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Spenden ins Nichts? Ein Kinderschutz-Phantom geht um in der AfD


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Spenden ins Nichts?
Ein Kinderschutz-Phantom geht um in der AfD

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand und Andrea Becker

Aktualisiert am 06.10.2021Lesedauer: 8 Min.
"GegenKinderehen": AfD-Abgeordnete spenden bei einem "Kinderkongress" für die Initiative. Sie scheint nur virtuell zu existieren, wo ein AfD-Anhänger seit Jahren immer wieder auffällt, wenn es um mehr Schein als Sein geht.Vergrößern des Bildes
"GegenKinderehen": AfD-Abgeordnete spenden bei einem "Kinderkongress" für die Initiative. Sie scheint nur virtuell zu existieren, wo ein AfD-Anhänger seit Jahren immer wieder auffällt, wenn es um mehr Schein als Sein geht. (Quelle: Screenshot Twitter)
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Bei einem "Kinderschutzkongress" spenden AfD-Abgeordnete für eine Kinderschutzinitiative, über die sie nichts wissen oder nichts sagen. Fäden zieht ein Mann, den die AfD vor einem "Mädchenkongress" rausgeworfen hatte.

Natalja V. lacht auf Fotos neben dem AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla, sie schaut freundlich auf Fotos mit einem blauen AfD-Mundschutz bei einer "Querdenker"-Demo am Tag vor der Bundestagswahl. Und bei der Spendenübergabe von AfD-Abgeordneten für ihre Initiative "GegenKinderehen" strahlt sie wieder.

Mit Natalja V. kann ein Aktivist aus der AfD ein neues Gesicht für sein Thema Kinderschutz vorzeigen. Vor der aus Russland stammenden Frau waren es eine Deutsche mit armenischen Wurzeln und eine Rumänin. Jede der Frauen ist ein Beispiel, wie mit heißer Luft Kinderschutz vorgegeben wird.

Natalja V. ist am Telefon höflich, aber nicht mehr hilfsbereit, wenn man sie unter der Nummer ihres Studios für Tantra-Massagen erreicht und fragt, wie man "GegenKinderehen" Geld spenden kann. Es ist der Versuch, mehr über die Initiative herauszufinden, die seit Jahren durch das Netz geistert. Aber Natalja V. erklärt, das dürfe sie nicht sagen. In der Vergangenheit hatte die AfD öffentlichkeitswirksam eher Probleme damit, Spender zu nennen. Jetzt geht es um eine Spendenadresse.

Nun ist es offenbar kompliziert, eine Adresse für Spenden zu erfahren, um eine Organisation beim "Kinderschutz" zu unterstützen. "Sie werden angerufen", sagt sie und notiert die Nummer.

Geheimsache Kinderschutz

Das könne aber dauern, schließlich machten das alle ehrenamtlich. Wer sind "alle", wer entscheidet oder wen kann man fragen? Darf sie wieder nicht sagen. Erst recht nicht in weiteren Telefonaten, als sich der Anrufer als Journalist zu erkennen gibt. Geheimsache Kinderschutz – weil es peinlich werden könnte.

Für Unterstützer war schon ein "Meet and Greet" mit ihr zu gewinnen, als sei sie ein Popstar. Von der AfD Münster wurde sie in sozialen Netzwerken gepriesen als "Vorbild, das rund um die Uhr dem Aufschrei des Entsetzens über zunehmende Mädchenmorde und Kinderehen Gehör verschafft".

Am Telefon ist Natalja bescheiden. "Ich bin erst neu dabei." Den Account gibt es aber bereits seit März 2016.

Natalja V. möchte auch nicht sagen, wie sie nun dazu gekommen ist und was das mit Magnus B. zu tun hat. Das ist ein Mann, der seit 20 Jahren damit auffällt, vermeintlich große Initiativen zum Kinderschutz aufzubauen, hinter deren Kulisse nichts zu sehen ist. "Magnus B., wer soll das sein?" Sie kenne ihn nicht, sagt Natalja V.. Das ist verwunderlich, denn Magnus B. ist der Mann, der mit ihr auf dem ersten "Alternativen Kinderkongress" der AfD gesprochen hat und der diesen Kongress laut Parteifreunden initiiert hat.

Kinderkongress erinnert an Mädchenkongress

An einem Samstag Mitte August sitzen dabei gut zwei Dutzend Personen in Münster zusammen. Nach der Anregung von B. hatte die sechsköpfige AfD-Fraktion im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) eingeladen. Beim LWL geht es gewöhnlich um Inklusionsangelegenheiten und psychiatrische Versorgung. AfD-Fraktionsvorsitzender Sascha S. Menkhaus erklärt damals, dass die AfD Kinder vor den Gefahren schützen muss, die in einer “moralisch zerfallenden und von fremden Wertvorstellungen unterwanderten Gesellschaft” so lauern.

Das erinnert an den "Mädchenkongress", der nach Recherchen von t-online auch ein Herzensanliegen von Magnus B. war. Kurz vor der Europawahl 2019 sollte er im Bundestag stattfinden, diverse Accounts auf Twitter warben dafür, und damals war eine Eliza das Gesicht.

Und es war absurd.

Eliza war Mitarbeiterin eines AfD-Bundestagsabgeordneten und räumte offen ein, dass ihre Postings "der Magnus" schreibe. Und das mit Accounts, die zum Teil umbenannt und zweckentfremdet worden waren. Elizas Account etwa war zuvor der des kirchenpolitischen Sprechers der AfD-Bundestagsfraktion gewesen.

Und dieses Profil war auch nur eines von vielen, die eine illustre Geschichte hinter sich hatten. Twitter erlaubt das Umbenennen des @-Namens. Vielfach ist das sinnvoll und nachvollziehbar. Der Account der Bundespartei @AfD würde sonst heute noch @wahlalternativ1 heißen wie zu Beginn.

In anderen Fällen ist es Täuschung: Ein AfD-Kandidat für eine Oberbürgermeisterwahl hatte plötzlich über Nacht unter seinem Namen "@AfDOBLaudenbach" einen Twitter-Account, der vorher diverse andere Namen trug, unter anderem "@Sweet_Xenia". Der Account hatte 70.000 Follower.

B. hatte 2013 mehr Follower als Laschet heute

Die Zahl machte Eindruck, ist aber noch nichts gegen den früheren Account von Magnus B.: Zur Bundestagswahl 2013 hatte B. auf Twitter 300.000 Abonnenten. Armin Laschet oder Olaf Scholz haben heute weniger als 200.000.

B. hatte verstanden, wie sich mit Tricks international Accounts mit Reichweite aufbauen lassen – auch wenn es Südamerikaner, Türken oder Ägypter nicht interessiert, was da geschrieben wird. Aber B. sah es als seine Mission an, das "rosa-rot-grüne Meinungsmonopol bei Twitter (...) mit demokratischer, islamkritischer, antipädophiler Aufklärung" aufzubrechen, wie er mal schrieb.

Von B. gibt es aus jüngster Zeit Bilder mit einem T-Shirt "Twitter-Team" beim Wahlkampf im Münsterland. 2017 war er mit dem Shirt vor dem Bundestag zu sehen und wurde 2018 als Social-Media-Honorarkraft von der Bundes-AfD angeheuert.

Wochen vor dem geplanten Mädchenkongress trennte sich die Partei aber von ihm. Die "fragwürdigen Praktiken", auf die t-online in Recherchen gestoßen war, würden in der AfD "grundsätzlich sehr kritisch beurteilt", erklärte ein Parteisprecher damals. Man "distanziere sich von jeglichen Aktivitäten des Mannes".

Als nach der Berichterstattung der Mädchenkongress ausfiel, atmete die Bundesarbeitsgemeinschaft Mädchenpolitik auf: Sie hatte gewarnt, dass die "nationalistischen, antifeministischen und rassistischen Inhalte" der AfD "den Grundlagen einer emanzipatorischen Mädchen*arbeit widersprächen", die Partei versuche, politische Diskurse antifeministisch zu verschieben.

Die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst erklärte die Absage mit einem Schicksalsschlag in der Familie der angeblichen Hauptrednerin, zugleich verschwanden auch diverse Twitter-Accounts, die Werbung gemacht hatten: Twitter sperrte sie.

GegenKinderehen überstand Sperr-Welle

"@GegenKinderehen" blieb verschont – der Account, für den jetzt Natalja V. steht und der früher "@boehmermannwars" hieß. Und @GegenKinderehen war mittendrin beim "Kinderkongress" und warb mit neuen Accounts wie @haerterestrafen, @AfDFilme, @AfDWahlkampf oder @AfDJetzt. Auch ein eigener Account @kinderkongress entstand – mit zum Teil absurden Tweets: "Lässt die UNION Kinderschützer/Lebensschützer weiter im Stich, wählen wir AfD", drohte der AfD-Account.

Verstärkung kam etwa durch Tweets der AfD-Bundestagsabgeordneten Berengar Elsner von Gronow, Jörg Schneider und Martin Renner sowie des Europaabgeordneten Reil.

Bis vor Kurzem war von Magnus B. in einem beruflich genutzten Netzwerk zu lesen, dass er für drei Bundestagsabgeordnete arbeitet. Auf Anfrage hat keiner der oben genannten geantwortet, ob B. das immer noch oder wieder tut. B. lässt seinen Anwalt erklären, dass er das nicht bestätigen könne, sofern er sich an vertragliche Verschwiegenheitsverpflichtungen halten müsse. "@GegenKinderehen", das sei aber nicht sein Account. Es sei der eines Bekannten, hatte er 2019 erklärt.

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Auch auf Instagram, wo sich Jugendliche eher als auf Twitter tummeln, ist "GegenKinderehen" präsent. Dem zugehörigen Instagram-Profil folgt eine Reihe von AfD-Bundestagsabgeordneten, rechte Influencerinnen und einige vermeintliche Initiativen. Dort gibt es Zeichnungen von jungen Erwachsenen, die sich angeblich bei "GegenKinderehen" engagieren. Eine 19-Jährige mit einer Mutter aus Zaire, eine 20-Jährige mit belgisch-kamerunischen Eltern, eine 19-Jährige aus estnisch-finnischem Elternhaus.

Vermeintliche internationale Unterstützerinnen und ein Geflecht von sich gegenseitig folgenden Profilen erinnern an Dutzende gelöschter Fake-Twitter-Accounts vermeintlicher AfD-Unterstützerinnen vor der Europawahl. Und an die Methode Magnus B.

B. ist jemand, dem vor 20 Jahren schon vorgeworfen wurde, mit erfundenen Mitstreitern reale Initiativen zum Opferschutz viel größer aussehen zu lassen, als sie tatsächlich waren. Er bestritt das immer.

Er sei "Virtuose in Sachen Engagement und PR, seine Gruppe jedoch scheint eher virtuell", schrieb die "taz" 2001. Und die "Zeit" wunderte sich, dass B. als Vorsitzender eines bundesweiten Jugendbündnisses "Weiße Rose" stets ohne Mitstreiter auftrete, "was auch dem vermeintlichen Bündnis etwas Surreales verleiht". Da ging es um Fördergelder. Die Initiative bekam sie damals sogar von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Doch ein geforderter Zwischenbericht blieb aus, die Förderung endete.

Heute findet sich Magnus B. auch so abgekürzt auf der Seite der AfD in Münster, wo die Partei bei der Bundestagswahl traditionell ihr schlechtestes Ergebnis deutschlandweit holt. Im Netz macht sie Wirbel – mit Magnus B. als Social-Media-Berater. Die AfD Münster zeigt sich dort als großer Fan von Natalja: "Es braucht Vorbilder wie DICH, die rund um die Uhr dem Aufschrei des Entsetzens über zunehmende Mädchenmorde und Kinderehen Gehör verschaffen!"

B. hat auch den "Kinderkongress" vorgeschlagen, erklärte Menkhaus, der von einer "reinen Fraktionsveranstaltung" spricht. Das ist nur die halbe Wahrheit, es geht um mehr als um Information von ein paar Lokalpolitikern.

Björn Höcke schickte Grußwort

Auf Twitter wird vorher schon gefordert, es soll die Veranstaltungen auch in anderen Bundesländern geben, Accounts beklagen größenwahnsinnig, dass "Bild" und Öffentlich-Rechtliche nicht über "die wichtigste kinder- und jugendpolitische Veranstaltung 2021" berichten.

Damit ist tatsächlich der "Kinderkongress" gemeint.

Dort spricht Sven Tritschler ein Grußwort, der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in NRW. Auch Björn Höcke grüßt in einer Videobotschaft. Der Bundesvorsitzende der Jungen Alternative, Carlo Clemens, ist gekommen. Dazu dreht die Jugendbeauftragte der AfD im Allgäu Clips für TikTok. Für ein mit reißerischen Falschinformationen aufgefallenes Portal aus Österreich berichtet ein Reporter.

Vom baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Miguel Klauß ist Geld eingegangen. Tritschler übergibt die Spende an Natalja V. und stockt den Betrag zusammen mit dem örtlichen Fraktionsvorsitzenden Menkhaus auf – auf welche Summe, wird nicht klar.

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Auch der Bundestagsabgeordnete Elsner von Gronow hatte eine Spende angekündigt: "Kinderschützer" müssten zudem geschützt werden vor der Gefahr, dass der "Kampf gegen sexualisierte Gewalt bzw. sexuellen Missbrauch für Zensur instrumentalisiert" werden könnte. "Vor allem islamkritische Initiativen wie GegenKinderehen" seien in Gefahr, mundtot gemacht zu werden, schrieb der ausscheidende Abgeordnete. Meinungsfreiheit ist gewöhnlich nicht das vordringliche Problem von Kinderschützern.

"Danke, dass Sie bezahlt haben"

Zumindest finanziell sieht es mit den Spenden beim "Kinderkongress" offenbar gut aus. Von der Übergabe postet der Account @AfDJetzt – zu der Zeit unter anderem Namen – ein Video und frohlockt: "Das Überleben von @GegenKinderehen ist gesichert". In dem Film bedankt sich Natalja V. bei Tritschler und Menkhaus, "dass Sie bezahlt haben".

Wofür? Der baden-württembergische Spender Miguel Klauß räumt auf Anfrage ein, dass er nicht sagen kann, welche Tätigkeitsbereiche und Projekte die Kinderschutzinitiative betreibt, für die er öffentlichkeitswirksam Geld aufgebracht hat. Er sei auf Twitter auf die Initiative aufmerksam geworden und halte Kinderschutz grundsätzlich für wichtig.

Es kommt aber noch besser. Fraktionsvorsitzender und Veranstalter Menkhaus, der Natalja V. bei der Spendenübergabe selbst gedankt hat, erklärt: Es seien weder Kinderschutzorganisationen eingeladen gewesen, noch sei mit solchen zusammengearbeitet worden.

"Kein Kontakt, keine Ansprechpartner"

Dann hat ihn der Dank von Natalja V. für die Einladung im Account von @GegenKInderehen "im Namen von 17 Aktiven" offenbar auch nicht erreicht. Menkhaus sagt, er habe mit @GegenKinderehen keinen Kontakt gehabt und kenne Anschrift oder Kontaktpersonen nicht.

AfD gegen Istanbul-Konvention
Die Bekämpfung von Zwangsheirat, Kinderehen und häuslicher Gewalt sowie der Ausbau einer Hilfestruktur in Deutschland sind zuletzt durch das Inkrafttreten der Istanbul-Konvention im Jahr 2018 geregelt und verbessert worden. Diesen völkerrechtlich bindenden Vertrag lehnen auf dem “Kinderkongress” aufgetretene Abgeordnete auf Nachfrage von t-online ab. Klauß: Es werde der "linken Ideen des Genderismus gehuldigt, aber kein wirklicher Schutz für Frauen und Kinder gewährleistet." Führende Vertreter der AfD plädieren sogar für einen Austritt aus der Istanbul-Konvention. Der Grund: Das darin enthaltene Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität.

Das zumindest hat er gemeinsam mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem zuständigen Landesjugendamt: Die Initiative sei gänzlich unbekannt. Ähnlich äußerte sich die regionale Fachberatungsstelle gegen Zwangsheiraten: Eine Organisation "GegenKinderehen" kennen die örtlichen Expertinnen nicht.

Und es hat sich auch drei Wochen nach dem Telefonat mit Natalja V. noch niemand von dort zurückgemeldet. Eine Reaktion gab es aber schon. Auf dem Twitter-Klon Gettr ist ein Hilferuf zu lesen: "Das #TeamKinderschutz braucht Hilfe." Man bekomme vermutlich einen Massivangriff von linken Journalisten. "Wenn die es wagen, den Kinderkongress oder auch nur EINEN von uns anzugreifen, dann werden wir einen Sturm lostreten."

Wenn Sie Hilfe benötigen, wenden Sie sich an die Nummer gegen Kummer oder an eine qualifizierte Beratungsstelle. Infos finden Sie unter Krisentelefone & Anlaufstellen in Notlagen.

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