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"Anne Frank"-Kita in Tangerhütte: Darum geht es bei dem neuen Namen


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Umbenennung von "Anne Frank"-Kita
"Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?"


Aktualisiert am 07.11.2023Lesedauer: 5 Min.
Anne Frank: Die Kita in Tangerhütte will seit Monaten ihren Namen ändern, und macht mitten im Gaza-Krieg weltweit Schlagzeilen.Vergrößern des Bildes
"Anne Frank": Die Kita in Tangerhütte will seit Monaten ihren Namen ändern – und macht mitten im Gaza-Krieg weltweit Schlagzeilen. (Quelle: Google Street View, imago images/United Archives, Montage U.Frey/imago-images-bilder)
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Eine Kita will nicht mehr nach Anne Frank heißen. Bei dem Skandal in Tangerhütte geht es nicht primär um antisemitische Motive – aber es hat viel mit missglückter Vergangenheitsbewältigung zu tun.

Als Edith Braun am 21. August im Sozialausschuss des Stadtrats Tangerhütte (Sachsen-Anhalt) das Wort erhob, dachte sie nicht im Traum daran, dass ihre Heimatstadt es mit negativen Schlagzeilen bald bis in die "Jerusalem Post" schaffen würde. An diesem Tag stellte die Verwaltung der Stadt dem Sozialausschuss einen Wunsch des örtlichen Kindergartens vor – und Edith Braun, ihres Zeichens dienstälteste Kommunalpolitikerin vor Ort, kommentierte deftig: "Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?"

Es ging um den Wunsch einer örtlichen Kita. Die Einrichtung, die vor mehr als 40 Jahren schon die Kinder von Braun besucht haben, wollte nicht mehr "Anne Frank" heißen. "Ich dachte, das Thema hat sich nach der klaren Rückmeldung erledigt", sagt Braun heute.

Doch das hatte es offensichtlich nicht. Seit dem vergangenen Wochenende schlägt deutschlandweit und außerhalb des Landes Wellen, was Wunsch der Leitung und des Personals des Kindergartens und der Elternvertreter ist – und was das deutsche Auschwitz-Komitee sogar zu einem offenen Brief veranlasst hat.

Kommunalpolitik-Urgestein Wortführerin gegen Umbenennung

Wie kam es dazu? Warum denkt man in Sachsen-Anhalt mitten im Gaza-Krieg und angesichts einer Welle des Antisemitismus darüber nach, Anne Frank als Namensgeberin eines Kindergartens zu streichen, jenes jüdischen Mädchens also, das für seine Tagebücher weltberühmt wurde und 1945 im Alter von 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb?

Wer mit Edith Braun darüber spricht, erlebt eine aufgewühlte Frau. Im Rat von Tangerhütte ist sie die Chefin der Fraktionsvorsitzendenrunde, zugleich Ortsbürgermeisterin des zu Tangerhütte gehörenden Lüderitz und selbst an der Spitze der Fraktion der Wählergruppe Lüderitz. Braun ist Wortführerin gegen das, was da in Tangerhütte diskutiert wird und jetzt auch den Stadtrat der aus kleinen Kommunen gebildeten Einheitsgemeinde beschäftigen könnte. "Der Rat wird niemals zustimmen. Aber wir wollen, dass es erst gar nicht in den Stadtrat kommt", sagt sie t-online.

Am Wochenende hat die 73-Jährige für Anne Frank zahllose Nachrichten in einer WhatsApp-Gruppe "Einheitsgemeinde Tangerhütte" geschrieben. In der Nacht zum Montag hat sie bloß vier Stunden geschlafen, so sehr beschäftigt sie die Causa.

Wegen Kopftuchdebatte aus SPD ausgetreten

Edith Braun ist eine Person, die die Probleme mit muslimischen Migranten durchaus anspricht und die die Dinge nicht nur im Sozialausschuss beim Namen nennt. Die 73-Jährige wurde 1990 für die SPD erstmals in den Kreistag gewählt. Mit der SPD-Fraktion war sie auch 1997 für zehn Tage in Israel, "es war bewegend und hat mich geprägt", sagt sie heute.

Aus der SPD ist Braun später ausgetreten, Anlass war der Streit ums Kopftuch: Sie war angeeckt, weil sie für ein Kopftuchverbot an den Schulen war – "das schreibt auch kein Koran vor".

Umso mehr hat sie sich am Wochenende geärgert über die Bilder, die sie aus Berlin erreichten: Junge Menschen, die mit Palästina-Flaggen auf dem Neptun-Brunnen vor dem Roten Rathaus herumkletterten, später mit lauten Sprechchören durch die Straßen der Hauptstadt zogen.

Für sie wäre ein Ansinnen wohl unfassbar, die Kita umzubenennen, wegen Rücksichtnahme auf Migranten umzubenennen. Aber dieses von den Befürwortern ins Feld geführte Argument sei "Schönrednerei", sagt sie. Sie sieht den Auslöser eher in dem, was der parteilose Bürgermeister Andreas Brohm am Montag in einer Presseerklärung einen "fundamentalen Neuanfang" nannte.

Dazu muss man wissen: Die Pläne für die Umbenennung gehen schon auf den Jahresanfang und auf eine "grundlegende Konzeptionsänderung" zurück. Dieses neue Konzept solle "durch einen anderen Namen der Einrichtung auch nach außen hin sichtbar" werden.

Umso mehr habe sie sich über die Darstellung in rechten Medien gewundert: In ihrer Heimat diktieren nun angeblich Migranten, wie eine Kita heißen soll, stehe dort. Braun: "Das ist völliger Blödsinn." Bei 3,8 Prozent lag der Ausländeranteil im Landkreis in der jüngsten Statistik, seither sind vor allem Ukrainer hinzugekommen. "Muslime gibt es hier kaum."

Entstanden ist diese Interpretation durch einen Satz der Kita-Leiterin in der "Magdeburger Volksstimme". Der Artikel auf der Titelseite der Zeitung hat das Thema überhaupt aufgebracht. Die Leiterin wurde da zitiert: "Auch Eltern mit Migrationshintergrund könnten mit dem Namen oft nichts anfangen." Am Montag wurde im Kindergarten umgehend aufgelegt, wenn Journalisten anriefen. Es riefen viele an.

Leitung nach Geburtstagssekt im Dienst ausgetauscht

Jetzt kommt die Vorgeschichte ins Spiel, die in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt ist: Im vergangenen Jahr ist die alte Leitung an eine andere Kita gewechselt, nicht ganz freiwillig, Anwälte traten auf den Plan.

Der Grund: Es hatte Unmut unter Eltern über die Führung gegeben. Anlässlich eines Geburtstages einer der Erzieherinnen stieß die Belegschaft mit Sekt während der Betreuungszeit an. Den Vorgang meldeten Eltern bei der Verwaltung. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – und der Tiefpunkt für den "Anne Frank"-Kindergarten. Dachten alle. Dann aber wurde alles viel schlimmer gemacht.

Zunächst jedoch nahm man sich in Tangerhütte den Neustart für die Einrichtung vor. Was die "Anne Frank"-Kita belastet hatte, sollte zurückgelassen werden. Ein neues Team, das ein ganz neues pädagogisches Konzept erstellte, und das viele Eltern begeisterte. Keine festen Gruppen mehr, mehr Eigeninitiative bei den Kindern, die als Individuum jeden Tag neu selbst entscheiden können sollen, was der Tag Spannendes bringt. Offenheit für alle, "Weltentdecker" sollen die Kinder sein.

"Eine Schande für Tangerhütte"

Genau dieser Begriff, "Weltentdecker", stand schnell und steht bis heute als neuer Name im Raum. Statt jenem von Anne Frank, die wohl aus Sicht der Kita-Leitung nicht direkt ersichtlich mit dem neuen Konzept zu verbinden ist.

Edith Braun findet das unglücklich. "Man hätte das Konzept nicht mit einer Namensänderung verbinden dürfen", sagt sie. "Das ist eine Schande für Tangerhütte, ich schäme mich dafür." Doch das Problem liege tiefer. "Es ist eine Generationenfrage und eine Frage der politischen Bildung. Denen ist nicht bewusst, was Anne Frank bedeutet, wie sie für den Wunsch nach Freiheit und Demokratie steht und als Botschaft für 'nie wieder' steht." Eine Generationenfrage sei das. "In den 90er-Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Heute sind alle auf allen Augen blind."

Beim Verein "Miteinander e.V.", der sich eine "offene, plurale und demokratische Gesellschaft in Sachsen-Anhalt" auf die Fahnen geschrieben hat, sieht Geschäftsführer Pascal Begrich in dem Fall auch ein "Stück weit ein Versagen der hochgelobten Erinnerungskultur". Es werde im Netz nun wahlweise von rechter Gesinnung oder dem Druck migrantischer Eltern schwadroniert, wo das Problem woanders liege: "Erinnern wird oft als politische Last empfunden und nicht als Chance – auch für die Arbeit mit Kindern". Dabei gebe es auch sehr gute pädagogische Ansätze, die Geschichte von Anne Frank auch kleinen Kindern zu vermitteln.

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Bislang war unter den Eltern der Rückhalt für die Umbenennung als Teil des neuen Konzepts offenbar groß. Eine Befragung der Eltern läuft noch, in der vergangenen Woche fehlten nach Informationen von t-online lediglich eine Handvoll Rückmeldungen. Die überwältigende Mehrheit der Eltern stand hinter dem Ansinnen.

Stadtverwaltung hat noch nichts vorliegen

Für die gewählten Kommunalpolitiker gilt das überhaupt nicht. Der Bürgermeister und seine für Kitas zuständige Vertreterin hätten der Kita deutlich machen müssen, dass der Vorstoß gar nicht geht, sagt Braun. Ratsmitglieder hätten im Sozialausschuss und im Ortschaftsrat schließlich deutlich Stellung bezogen. "Ich war fassungslos, dass in der Kita die Idee noch nicht aufgegeben worden ist."

Wobei die Frage formal bislang den Kreis der Kita nicht verlassen hat. Aus der Verwaltung heißt es, dass nichts vorliegt, woraus sich eine Vorlage für eine Entscheidung im Stadtrat erstellen ließe: Es gibt nichts zu entscheiden.

Wenn es nach Braun geht, wird es das auch nicht geben. "Es wird im Stadtrat eindeutig abgelehnt, aber wir wollen, dass es gar nicht so weit kommt und nicht wir die Reißleine ziehen müssen." Eine gemeinsame Erklärung aller Fraktionen dazu ist in Arbeit. Sie wird etwas diplomatischer sein als "Habt Ihr noch alle Tassen im Schrank?"

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • volksstimme.de: Kita "Anne Frank" in Tangerhütte: Namensänderung geplant (Abo-Inhalt)
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