein Beispiel: Auch in der nächsten Pandemie werden wahrscheinlich Ältere wieder stärker betroffen sein als Jüngere. Es bringt nichts, dann noch einmal zu diskutieren, ob man statt aller anderer Maßnahmen einfach nur die Altenheime besonders abschirmen könnte. Es ist glasklar belegt, dass das nicht funktioniert. Trotzdem gibt es in der Öffentlichkeit weiter Leute, die diese Idee propagieren, aus welchen Motiven auch immer.

Georg Mascolo: Es ist bedauerlich, dass es offenbar keine politische Aufarbeitung geben wird. Und es ist schädlich. Man überlässt jetzt einem Teil des politischen Spektrums die Debatte, der ganz eigene Interessen damit verfolgt. Selbst Beteiligte an den Verhandlungen innerhalb der Ampel verstehen nicht mehr, warum man sich bei diesem Thema so sehr verhakt. Ich glaube, diese Koalition wird eines Tages zurückschauen und sagen: Das bereuen wir.

Christian Drosten, 52 Jahre, ist Virologe und war während der Pandemie als Experte in Politik und Medien gefragt wie nur wenige sonst. Er ist Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin.

Georg Mascolo, 59 Jahre, war früher Chefredakteur des "Spiegel". Von 2014 bis 2022 leitete er den investigativen Rechercheverbund von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" und veröffentlichte immer wieder zur Pandemie.

Wenn wir erst einmal auf die politischen Prozesse schauen: Was muss aufgearbeitet werden?

Mascolo: Das Ziel muss sein, dass wir uns für eine nächste Krise rüsten, von der wir nicht wissen, wann sie kommen und wie sie aussehen wird. Da gibt es drei bemerkenswerte Schwachpunkte, die in der Corona-Pandemie offenkundig wurden.

Nämlich?

Mascolo: Die Bund-Länder-Runden von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten haben in einem späteren Stadium nicht mehr funktioniert. Das sagen inzwischen auch die meisten Beteiligten. Es war eine einzige Überforderung. Allein schon, weil es so sehr ins Detail ging. Wie aber könnte eine Alternative aussehen? In der Frage gibt es keine Entscheidungen, obwohl es kluge Ideen gibt, wie die eines Bundeskrisenstabs, der im Kanzleramt angesiedelt wäre.

Zweitens?

Mascolo: Wir haben in der Krise festgestellt, dass die Exekutive sehr schnell handelt und auch handeln muss. Die Tragweite der Entscheidungen in Pandemien verlangt aber, dass sie in den Parlamenten breit debattiert werden. Wie werden die Parlamente also schneller, reaktionsfähiger?

Und die dritte Schwäche?

Mascolo: Die wissenschaftliche Politikberatung hat nicht so funktioniert, wie sie hätte funktionieren müssen. Es gab eine Fülle von Einzelstimmen unterschiedlicher Qualität. Ministerpräsidenten haben sich ihre eigenen Expertengremien geschaffen. Es hätte zu einem frühen Zeitpunkt – so wie dann leider erst am Ende der Pandemie – einen Expertenrat gebraucht, der Ergebnisse und offene Fragen schriftlich festhält.

Die Corona-Politik hat in Teilen der Gesellschaft tiefe Narben hinterlassen – vor allem die 2G-/3G-Regeln und die Impfpflicht für bestimmte Berufe. Mit ihnen sollten die Deutschen zur Impfung bewegt werden. War das ein Fehler?

Drosten: Mir fällt die Wut besonders in der Diskussion um die Impfpflicht auch auf. Als Biomediziner wundert mich das einerseits, weil für mich Impfungen nicht negativ besetzt sind. Ich sehe trotz Nebenwirkungen immer die Vorteile, die eine Impfung im Vergleich zu den Schäden durch eine ungeschützte Infektion hat. Ich habe deshalb immer dafür geworben, die Impfquote zu erhöhen. Aber ich habe nie eine Impfpflicht gefordert.

Das ist interessant. Warum?

Drosten: Jeder Medizinstudent bekommt im ersten Semester beigebracht, dass es Körperverletzung ist, wenn sie einfach ein Loch in einen Patienten machen. Es sei denn, man ist Arzt und hat die Einwilligung vom Patienten, nachdem der den Sinn verstanden hat. So ist das auch beim Impfen. Ich hatte aber gehofft, dass viel mehr Menschen den Sinn verstehen und sich dann dafür entscheiden.

Allerdings haben auch Sie mit anderen Wissenschaftlern Ende November 2021 die 10. Ad-Hoc-Stellungnahme der Leopoldina unterzeichnet, in der unter anderem eine "rasche Einführung einer berufsbezogenen Impfpflicht" sowie "die Vorbereitung zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht unter Berücksichtigung der dafür erforderlichen rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen" empfohlen werden.*

Drosten: Wir haben heute vergessen, wie ernst die Situation damals war. Es verbreitete sich die besonders tödliche Delta-Variante. Die Politik hatte sich gegen Kontrollmaßnahmen festgelegt, aber exakt in den Bundesländern mit schlechter Impfquote überfüllten sich jetzt die Intensivstationen. Es war eindeutig belegt, dass die Impfung damals wirksam gegen die Übertragung schützte. Als Mediziner mussten wir daher eine berufsbezogene Impfpflicht unterstützen, es kann ja nicht angehen, dass ungeimpftes ärztliches und pflegerisches Personal das Virus verbreitet. Hinsichtlich der allgemeinen Impfpflicht mahnte das Papier zu Vorbereitungen angesichts einer damals sehr realen Gefahr für die gesamte Gesellschaft. Glücklicherweise kam dann die Omikron-Variante mit reduzierter Sterblichkeit. Meine Unterschrift damals war eine Gewissensentscheidung, nicht mehr und nicht weniger. So ist leider manchmal die Realität unseres Berufs.

Aber können Sie auch die Kritik am Impfdruck nachvollziehen?

Drosten: Ich schaue bei der Diskussion als Wissenschaftler eher von der Seitenlinie zu und kann vielleicht auf ein paar Daten aufmerksam machen. Das Zitat "Pandemie der Ungeimpften" von Gesundheitsminister Jens Spahn hat ja viel Ärger ausgelöst und war auch im Zusammenhang mit den RKI-Protokollen ein großes Thema.

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In den Protokollen gibt es Stellen, wo angemerkt wird, das sei "aus fachlicher Sicht nicht korrekt".

Drosten: Ja, nur stimmt das so nicht. Die Protokolle sind keine wissenschaftlichen Befunde, sondern mitgeschriebene Äußerungen von RKI-Mitarbeitern in Arbeitsmeetings. So manches beruht auf Hörensagen und wurde nicht überprüft, es war ja nie zur Veröffentlichung vorgesehen. Aber wenn man auf die Wissenschaft schaut, dann war im Herbst 2021 bei der Übertragung des Virus in neun von zehn Fällen mindestens ein Ungeimpfter beteiligt – entweder als Geber, als Empfänger oder beides. Das hat das RKI selbst publiziert, mit Daten aus Deutschland. Natürlich ist es immer blöd, wenn ein Politiker in einer solchen Lage mit Slogans argumentiert. Aber vor allem sieht man daran, wie weit sich unsere öffentliche Diskussion von der Realität entfernt hat. Da kann man die Umdeutung der Pandemie live mitverfolgen.

Herr Mascolo, verstehen Sie den Unmut über den Impfdruck?

Mascolo: Die Impfpflicht gehört zwingend zu einer Aufarbeitung dazu, genau wie 2G und 3G. Zum Problem gehörte, dass man sich nicht schnell genug hat einfallen lassen, um genügend Menschen davon zu überzeugen, sich freiwillig impfen zu lassen. Die Skeptischen anzusprechen und nicht diejenigen, die schon in der Warteschlange beim Arzt stehen: Da waren andere Staaten viel erfolgreicher als wir, und Bundesländer wie Bremen waren gut, weil sie diese Notwendigkeit früh erkannten. Überzeugung ist immer besser als Zwang.

Warum war die Politik so einfallslos bei den Anreizen?

Mascolo: Sie war vor allem spät. Niemand wollte sich so richtig mit der Gefahr einer neuen Welle befassen. Es war Bundestagswahlkampf 2021, und viele haben so getan, als gäbe es gar kein Problem. In dieser Phase blicke ich viel kritischer auf die Politik als noch im ersten Pandemiejahr 2020. Das hätte nicht passieren dürfen. So wurden wir eines der ganz wenigen demokratischen Länder, die kurz vor der Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht standen.

Drosten: Die Zeitlichkeit, also die Abfolge der Ereignisse, ist für eine Aufarbeitung ohnehin essenziell. Als die Politik über 2G-/3G-Regeln und Impfpflicht entscheiden musste, hat die Impfung noch monatelang gegen die Übertragung des Virus gewirkt. Erst später, mit der Omicron-Variante ab Dezember 2021, ging der Übertragungsschutz weitgehend verloren. Gegen die Krankheit wirkte sie weiter sehr gut.

Aber die Impfpflicht für Pflegeberufe wurde erst im Dezember 2021 eingeführt.

Drosten: Ja, aber da sind wir wieder bei der Reaktionsfähigkeit der Politik. Die Debatte fand vorher statt und war ausführlich. Dann kann es natürlich passieren, dass eine Entscheidung etwas zu spät kommt. Und im Zweifel gar nicht mehr gebraucht wird.

Sie sprechen in Ihrem Buch auch allgemein über Profiteure der Krise. Biontech hat in den Impfjahren 2021 und 2022 insgesamt rund 20 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Ist das in Ordnung, Herr Drosten?

Drosten: Das zu beurteilen, steht mir nicht zu. Firmen müssen funktionieren und ich habe keinen Einblick in die wirtschaftlichen Kenngrößen. Ich kann Ihnen nur meine persönliche Einstellung darlegen: Ich habe nie an der Pandemie verdient, obwohl ich Gelegenheiten gehabt hätte. Mein Labor hat ja den ersten diagnostischen Corona-Test entwickelt, der zu Anfang der Pandemie weltweit verwendet wurde. Aber ich habe damit kein Geld verdient. Und auch nicht mit Honoraren für Medien- oder Beratungsarbeit während der Pandemie.

Warum?

Drosten: An einer Katastrophe sollte man nicht privat verdienen – das ist meine persönliche Auffassung. Andere haben Geld und Gesundheit verloren.

Ist da noch etwas aufzuklären, Herr Mascolo?

Mascolo: Die Verträge, die da unterzeichnet wurden, sollten alle veröffentlicht werden. Biontech hat sich damals mit Pfizer zusammengetan, mit einem aggressiven Pharma-Konzern, es wurde sehr viel Geld verdient.

Hätte die Politik die Impfstoffhersteller härter besteuern müssen?

Mascolo: Besteuert wurden sie. Die Stadt Mainz, wo Biontech sitzt, weiß ja gar nicht, wohin mit ihrem Glück. Ich will die Gewinne von Biontech auch nicht per se kritisieren, wir haben dem Unternehmen viel zu verdanken. Aber wir wissen noch immer viel zu wenig, es ist zu wenig über die Preise bekannt und darüber, wie sie zustande gekommen sind. Viele Vorgänge in der Pandemie werden wie militärische oder diplomatische Geheimnisse behandelt. Warum? Ich sehe dafür keine Rechtfertigung.

Woran liegt die Geheimniskrämerei?

Mascolo: Zunächst einmal am Staat und den Behörden. Medien müssen darauf klagen, die RKI-Protokolle oder Ursula von der Leyens SMS-Austausch mit Impfstoffherstellern einzusehen. Eine Ausnahmesituation wie die Pandemie aber erfordert in der Aufarbeitung Transparenz. Sie steht den Bürgern zu.

Herr Drosten, wo braucht es noch mehr Transparenz?

Drosten: Als Leiter einer Abteilung einer Uniklinik kann ich sagen: Die Öffentlichkeit hat gar nicht auf dem Schirm, wie sehr die Pandemie in der Medizin noch nachwirkt. Die Verwerfungen sind enorm.

Was meinen Sie genau?

Drosten: Eine Klinik ist ein Großbetrieb, die Operationen und Behandlungen sind ihr Geldbringer. Wenn das in einer Pandemie zeitweise ausfällt, gerät der gesamte Betrieb in riesige finanzielle Probleme. Dazu kommen die enormen Kosten, die zusätzlich geschultert werden müssen, wie die Infektionskontrolle und der Schutz für Mitarbeiter. Der größte Folgeschaden aber ist ein anderer.

Und zwar?

Drosten: Das Pflegepersonal hat so sehr unter der Belastung gelitten, dass Leute reihenweise abgesprungen sind. Große Anteile der Betten in Großkrankenhäusern können heute nicht belegt werden, einfach, weil das Personal fehlt. Krankenhäuser an Orten, in denen es hohe Inzidenzen gab, leiden bis heute darunter.

Sie beide nennen Beispiele, über die Medien aus Ihrer Perspektive berichten sollten. Welche Verantwortung trägt die Presse an den Verwerfungen der Pandemie?

Mascolo: Das ist mir eine zu gewaltig-generelle Frage. Geht es auch ein bisschen kleiner?

Waren Journalisten zu verständnisvoll mit der Politik?

Mascolo: In der Pandemie haben viele Kollegen bis an den Rand der Überforderung und darüber hinaus versucht, verantwortungsvoll Schritt zu halten. Eine besondere Herausforderung für Journalisten aber ist die ständige Beschleunigung in unserer Zeit. Je komplizierter die Lage, desto wichtiger ist es, zurückzutreten und zu sagen: Ich benötige Zeit, um die Dinge zu recherchieren, um sie zu durchdringen. Dafür gibt es heute zu oft keinen ausreichenden Raum mehr. Aber gerade das macht guten Journalismus unersetzlich.

Langsamer wird der Betrieb wohl leider nicht mehr. Also alles vergossener Wein?

Mascolo: Nein, das ist für mich der wichtigste Punkt: Es gibt auch jetzt noch viel aufzuklären. Und es ist unsere Aufgabe und Pflicht, es herauszufinden. Das dürfen wir nicht vernachlässigen, niemand anderes kann das leisten. Übrigens vor allem dann, wenn der Staat die Aufarbeitung verweigert.

Wir haben Fehler der Politik und des Journalismus besprochen. Herr Drosten, wenn Sie Aufarbeitung in eigener Sache betreiben müssten: Welche Fehler haben Sie gemacht in der Pandemie?

Drosten: Ich als Person?

Als Wissenschaftler, als wichtige Person der Öffentlichkeit in dieser Pandemie.

Drosten: Wenn ich so zurückblicke, sehe ich da keine wissenschaftlichen Fehler in meinen Einschätzungen. Eher kleine Details, die für die Öffentlichkeit nicht so interessant sind. In den wesentlichen Dingen habe ich auch nicht das Gefühl: Das hätte ich mit heutigem Wissen ganz anders gesagt. Mir ist aber bewusst, dass das schwierig zu vermitteln ist.

Warum?

Drosten: Weil in der Öffentlichkeit falsche Vorstellungen von dem herrschen, was ich überhaupt gesagt und empfohlen habe, egal ob öffentlich oder in der Politikberatung. Wir alle haben eine Wahrnehmung der Realität, die nur über die Medien funktioniert – und diese Wahrnehmung ist oft falsch. Aber ich bin da entspannt. Ich habe der Politik nur das empfohlen, was ich in den NDR-Podcasts erklärt habe. Und das kann man alles nachhören und lesen. Belegt und begründet ist es auch. Mögen andere urteilen.

Das klingt trotzdem bitter. Was haben Sie im Umgang mit den Medien gelernt?

Drosten: Ich war am Anfang viel zu direkt in meiner Kommunikation. Ich habe auch gar nicht verstanden, welche Reichweite ich habe. Erst später habe ich realisiert, wie Medien das verstärkt, zum Teil verkürzt und verfälscht haben. Ich würde mit diesem Wissen heute sicher anders oder gar nicht mehr kommunizieren. Als Einzelperson würde ich mich nicht mehr so in Gefahr begeben.

Was meinen Sie mit "Gefahr"?

Drosten: Es lag zwar manchmal auch Gewalt gegen mich in der Luft. Aber viel größer war für mich eine andere Gefahr: die Zerstörung meiner öffentlichen Reputation. Das passiert in den Medien, es passiert auch absichtlich. Für eine ungeschützte professionelle Persönlichkeit ist das ein enormes Risiko. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die den Umgang mit mir verfolgt haben und nun selbst viel vorsichtiger sein werden. Wenn wir als Wissenschaft nicht andere Wege finden, wie wir solche Krisen begleiten können, wird da eine Lücke entstehen.

Mascolo: Und das wäre gar keine gute Entwicklung. Viele von denen, die für die heutige Medienwelt richtig gut gemacht sind, sind in ihrem Fachgebiet möglicherweise nicht die Allerbesten.

Drosten: Das stimmt!

Mascolo: Die Frage ist doch: Wie lösen wir das? Wie schaffen wir es, dass die Allerbesten den Diskurs bestimmen – und nicht die, die am besten mit den Medien kommunizieren.

Herr Drosten, Herr Mascolo, vielen Dank für das Gespräch.

* Anmerkung der Redaktion: Nachdem uns Leser auf das von Christian Drosten unterschriebene Leopoldina-Papier hingewiesen haben, in dem eine berufsbezogene Impfpflicht empfohlen wird, hat t-online nachgefragt und seine Antwort an dieser Stelle am 10. Oktober im Interview ergänzt.

Verwendete Quellen
  • Gespräch per Videotelefonie mit Christian Drosten und Georg Mascolo
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