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Zum journalistischen Leitbild von t-online.AfD-Verbotsverfahren "Das wäre ein Desaster"
Soll die AfD verboten werden? Die Fraktionen im Bundestag diskutieren zurzeit heftig über diese Frage. Das sagen Abgeordnete von CSU bis Linke.
Es ist schon jetzt einer der umstrittensten politischen Vorstöße in dieser Legislatur: der Antrag auf ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Mehr als 37 Abgeordnete aus verschiedenen Parteien wollen ihn stellen, eine einfache Mehrheit im Bundestag müsste ihn annehmen.
Doch der Schritt gilt als gewaltig und kompliziert, in jeder Fraktion gibt es deswegen Überzeugte, Zweifler und Kritiker. t-online hat sieben Abgeordnete nach ihrer Meinung gefragt – und ist auf sehr unterschiedliche Einschätzungen gestoßen.
Renner (Linke): "Selbstverteidigung unserer Demokratie"
Martina Renner, 57 Jahre alt, ist eine der Initiatoren des Antrags auf ein AfD-Verbotsverfahren im Bundestag. Die Linken-Abgeordnete und Rechtsextremismus-Expertin sagt:
"Aus guten, historischen Gründen sind die Hürden für ein Parteiverbot in Deutschland hoch. Doch aus ebenso guten und ebenso historischen Gründen sieht das Grundgesetz diese Mittel als Selbstverteidigung unserer Demokratie vor. Die AfD lässt keinen Zweifel, dass sie jede Macht, die sie erringt, zur Erreichung ihrer Ziele einsetzt: die rassistische Verächtlichmachung und Entrechtung von Menschen, die Bekämpfung politischer Gegner und die Zerstörung von Demokratie und Rechtsstaat. Dass wir dieser Bedrohung politisch begegnen müssen, bedeutet nicht, auf andere Mittel zu verzichten, erst recht nicht, wenn die Verfassung deren Einsatz gebietet. Der Bundestag sollte deshalb eine Prüfung der Verfassungswidrigkeit beantragen."
Selbst in Renners Partei, die sich den Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus auf die Fahne geschrieben hat wie keine andere, gilt das "schärfste Schwert der Demokratie" allerdings als umstritten. Öffentlich gegen den Vorstoß positionieren will sich derzeit aber (noch) kein Linken-Politiker.
Weingarten (SPD): "Das wäre ein Desaster für die Demokratie"
Joe Weingarten, 62 Jahre alt, ist Verteidigungspolitiker und direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz). Er ist gegen ein Verbotsverfahren:
"Ich halte ein AfD-Verbotsverfahren aus mehreren Gründen für falsch. Wir müssen uns mit dieser Partei inhaltlich und konzeptionell auseinandersetzen und den Wählerinnen und Wählern deutlich machen, wohin der falsche Weg der AfD führt. Ein Verbotsantrag, wenn er gelänge, könnte hingegen politische Märtyrer schaffen, was rechtsradikalen Neugründungen zugutekommen könnte. Zugleich habe ich Zweifel, ob ein AfD-Verbotsverfahren auch rechtssicher durchgeführt werden könnte. Scheitert der Antrag aber, wäre das ein Desaster für die Demokratie."
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Wegge (SPD): "Das sind Verfassungsfeinde"
Carmen Wegge, 35 Jahre alt, ist Bundestagsabgeordnete und stellvertretende rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sie kann sich vorstellen, ein Verbotsverfahren zu unterstützen:
"Die AfD ist keine Partei, die ein bisschen rechts steht. Das sind Verfassungsfeinde, das sind Feinde der Demokratie. Wir erleben es jeden Tag in den Parlamenten und den sozialen Medien. Aus gutem Grund bietet unser Grundgesetz im Rahmen der wehrhaften Demokratie die Möglichkeit, die Verfassungswidrigkeit von Parteien prüfen zu lassen. Die Hürden dafür sind dabei zu Recht hoch. Sollte es eine interfraktionelle Initiative zur Überprüfung der AfD geben, kann ich mir vorstellen, diese zu unterstützen. Am Ende geht es darum, unsere Demokratie zu schützen. Das gehört zu meinen Aufgaben als Bundestagsabgeordnete."
Huber (CSU): "Der falsche Weg"
Martin Huber, 46 Jahre alt, ist CSU-Landtagsabgeordneter und seit Mai 2022 Generalsekretär seiner Partei. Er spricht sich gegen ein Verbotsverfahren aus:
"Ein Verbotsverfahren gegen die AfD wäre ein Konjunkturprogramm für die Partei und ist deshalb der falsche Weg. Ein solches Verfahren ist langwierig und das Ergebnis unvorhersehbar. Es gibt der AfD die Möglichkeit, sich als Opfer zu inszenieren. Keine Frage: Die AfD ist ein Sammelbecken für Rechtsradikale und Nazis, sie ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Dennoch müssen wir als Demokraten Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit finden. Die miserable Politik der Bundesregierung bei Migration, Wirtschaft und Klimaschutz ist Dünger für die AfD. Unzufriedenheit kann man nicht verbieten. Um die AfD zu schwächen, braucht es kein Verbot, sondern vernünftige Regierungsarbeit."
Emmerich (Grüne): "Feind der Demokratie"
Marcel Emmerich, 33 Jahre alt, ist Bundestagsabgeordneter und Innenexperte. Er unterstützt den Antrag für ein Verbotsverfahren im Bundestag:
"Die fortschreitende Radikalisierung der AfD ist unbestreitbar. Sie ist ein Feind der Demokratie. Das belegen zahlreiche Beispiele. Die Ereignisse im Thüringer Landtag zeigen, dass die AfD versucht, Institutionen auszuhebeln, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommt. Eine wehrhafte Demokratie muss eine mögliche Verfassungswidrigkeit von Parteien prüfen lassen, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Die Hürden dafür sind zu Recht hoch, aber es geht um den Schutz unseres demokratischen und offenen Zusammenlebens. Dass sich die AfD erneut in die Opferrolle begeben könnte, sollte kein Grund gegen das Verfahren sein – das tut sie ohnehin immer."
Mihalic (Grüne): "Gut gemeinter Aktionismus "
Irene Mihalic, 47 Jahre alt, ist Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen und Polizeibeamtin. Sie hält die AfD für gefährlich, ist aber gegen das derzeitige Verfahren im Bundestag:
"Thüringen hat erneut gezeigt, dass die AfD eine reale Bedrohung für Demokratie und Verfassung ist. Die Gefahren, die von der AfD ausgehen, sind uns sehr bewusst, jedoch bleibt ein Verbot voraussetzungsvoll und es hat nichts mit Meinungen zu tun, sondern mit Fakten, die vor Gericht bestehen müssen. Der Bundestag braucht eine Verständigung zwischen Demokratinnen und Demokraten, und es müssen vertrauensvolle Gespräche über das weitere Vorgehen geführt werden. Was nicht hilfreich ist, ist gut gemeinter Aktionismus, der ein Verbot am Ende eher unwahrscheinlicher macht."
Kuhle (FDP): "Die AfD kann sich als Opfer inszenieren"
Konstantin Kuhle, 35 Jahre alt, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Bundestag und als Jurist zuständig für Innen- und Sicherheitspolitik. Er ist wie die allermeisten bei der FDP gegen ein Verbot der AfD:
"Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten aus eigener Erfahrung ein Szenario vor Augen, in dem eine rechtsextreme Partei aus Deutschland einen autoritären Staat machen will. Aus diesem Grund haben sie das Instrument des Parteiverbots in die Verfassung geschrieben. Zum jetzigen Zeitpunkt dürfte eine öffentliche Debatte über ein mögliches AfD-Verbot jedoch mehr schaden als nutzen. Sie führt ausgerechnet in der aktuell sehr aufgeheizten Lage dazu, dass sich die AfD als Opfer inszenieren kann. Ob ein Antrag auf ein Parteiverbot vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich wäre, ist offen. Das Scheitern eines solchen Antrags wäre ein Desaster. Aus diesen Gründen ist die Skepsis gerade in den Reihen der Freien Demokraten sehr groß. Der Gesetzgeber kann auf Bundesebene etwas anderes tun, um die Demokratie und den Rechtsstaat zu stärken. Schon in der kommenden Sitzungswoche des Deutschen Bundestages wird ein gemeinsamer Antrag der Koalitionsfraktionen und der Union beraten, mit dem der Schutz des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz verbessert werden soll. Dieser Antrag sollte zügig beschlossen werden."
- Statements der und persönliche Gespräche mit den Abgeordneten