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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Markus Söder "Dann hat Europa ein massives Sicherheitsproblem"
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sieht die Schuld für den wachsenden Aufruhr im Land bei der Ampel – und fordert Neuwahlen. Aber wäre die Union darauf vorbereitet? Ein Gespräch über Polarisierung, Selbstkritik und die Vorzüge von Olaf Scholz.
Im Repräsentationssaal des Regierungssitzes stehen silberne Kaffeekännchen und ein paar Erfrischungsgetränke in Reih und Glied wie in einem besseren Restaurant. Das Ambiente des großzügigen Raums: eine Mischung aus Tradition und Moderne. So versteht die CSU sich.
Die Tür geht auf und Markus Söder kommt mit großen Schritten über den Teppich. Offener Hemdkragen ohne Krawatte und diese schwarze Jacke mit Reißverschluss über dem Hemd und unter dem Jackett, über die sich manche in der CSU sehr aufregen können. Grüß Gott, freundliches Händeschütteln, hinsetzen, ohne große Umschweife und Small Talk.
Er scheint gut gelaunt. Kein Wunder. Während die Ampel bei den Bürgerinnen und Bürgern immer mehr in Ungnade fällt, steht seine CSU in den Umfragen gut da. Bei 41 Prozent sehen die jüngsten Umfragen die Christsozialen. Söder lehnt sich in seinem Stuhl zurück und atmet auf. "Fangen wir an", sagt der Hausherr.
t-online: Herr Söder, der Jahresbeginn ist geprägt von bundesweiten Streiks. Nicht nur die Bauern protestieren. Auch das Handwerk, die Spediteure, die Gastronomen. Woher kommt dieser massive Unmut?
Markus Söder: Die Ampel begeht immer wieder Wortbruch und enttäuscht die Menschen. Noch nie hatte eine Bundesregierung so wenig Vertrauen bei der Bevölkerung wie jetzt. Selbst innerhalb der Ampel gibt es kein gegenseitiges Vertrauen. Dadurch entsteht der Eindruck, Deutschland komme gar nicht mehr aus der Spirale des Abstiegs heraus. Die Entscheidungen wirken weder vernünftig noch durchdacht. Es bräuchte dringend ein Konzept für neue Sicherheit und neue Ordnung. Das kann und will die Ampel aber offensichtlich nicht leisten.
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Bei aller berechtigten Kritik – geht es den entsprechenden Berufsgruppen wirklich so schlecht?
Die Entscheidungen der Ampel gehen an der ökonomischen und politischen Realität vorbei. Beispiel Energie: Aus einem ideologischen Konzept heraus resultieren hohe Preise. Anstatt uns selbst im Land um die Energieversorgung zu kümmern, kaufen wir lieber Atomstrom und Fracking-Gas teuer ein. Dazu kommt ein falsches und zu teures Heizgesetz. Gleichzeitig fehlt woanders Geld, sodass die Gastrosteuer erhöht werden muss und das Klimageld nicht ausgezahlt werden kann. Das führt bei den Menschen zu Verunsicherung und hoher Frustration.
Die abgesenkte Mehrwertsteuer in der Gastronomie wurde doch für die Corona-Jahre eingeführt. Zumal die Preissenkung in den wenigsten Fällen weitergegeben wurde, die Steigerung jetzt aber schon.
Der Bundeskanzler hat vor der Wahl sein Wort gegeben, dass die Gastrosteuer nicht wieder erhöht wird. Jetzt hat er anders entschieden. In einer Phase extrem hoher Inflation wird das Essen dadurch noch teurer. Für eine Familie macht es einen großen Unterschied, wenn ein Schnitzel zwei oder drei Euro mehr kostet. Die Erhöhung der Gastro-Mehrwertsteuer ist eine extrem schmerzhafte Mehrbelastung für die einzelnen Bürger und Betriebe, die aber nur wenig Geld für den Bundeshaushalt bringt.
Sind Sie bei dem Unmut der Menschen nicht auch ein Stück weit bereit zur Selbstkritik? Denn kann es wirklich sein, dass das alles nur auf zwei Jahre Ampel zurückzuführen ist?
Die vielen Fehler der Ampel sind nicht zu relativieren. Die Ausweitung des Bürgergelds, der Ausstieg aus der Kernkraft und die Kürzung von Investitionen sind alles Entscheidungen der aktuellen Regierung. Anstatt sich um die großen Fragen zu kümmern, werden oft ideologische Projekte vorangetrieben. Das führt zu großem Unmut im Land.
Der Atomausstieg kam doch von Frau Merkel.
Die Umstände waren damals aber völlig andere. Für die Übergangsphase mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien planten damals alle mit Gas aus Russland – sogar die Grünen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Lage grundlegend verändert, deshalb muss sich auch Politik ändern. Wenn wir heute dreckige Kohlekraftwerke weiterlaufen lassen, anstatt die klimafreundlichere Kernkraft für eine Übergangszeit weiterlaufen zu lassen, versündigen wir uns am Klima.
Wir müssen noch mal nachfragen: Die Union trägt aus Ihrer Sicht keine Verantwortung?
Keine Regierung ist ohne Fehler, aber den aktuellen Unmut hat allein die Ampel herbeigeführt. Am Anfang sah es noch nach pragmatischer Politik aus – auch von den Grünen. Doch dann fielen sie in alte ideologische Muster zurück: mit dem überstürzten Ausstieg aus der Kernenergie, dem Heizungsgesetz und der ausbleibenden Zeitenwende bei der Bundeswehr. Der Verteidigungsminister müht sich zwar, aber ohne Erfolg. Anders als versprochen passiert viel zu wenig, während die Bedrohungslage immer weiter zunimmt. Sollte Russland in der Ukraine gewinnen und sich die USA aus Europa zurückziehen, hat Europa ein massives Sicherheitsproblem.
Über die Proteste im Land sagt Söder: "Politik muss Kritik ertragen können."
Bei der CSU-Klausur in Kloster Seeon haben Sie am Samstag gesagt, Entgleisungen seien zwar unakzeptabel, man müsse aber akzeptieren, dass Bauernproteste auch mal "rustikaler" sein können. Was haben Sie damit gemeint?
Politik muss Kritik ertragen können. In der Landwirtschaft geht es rustikaler zu als in einem Literaturclub – und das ist auch in Ordnung. Die Proteste in dieser Woche waren angemeldet, friedlich und demokratisch. Das ist generell nicht zu beanstanden.
Wenn Heuballen in Ampelfarben geschreddert werden und Strohpuppen an Galgen hängen – ist das dann noch rustikal?
Nein, natürlich nicht. Das sind Grenzüberschreitungen. Zum Glück war aber die breite Mehrheit sehr vernünftig.
Wo ist der Unterschied zur "Letzten Generation", bei der die CSU regelmäßig von Gesetzesbrechern spricht?
Klimakleber leisten keinen produktiven Beitrag für unser Land. Die Landwirtschaft hingegen sehr wohl. Sie kümmert sich um unser Essen. Wir spüren seit Jahren, dass unser Land an vielen Stellen immer abhängiger vom Ausland wird. Bei der Ernährung ist das anders. Wir können uns von eigenem Getreide, Gemüse, Salat und Fleisch ernähren. Das sollten wir auf keinen Fall aufgeben. Im Gegenteil: Die Landwirte haben unsere Unterstützung und unseren Respekt verdient.
Sind die Existenzsorgen der einen legitimer als die der anderen?
Das ist in diesem Fall nicht vergleichbar.
Die Klimakleber würden Ihnen vielleicht sagen, dass ihr Einsatz dafür, dass die Welt bewohnbar bleibt, auch ein wichtiges Anliegen ist.
Auch ich bin für Klimaschutz und den Erhalt unserer Erde. Bayern investiert jährlich als einziges Land eine Milliarde Euro in den Klimaschutz. Aber es hilft doch null in der Sache, sich festzukleben oder das Brandenburger Tor anzusprühen.
"Der Bundeskanzler ist völlig abgetaucht, anstatt sich zu erklären und Orientierung, Mut und Hoffnung zu geben."
Markus SÖder
Ist die Form der Proteste insgesamt deutlich polarisierender geworden?
Die Regierung lässt die Menschen allein. Der Bundeskanzler ist völlig abgetaucht, anstatt sich zu erklären und Orientierung, Mut und Hoffnung zu geben. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Leider haben inzwischen Teile der Bevölkerung das Grundvertrauen in die Politik verloren.
Ist die Kommunikation das Kernproblem der Bundesregierung?
Es sind zwei Dinge: Die Ampel kann nicht erklären, was sie entscheidet. Und das, was sie entscheidet, ist oft nicht erklärbar. Grüne und FDP sind wie Hund und Katze. Sie gönnen sich nichts. Und in der Mitte ist das Zentrum des Schweigens mit der Kanzler-SPD. Über Nacht wurde beispielsweise die E-Mobilitätsförderung in Deutschland gestrichen, während China den europäischen Markt mit hoch subventionierten E-Autos flutet. Das schadet unserer Wirtschaft und unseren Arbeitsplätzen. Diese Entscheidung wäre selbst nach einer ausführlichen Erklärung nur schwer zu verstehen. Es aber kommentarlos durchzuziehen, sorgt zu Recht für Unverständnis und Verunsicherung. Viele Menschen fragen sich: Worauf kann ich mich noch verlassen?
Ein AfD-Verbot sieht der CSU-Chef kritisch
Wer sichtlich versucht, den Unmut für sich zu nutzen und zu radikalisieren, ist die AfD. In dieser Woche sind Recherchen des Netzwerks "Correctiv" bekannt geworden, aus denen ein Treffen von AfD-Politikern, Mitgliedern der Werteunion und Neonazis hervorgeht. Dabei ging es unter anderem um die sogenannte "Remigration" von Millionen Menschen. Auch Deutsche mit Migrationshintergrund sollen abgeschoben werden. Sollte man vor dem Hintergrund ein Verbot der AfD erneut prüfen lassen?
Ein Verbotsverfahren ist verfassungsrechtlich höchst riskant und hat wenig Aussicht auf Erfolg. Mit der NPD gab es das schon einmal. Am Ende würde der AfD ein gescheitertes Verbotsverfahren nur nützen. Wir müssen die AfD stattdessen inhaltlich stellen und entlarven. Diese Partei schadet unserem Land und gefährdet unsere Freiheit und Sicherheit. Wenn die aktuellen Probleme im Land endlich gelöst werden, sinken auch die Zustimmungswerte der AfD wieder.
"Wir haben einen klaren Zeitplan vereinbart. Darin sind Friedrich Merz und ich uns völlig einig."
Markus Söder
Sie fordern im Bund einen "Trainerwechsel" von der Bundesregierung, also Neuwahlen. Dabei wissen Sie selbst, dass das nicht so einfach ist. Für wie realistisch halten Sie das?
Gerhard Schröder hat damals auch in der Hälfte der Legislatur die fehlende Legitimation für seine Politik eingeräumt. Also gab es Neuwahlen. Am Ende musste er zwar das Kanzleramt räumen, aber die zuvor umstrittene Agenda 2010 fand plötzlich Akzeptanz. Der Ampel fehlt aber leider der Mut zu so einer Einsicht. Das spüren die Bürger.
Wäre die Union denn bereit für einen Wahlkampf und anschließenden Regierungswechsel?
Auf jeden Fall. Wir haben ein Programm und wir sind geschlossen wie lange nicht mehr. Statt auf Ideologie setzen wir auf einen bürgerlichen Kurs und wirtschaftliche Kompetenz.
Nur der Spitzenkandidat steht noch nicht fest.
Auch hier würden wir umgehend eine gute Lösung finden.
Friedrich Merz wird im Mai zum CDU-Vorsitzenden wiedergewählt. Müsste die Entscheidung dann nicht klar sein?
Wir haben einen klaren Zeitplan vereinbart. Darin sind Friedrich Merz und ich uns völlig einig. Würden wir jetzt neu wählen, wäre Friedrich Merz aber natürlich der klare Favorit.
Favorit oder Kandidat?
Wir werden vorbereitet sein, darauf können Sie sich verlassen!
Und was wäre bei einer Wahl im Herbst 2025 anders?
Alles zu seiner Zeit. Für so eine Diskussion ist es jetzt verfrüht. Das lenkt nur ab. Sie als Online-Medium wissen doch am besten, wie viel in kurzer Zeit passieren kann. Deshalb ist wichtig, sich nicht treiben zu lassen. Friedrich Merz und ich werden das gut und zum richtigen Zeitpunkt hinbekommen.
Heißt, Friedrich Merz kann die Frage nicht einfach auf dem Parteitag im Mai klären?
Wie gesagt: Es gibt ein klares Verfahren. Friedrich Merz und ich haben ein ausgesprochen gutes persönliches Verhältnis. Und die Union ist inhaltlich geschlossen wie lange nicht. Im neuen CDU-Grundsatzprogramm steckt viel CSU drin.
Söder lehnt Wehrpflicht für Frauen ab
In einem Punkt ist uns ein kleiner, aber doch wichtiger Unterschied zur CSU aufgefallen: bei der Wehrpflicht. Die CDU fordert hier ein sogenanntes "Gesellschaftsjahr". Könnten Sie sich damit auch anfreunden?
Eine allgemeine Dienstpflicht ist denkbar, aber verfassungsrechtlich schwierig durchzusetzen. Deswegen sollten wir uns in der jetzigen Lage zunächst daran orientieren, was der Landesverteidigung hilft. Das ist die Stärkung der Bundeswehr.
Hat die CSU die Wehrpflicht nicht damals abgeschafft?
Sie haben recht. Das war aus heutiger Sicht ein Fehler des damaligen Ministers. Die Bedrohungslage hat sich völlig verändert.
Ist das strukturell so einfach, die Wehrpflicht wieder einzuführen?
Das funktioniert nicht über Nacht, sondern braucht einen strukturierten Stufenplan über fünf bis sieben Jahre. Aber es lässt sich organisieren und würde die Verteidigungsfähigkeit erhöhen. Es müsste auch nicht alles wieder so sein wie damals. Die Verfahren sollten sich ändern und der Dienst selbst attraktiver werden. Sofort könnten wir beispielsweise den freiwilligen Wehrdienst stärken und damit die Bundeswehr wieder stärker in der Gesellschaft verankern.
"Die Bundeswehr ist offen für Frauen, aber eine Wehrpflicht sollte nur für Männer gelten."
Markus Söder
Und die allgemeine Wehrpflicht sollte dann nur für Männer gelten?
Die Bundeswehr ist offen für Frauen, aber eine Wehrpflicht sollte nur für Männer gelten.
Warum?
Mit Blick auf die Fragen der persönlichen Lebensplanung müssen Frauen ohnehin schon größere Herausforderungen als viele Männer bewältigen. Da muss nicht noch mehr dazukommen.
Annalena Baerbock hat Saudi-Arabien jetzt überraschend deutsche Kampfjets in Aussicht gestellt. Die Grünen haben sich ziemlich schockiert gezeigt. Sie auch?
Die Entscheidung war überraschend, aber sie ist richtig. Rüstungsexporte stützen unser geopolitisches Interesse und helfen auch der eigenen Verteidigungsfähigkeit. Nur wenn Sicherheitsindustrie in Deutschland angesiedelt ist, können wir selbst darauf zurückgreifen. Aber klar ist: Hätten wir als Union in Regierungsverantwortung so eine Entscheidung wie Annalena Baerbock getroffen, hätte es von den Grünen wohl eine Sitzblockade im Bundestag gegeben.
Sie befürworten also die Kooperation mit Saudi-Arabien?
Ja.
Herr Söder, zum Schluss die Frage, was schätzen Sie an Olaf Scholz?
Er ist ein kluger Kopf. Nur manchmal steht ihm seine Klugheit im Weg.
Und was können Sie besser als Scholz?
Ich habe mehr Humor und ein anderes Temperament (lacht).
- Eigene Recherche