Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
TV-Formate mit Publikum Sie leugnen die Mogelpackung nicht einmal
![Wahlarena in der ARD: Wie auch schon beim ZDF müssen sich die Kandidaten in diesem TV-Format den Fragen der Bürger stellen. Wahlarena in der ARD: Wie auch schon beim ZDF müssen sich die Kandidaten in diesem TV-Format den Fragen der Bürger stellen.](https://images.t-online.de/2025/02/tC61qmFR5QWk/23x0:2951x1660/fit-in/1920x0/image.png)
Vier Kandidaten, zwei Moderatoren und gut 150 Bürgerinnen und Bürger – das war das Setting der Wahlarena in der ARD. Aber nach dem Plenum ist vor der Debatte: Was bringt dieses Form des TV-Duells wirklich? Und wem?
Die Idee der Wahlarena ist es, in einem Bürgerforum den Wahlkampf auf die Sorgen und Bedürfnisse der Wählerinnen und Wähler herunterzubrechen. Und tatsächlich: Jeder der vier Kanzlerkandidaten musste in der ARD-Wahlarena am Montagabend die ein oder andere Frage beantworten, die in dieser Form noch in keinem anderen Wahldebatten-Format gestellt wurde.
Dennoch regt sich an der Sendung auch Kritik. Diese entzündet sich vor allem an der Auswahl des Publikums: Es sei zu einseitig, einige seien Mitglieder von Parteien oder Organisationen, es bilde nicht die Zusammensetzung der Bevölkerung ab. Die Diskussion darum wirft die Frage auf:
Sollten die Fernsehsender auf Wahlkampfformate mit Bürgerfragen besser verzichten?
![Philipp Michaelis Philipp Michaelis](https://images.t-online.de/authors/2023/10/9k0j1636E3n8/0x70:480x480/fit-in/480x0/image.png)
Ja. Diese Wahlarenen erzeugen nichts als Frust
"Volkes Stimme" hat ihren Wert. Theoretisch. Endlich Einblicke, was die Wählerinnen und Wähler wirklich bewegt. Endlich ein Blick raus aus der Journalisten-Politiker-Bubble. Endlich Bürgernähe in der Debatte.
In der Praxis aber basteln sich ARD und ZDF ihre Wahlkampfarenen offensichtlich nach Redaktions-Gusto zusammen. Sie leugnen das nicht einmal mehr. Die Zuschauer sind offenbar für sie nichts anderes als Sprachrohre ihrer eigenen gedanklichen Filter. Die journalistische Überparteilichkeit, die viele Menschen den Redaktionen nicht mehr zutrauen, wird nicht dadurch hergestellt, dass handverlesene Gäste das vortragen, was Louis Klamroth und Jessy Wellmer auch selbst gefragt hätten. Die Wahlarena wird so zur Mogelpackung.
Sobald sich ein junger Homosexueller aus dem Plenum als lokale Grünen-Größe entpuppt, verliert seine berechtigte Frage an AfD-Chefin Alice Weidel an Authentizität, wie sie ihren persönlichen Lebensentwurf mit der Queer-Feindlichkeit ihrer Partei in Einklang bringt. Wenn ein Landwirt wegen Dürren und Überschwemmungen in Sorge ist, aber als "Fridays for Future"-Aktivist identifiziert wird, dann hätte man auch gleich die unvermeidliche Luisa Neubauer einladen können.
Weder die Themen noch die Debatten sind der Fehler. Sie sind wichtig und kamen in den bisherigen Duellen und "Quadrellen" viel zu kurz. Der Fehler ist das Deckmäntelchen der Wahrhaftigkeit, das sich die Redaktionen (vor allem die öffentlich-rechtlichen) umlegen, wenn sie ihre Foren so von Hand verlesen. Viele Zuschauer nehmen ihnen das nicht mehr ab, und umso fataler ist es, wenn sich am Morgen nach der Debatte herausstellt: Fragesteller A gehört zum "Team Diversität" und Fragesteller B ist eigentlich ein Klimaaktivist.
Dann setzt beim TV-Publikum Enttäuschung ein, sogar Verdrossenheit. Es gibt eine tiefe Sehnsucht danach, dass im Wahlkampf endlich "normale Menschen" zu Wort kommen. Dass die Ideologen schweigen. Jedes angebliche Bürgerforum endet mit tiefem Frust, solange die Redaktionen es sich nicht verkneifen können oder wollen, ihre eigenen politischen Narrative von schlecht kaschierten Unterstützern wiederkäuen zu lassen. Bis sie es schaffen, ihre Wahlarenen mit Menschen zu besetzen, die nicht Teil ihrer eigenen Blase sind, ergibt das Format keinen Sinn. Es schadet sogar. Dem Journalismus ohnehin, aber sogar der politischen Debatte. Dann lieber weg mit diesen Pseudo-Bürgertalks.
![Florian Schmidt Florian Schmidt](https://images.t-online.de/authors/2024/02/kuUaBCfC9Gfx/284x0:1701x1701/fit-in/1701x0/image.jpg)
Nein, Menschen aus dem echten Leben bereichern den Wahlkampf
Ja, das Publikum ließe sich zweifellos besser zusammenstellen. Und ja, es ärgert, wenn in den "Wahlarenen" der TV-Sender immer nur ein Kandidat allen Applaus absahnt, und manch fragender Bürgerin anzumerken ist, dass sie eine politische Agenda verfolgt. Aber deshalb gleich ganz auf Sendungen mit Publikumsbeteiligung verzichten? Das greift zu kurz.
Denn allein moderierte TV-Duelle (oder Quadrelle) ohne Publikum sind stinklangweilig. Das ist Fernsehen von Profis für Profis; nichts, was wirklich Überraschendes zutage befördert. Oder wer erinnert sich – jenseits von Günther Jauchs Bierdeckel-Fauxpas – an die eine alles entscheidende Szene, die von den vergangenen beiden Sonntagen hängen geblieben ist? Eben.
Die Fernseh-Bürgersprechstunden bringen dafür viel Interessanteres, Ehrlicheres zum Vorschein, teils auch Momente, in denen die Kandidaten tatsächlich aufgeschmissen sind. Etwa als ein Wärmepumpen-Unternehmer Friedrich Merz (CDU) grillte oder als Alice Weidel (AfD) entrückt bis empört auf die Fragen eines Mannes zum Pflegesystem reagierte. Die Zuschauer können sich so viel leichter ein Urteil darüber bilden, wie der einzelne Kandidat im Gespräch mit Bürgern verhält, auch wenn sie ihn nicht am Straßenstand vor Ort erwischen.
Sicher, komplette Realbedingungen sehen anders aus. Auch die Fragen der Bürger werden vorher gefiltert, die TV-Sender sind dafür verantwortlich, eine ausgewogene Mischung an Leuten, Themen und Ansichten zu bieten – was nicht immer gleich gut funktioniert. Aber: Das lässt sich verschmerzen, wenn dadurch die bessere, teils auch unterhaltsamere Sendung entsteht, in der Zuschauern die Kandidaten deutlich näher kommen als im sterilen Reinraum eines Kreuzverhörs durch Journalisten.
Politik findet in den Augen vieler Menschen viel zu häufig im Hauptstadt-Elfenbeinturm statt. Darum ist es gut, wenn wenigstens im Wahlkampf die übliche Routine aufgebrochen und ein Dialog mit Bürgern auf Augenhöhe ermöglicht wird. Denn Politiker dürfen nicht nur über Menschen reden. Sie müssen mit ihnen reden.
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