Demonstrationen Autobahn-Blockaden der Klimaschützer: Kann das legitim sein?
Berlin (dpa) - Nach zweieinhalb Wochen immer neuer Autobahnblockaden von Klimaschützern in Berlin und anderswo liegen die Nerven blank.
Das gilt auf der Straße, wo zuletzt wütende Autofahrer Aktivisten der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" samt ihrer Transparente für ein "Essen-Retten-Gesetz" von der Straße zerrten. Aber es gilt auch in der Politik, wo nun gestritten wird: Ist das "ziviler Ungehorsam" und damit legitim? Agrarminister Cem Özdemir positionierte sich am Donnerstag klar. "Ich glaube, dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Polizei fährt hochschwangere Frau
Kurz zuvor hatte die Berliner Polizei eine hochschwangere Frau aus einem Stau in der Umgebung einer weiteren Sitzblockade auf der Stadtautobahn A100 geholt und mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Insgesamt blockierten Demonstrierende seit dem 24. Januar mehr als 30 Mal allein in Berlin Straßen und Autobahnen. Dazu kamen Aktionen in Hamburg, München oder Stuttgart. Meist sind es nur fünf bis zehn, die sich aber teils festkleben und damit effizient Chaos stiften. Sie fordern ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine sofortige Agrarwende, um Klimagase aus der Landwirtschaft zu mindern.
"Gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man ganz sicher nicht, wenn man Krankenwagen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert", hielt Özdemir ihnen entgegen. Auch ihm seien Klimaschutz und das Vorgehen gegen Lebensmittelverschwendung sehr wichtig, versicherte der Grünen-Politiker. Das sei in der Ampel-Koalition schon vereinbart und er sei mit Kabinettskollegen im Gespräch. Den Demonstrierenden reicht das nicht. "Das ist ja toll, aber das sind leere Worte", kommentierten sie Özdemirs Äußerungen. Sie wollen weiter blockieren, bis das Gesetz auf dem Weg ist.
Dilemma für die Grünen
Für die Grünen mit ihrer Geschichte in der Klimabewegung ist es ein Dilemma. Seit Tagen lassen einzelne Grünen-Politiker diesen Zwiespalt auch immer wieder erkennen. So sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) laut "Tagesspiegel": "Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen." Ganz ähnlich hatte sich auch die neue Grünen-Chefin Ricarda Lang geäußert, allerdings mit dem Zusatz: "Klar ist, es darf niemand gefährdet werden."
Von ihren Koalitionspartnern SPD und FDP ernten sie dafür Widerspruch. Justizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb bei Twitter: "Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig." Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte Sitzblockaden auf Autobahnen lebensgefährlich. Friedlicher Protest sei in der Demokratie zwar wichtig, "aber niemand hat das Recht, andere zu gefährden".
Faeser stellte sich ausdrücklich hinter Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD), die mit einer neuen Linie der Polizei Blockaden früher unterbinden will. "Lebenswichtige Rettungswege, Notarztfahrten und Transporte von Kranken und Verletzten werden bewusst versperrt", meinte Spranger. In einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus ging es hoch her. "Die Berlinerinnen und Berliner haben die Schnauze gestrichen voll", sagte der FDP-Politiker Björn Matthias Jotzo. Eine Million Menschen seien schon betroffen gewesen.
Aktivisten: Widerstand als moralische Pflicht
Die Aktivisten versichern, sie sorgten für größtmögliche Sicherheit und die Behinderungen täten ihnen auch leid. Aber es herrsche Notstand. "Wenn wir nur brave Aktionen machen, ist die Reaktion der Politik zu langsam", sagte der 40-jährige Christian Bläul dem "Tagesspiegel". Das Argument: Die Welt steuere auf eine Klimakatastrophe mit Hungersnöten zu und habe nur noch zwei bis drei Jahre zum Umsteuern - deshalb sei Widerstand nun moralische Pflicht.
Dahinter stehen einige der jungen Leute, die im vergangenen Sommer in Berlin schon wochenlang im Hungerstreik waren. Mit dabei wieder Henning Jeschke und Lea Bonasera, die damals zum Schluss sogar Flüssigkeit verweigerten und so ein Gespräch mit dem heutigen Kanzler Olaf Scholz erstritten.
Die Demonstranten riskieren bewusst, festgenommen zu werden. Bis Mitte dieser Woche passierte dies rund 170 Mal, mehr als 200 Anzeigen wurden geschrieben. In 25 Fällen ordneten Richter Gewahrsam an. Die Aktivisten äußern sich empört: "Teilnehmende Menschen sitzen bislang bis zu 36 Stunden in Einzelzellen." Doch kaum kommen die Demonstranten aus dem Gewahrsam, sind sie schon bei der nächsten Blockadeaktion.
Fridays for Future und Extinction Rebellion
Viele der Protestierenden - der "Aufstand" zählt nach eigenen Angaben etwa 70 bis 80 Leute - waren früher bei Fridays for Future, später bei Extinction Rebellion. Als der Protest nicht schnell genug fruchtete, wurden die Aktionen immer krasser. Der Protestforscher Dieter Rucht geht auch davon aus, dass die Radikalisierung weitergeht.
Den Sicherheitsbehörden sind die Aktivisten von "Essen retten - Leben retten" bislang nicht als Extremisten aufgefallen. Ansatzpunkte für linksextremistische Einflussnahme sah das Bundesamt für Verfassungsschutz aber unter anderem bei "Ende Gelände" im rheinischen Braunkohlerevier. Einige Linksextremisten versuchten, "demokratische Diskurse zu verschieben, sie um ihre eigenen ideologischen Positionen zu ergänzen, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren und den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren", hieß es im Verfassungsschutzbericht 2020.