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Inflation: Was wir aus der Vergangenheit lernen können


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Lektionen aus der Vergangenheit
Diese Inflationspolitik ist gefährlich

MeinungVon Peter Tauber

Aktualisiert am 11.01.2023Lesedauer: 6 Min.
Hyperinflation 1923: Abwiegen von GeldscheinenVergrößern des Bildes
Während der Hyperinflation 1923 wurden Geldscheine abgewogen, weil sie so wertlos geworden waren. (Quelle: dpa-bilder)

Hyperinflation, politische Unruhen: 1923 ist als Krisenjahr in die deutsche Geschichte eingegangen. Was wir daraus lernen können. Ein Gastbeitrag von Peter Tauber.

Geschichte wiederholt sich nicht, lautet eine Lebensweisheit. Aber sie reimt sich. Vor 100 Jahren wurde Deutschland von einer Hyperinflation heimgesucht, die das Land in eine schwere Krise stürzte – und bis heute nachwirkt. Doch es gibt noch viele andere Entwicklungen des damaligen Krisenjahres, aus denen sich Lehren für die gegenwärtige Krise ziehen lassen. Hier sind die fünf wichtigsten:

Man sollte nie die Demokratie unterschätzen

Viele Menschen in Deutschland zweifeln angesichts der Krisen in der Welt an der Demokratie als Staatsform. Populisten bedienen sich dieser Ängste und Sorgen. So war es auch 1923. Kommunisten und Nationalsozialisten versuchten, die Republik zu beseitigen. Die Kommunisten planten Aufstände in Thüringen, Sachsen und Hamburg. Ein "deutscher Oktober" sollte die Revolution auslösen. Im fernen Moskau hatte die Kommunistische Partei grünes Licht gegeben. Am Ende scheiterten die Versuche kläglich, doch viele Menschen starben.

In Bayern gab es Gedankenspiele für einen rechten Staatsstreich. Als diese nicht vorankamen, ergriff Adolf Hitler die Initiative und unternahm am 9. November 1923 einen mehr schlecht als recht organisierten Putschversuch. Polizei und Reichswehr, in deren Reihen viele Männer Gegner der Republik waren, blieben aber ihrem Eid treu und verteidigten die Verfassung. Am Ende des Jahres gab es niemanden mehr, der in der Lage gewesen wäre, die Republik mit Gewalt infrage zu stellen. Freiheit und Meinungsstreit sind anstrengend. Demokratie ist keine Wellnessveranstaltung. Aber am Ende kann die Demokratie gewinnen. So war es 1923.

Eine starke Zivilgesellschaft reicht nicht

Der Nürnberger Jude Max Süßheim klagte: "Die stärkste Zivilcourage ist machtlos gegenüber dem systematisch organisierten Radau und Terror." Er erlebte, wie vor allem die SA mit Gewalt und Willkür jedes demokratische und pluralistische Miteinander in der Weimarer Gesellschaft systematisch zerstörte.

Eine Zivilgesellschaft ist aus sich heraus nicht in der Lage, sich gegen zerstörerische Kräfte von innen und außen zu verteidigen. Sie braucht einen handlungsfähigen, einen starken Staat, der die Freiheiten, die Bürgerinnen und Bürger in ihm finden, verteidigt. Sie braucht einen bewaffneten Arm, der sie schützt und das Gewaltmonopol des Staates durchsetzt.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber bei einem Pressetermin in Berlin.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber bei einem Pressetermin in Berlin. (Quelle: dpa-bilder)

Geschichtslektion auf Twitter

Peter Tauber ist Historiker und war von 2013 bis 2018 CDU-Generalsekretär sowie von 2009 bis 2021 Mitglied des Bundestags. Auf Twitter hat er ein Projekt gestartet: Unter "@krisenjahr1923" twittert er jeden Tag ein Ereignis von vor 100 Jahren, darunter wichtige politische Entwicklungen wie der Einmarsch französischer Truppen ins Ruhrgebiet, aber auch Sportereignisse und Alltägliches.

Eine wehrhafte Demokratie braucht mehr als eine starke Zivilgesellschaft. Polizei und Armee müssen in der Lage sein, Angriffe auf die staatliche Ordnung sowohl nach innen als auch nach außen zu verteidigen. Und sie müssen so stark sein, dass die Gegner erst gar keinen Versuch unternehmen. Der Weimarer Republik fehlte in den Anfangsjahren diese Stärke.

Erst mit der Niederschlagung des Hitlerputsches durch die bayerische Landespolizei und die Reichswehr begannen Jahre der Ruhe. Die politische Gewalt ging zurück. Mit der Weltwirtschaftskrise endete diese Phase und in den frühen 1930er Jahren attackierten die Feinde der Demokratie, Nationalsozialisten und Kommunisten, die Republik erneut, schließlich mit Erfolg. Eine Demokratie muss wehrhaft sein. Nach innen und nach außen. Und ihren Gegnern entschieden entgegentreten. Egal ob sie Putin heißen oder sich "Reichsbürger" nennen.

Die Tücken der Inflationsbekämpfung

Zur Lösung der Probleme druckte die Regierung Geld. Zwischenzeitlich gab es einen Papiermangel, weil die Reichsdruckerei mit der Produktion neuer Geldscheine nicht mehr hinterherkam. Die Wirtschaftspolitiker hatten falsche Vorstellungen, wie die Inflation bekämpft werden kann. Am Ende vernichtete die Hyperinflation Vermögen in einem Ausmaß, das kaum vorstellbar ist. Und damit ging viel Vertrauen in den neuen Staat und die Demokratie verloren. Die Menschen fühlten sich betrogen.

Mit der Einführung der Rentenmark endete dieser Albtraum, aber da war es schon zu spät. Thomas Mann sah später eine direkte Verbindung von der Hyperinflation zur Machtergreifung der Nazis: "Da geht ein gerader Weg vom Wahnsinn der deutschen Inflation zum Wahnsinn des Dritten Reiches. Das Marktweib, das für ein Ei in trockenem Ton 'hundert Billionen' verlangte, hat damals verlernt sich zu wundern; und nichts war seitdem so toll und grausam, dass es sich noch hätte darüber wundern können: (...) Aus den Millionen betrogener Arbeiter und Sparer wurde damals eigentlich die 'Masse', mit der Dr. Goebbels es dann zu tun hatte. (...) Ausgeräubert wurden die Deutschen zu einer Nation von Räubern." Eine solide Finanzpolitik, die das Vermögen, das sich die meisten Menschen mit viel Fleiß erarbeitet haben, schützt, trägt zur Stabilität einer Demokratie bei. Heute hat die Politik verstanden, wie wichtig es ist, die Inflation gering zu halten. Das ist eine Lehre aus den Erfahrungen des Krisenjahres 1923.

Harte Entscheidungen muss man früh treffen

Im Herbst 1923 war den verantwortlichen Politikern klar, dass nur noch einschneidende Maßnahmen eine vollständige Katastrophe und den Zusammenbruch der Republik abwenden konnten. Zu diesem Zeitpunkt hatten Millionen Menschen bereits ihr ganzes Vermögen verloren, in Deutschland litten Kinder Hunger und große Not, viele Menschen fürchteten um ihren Arbeitsplatz.

Viele Menschen fühlten sich aller Gewissheiten beraubt, ihre politischen Überzeugungen diskreditiert. Woran sollte man noch glauben? Wem sollte man vertrauen? Fatalismus machte sich breit. Als die Politik dann die Notbremse zog, forderte das erneut Opfer: Gehaltseinbußen, Entlassungen, eine neue Währung, Verunsicherung und kaum Hoffnung auf Besserung. Gerade der öffentliche Dienst, die Menschen, die den Staat trugen, wurden in einem Maße materiell und beruflich schlechter gestellt, als das heute kaum vorstellbar ist.

Mit Blick auf die Verwerfungen und die Not von 1923 mahnte Golo Mann, Sohn von Thomas Mann und selbst Schriftsteller: "Es rächt sich, früh oder spät, wenn man den Leuten zu viel zumutet." Je früher die Politik handelt, desto erträglicher lassen sich Veränderungen gestalten, desto besser kann man erklären, was man tut. Heute spüren die Menschen, dass viele Dinge nicht so funktionieren, wie sie sollten.

Unser Staat ist überreguliert, es herrscht Verantwortungsdiffusion statt klare Zuständigkeiten. Die Verwaltungen sind überfordert – nicht weil sie zu wenig Personal haben, sondern weil die Regelungsdichte inzwischen unerträglich ist. Menschen nehmen wahr, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, klare Prioritäten in seiner Aufgabenwahrnehmung zu setzen. Staatliche Autoritäten – vom Lehrer bis zur Polizistin – werden nicht mehr wertgeschätzt, sondern man diskreditiert sie. Die Politik muss den Staat so organisieren, dass die Menschen ihn verstehen und sich verstanden fühlen. Sonst wenden sie sich von ihm ab. Damit uns das heute nicht passiert, braucht es dringende Veränderungen grundlegender Art und nicht ein Herumdoktern an Symptomen.

Zu viele schlechte Nachrichten sind gefährlich

Französische Besatzungstruppen im Ruhrgebiet, hungernde Kinder, politische Unruhen, Gewalt in den Straßen, mangelnder Respekt gegenüber Repräsentanten der staatlichen Ordnung, eine sich verändernde Gesellschaft, Emanzipation und eine engagierte Frauenbewegung, unterschiedliche Lebenswirklichkeiten in Stadt und Land. Und Medien, die vor allem die schlechten Nachrichten brachten. Deutschland befand sich gefühlt in einem permanenten Ausnahmezustand und in einer Art Bürgerkrieg.

Neben den eigenen Sorgen konnte man gar nicht anders, als den Eindruck gewinnen: Es geht bergab. Das Jahr 1923 war auch ein Jahr der Widersprüche. Neben allen Krisen gab es Fortschritt und Nachrichten, die Hoffnung machten. Der Anteil von Frauen, die sich erfolgreich eine berufliche Perspektive erarbeitete, stieg. Die Politik brachte erstmals ein Gesetz zum Schutz schwerbehinderter Menschen auf den Weg. Ein Mieterschutzgesetz wurde genauso beschlossen wie ein Gesetz zum Jugendstrafrecht. Erst mit 14 war man nun strafmündig. Wichtige Infrastrukturprojekte wurden begonnen, und nicht nur in den großen Städten gab es ein vielfältiges kulturelles Leben mit neuen Büchern, Filmen und Theaterstücken, die Ausdruck einer lebendigen und pluralistischen Kulturszene waren.

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Heute ist es nicht anders. Viele Menschen, viele Unternehmen, viele kulturelle und soziale Initiativen und Vereine leisten Herausragendes in unserer Gesellschaft. Sie können Mut und Zuversicht schenken, wenn man sie denn hören und sehen würde. Doch in unseren Medien finden sie nicht statt. Die Katastrophe und die Krise, das triggert. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat es so formuliert: "Unsere freie Presse gerät in eine objektiv-funktionale Komplizenschaft mit selbstvergiftenden Kommunikationen. Ich glaube, ein wenig medienkritische Aufmerksamkeit wäre nicht schädlich." Den Medien kommt in einer freien Gesellschaft eine große Verantwortung zu. Sie prägen durch die Art und Weise, wie sie die Wirklichkeit abbilden, auch deren Wahrnehmung. Der Verantwortung müssen Medien gerade in der Krise gerecht werden.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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