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Abkommen mit Ruanda: Wie Großbritannien seine Asylbeweber loswerden will


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Asylbewerber in Großbritannien
Diesen Plan findet auch das Königshaus entsetzlich


14.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Ein Mann und ein Kind bei ihrer Ankunft in England (Mai 2022): Die britische Regierung will künftig illegal eingereiste Asylbewerber nach Ruanda abschieben.Vergrößern des Bildes
Ein Mann und ein Kind bei ihrer Ankunft in England (Mai 2022): Die britische Regierung will künftig illegal eingereiste Asylbewerber nach Ruanda abschieben. (Quelle: Dan Kitwood/getty-images-bilder)
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Illegal eingereiste Asylbewerber sollen künftig im großen Stil nach Ruanda abgeschoben werden – so lautet der Plan der britischen Regierung. Doch neben rechtlichen Bedenken gibt es auch praktische.

Fast wie bei einer Geheimoperation: Asylbewerber werden an diesem Dienstagabend von einem geheimen Ort mit einer nicht öffentlich benannten Airline von Großbritannien nach Ruanda geflogen. Fest steht nur, dass das an diesem Dienstagabend geschehen soll – und dass die Aktion stark umstritten ist. Menschenrechtsorganisationen und Betroffene verklagen die Regierung, Opposition und Kirchen sind empört, Prinz Charles soll das Vorhaben Berichten zufolge "entsetzlich" genannt haben. Doch die britische Regierung ist fest von ihrem Plan überzeugt.

Dahinter steckt ein lang ersehnter Traum der Regierung: Bereits seit Jahren sucht Innenministerin Priti Patel nach einem Weg, unerwünschte Asylbewerber loszuwerden. Die vermeintliche Lösung ist nun durch ein Abkommen mit dem ostafrikanischen Ruanda gefunden. Und das sieht so aus: Ruanda erhält Geld – dafür nimmt es Migranten auf, die seit dem 1. Januar 2022 illegal nach Großbritannien eingereist sind. Diese verlieren damit die Möglichkeit, in Großbritannien Asyl beantragen zu können. Das können sie dann nur noch in Ruanda tun, und dann gegebenenfalls dort bleiben.

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Schwierige Menschenrechtslage in Ruanda

Zehntausende könne das Land aufnehmen, sagte die ruandische Chefunterhändlerin am Montag. Dafür hat das Land Berichten zufolge bereits 140 Millionen Euro bekommen. Zusätzlich soll es Zahlungen pro aufgenommenen Asylbewerber geben. Doch kann sich Großbritannien seiner Asylbewerber einfach so entledigen? Und dazu noch nach Ruanda, einem der am dichtesten bevölkerten Staaten in Afrika?

Die Menschenrechtslage in dem Land gilt als äußerst schwierig. Präsident Paul Kagame, seit 22 Jahren an der Macht, führt das Land mit einem autoritären Kurs: Er hat das Recht auf freie Meinungsäußerung in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt, ebenso wie das auf freie Wahlen. Journalisten, politische Gegner, sexuelle Minderheiten werden systematisch eingeschüchtert, teilweise auch zu Haftstrafen verurteilt. Das Land beherbergt derzeit mehr als 130.000 Geflüchtete, allerdings gibt es Probleme mit der Versorgung. Und als Geflüchtete aus dem Kongo 2018 protestierten, weil sie zu wenig zu essen hatten, ging die Polizei brachial dagegen vor. Zwölf Menschen starben, mindestens 35 andere mussten ins Gefängnis, wie "Human Rights Watch" kürzlich berichtete. Einer wurde verurteilt, weil er Informationen über die Vorkommnisse an die internationale Organisation weitergab. Das Urteil: 15 Jahre Haft.

Johnson: Ruanda ist eines der "sichersten Länder"

Geht es nach der britischen Regierung, ist das allerdings Auslegungssache. Ruanda sei eines der "sichersten Länder der Welt, weltweit anerkannt für seine Leistungen bei der Aufnahme und Integration von Migranten", sagte der britische Premier Boris Johnson kürzlich. Eine Bewertung des britischen Innenministeriums kam zu dem Schluss, es gebe "keine stichhaltigen Gründe" für die Annahme, dass Flüchtlinge misshandelt würden.

Johnson will das Abkommen bis aufs Äußerste verteidigen; er kündigte sogar an, notfalls aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten zu wollen. Über deren Einhaltung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – und auf dessen Einmischung möchte Johnson offenbar verzichten. Denn Experten sehen gleich eine ganze Reihe von möglichen Verstößen. Johnson aber macht seinen Standpunkt klar: "Wir können es nicht erlauben, dass Schmuggler Leben aufs Spiel setzen und unsere weltführende Partnerschaft wird dabei helfen, das Geschäftsmodell dieser rücksichtlosen Kriminellen zu verhindern."

Ergibt der Plan überhaupt Sinn?

Unterstützung kam am vergangenen Freitag von einem Gericht, dem High Court in London, das eine einstweilige Verfügung gegen den Flug ablehnte. Geklagt hatten mehrere Menschenrechtsorganisationen sowie die Gewerkschaft der Grenzbeamten. Es gebe keinerlei Belege dafür, dass die Betroffenen in Ruanda ein sicheres Asylverfahren zu erwarten hätten, sagte der Anwalt der Kläger. Das Gericht empfand die Argumente der Kläger allerdings für schwammig und am Rande der Spekulation. Der oberste Gerichtshof bestätigte am Dienstag als letzte Instanz die Entscheidung.

Allerdings ist die Zahl der mitfliegenden Migranten stark gesunken: Sollten zunächst mehr als 50 abgeschoben werden, sind es mittlerweile wohl nur noch zehn, wie die BBC berichtete. Der Rest hatte mit seinen Einsprüchen zunächst Erfolg. Ihre Fälle werden zumindest teilweise bereits im Juli verhandelt und auch mit dem Vorhaben an sich werden sich die Gerichte weiter beschäftigen müssen. Zudem schwebt noch eine größere Frage über dem Streit: Ergibt dieser Plan aus migrationspolitischer Sicht überhaupt Sinn?

Zentrales Brexit-Versprechen

Dass es weniger Asylbewerber geben soll, war ein zentrales Versprechen der Brexit-Kampagne. Die "Leavers", wie die Unterstützer in Großbritannien genannt wurden, propagierten mehr nationale Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit. Ein Plakat der UK Independence Party (UKIP), einer der treibenden politischen Kräfte hinter dem Brexit, etwa zeigte das Bild von der Balkanroute, auf der Tausende 2015 und 2016 nach Europa gelangten. Darauf stand der Spruch: "Belastungsgrenze: Die EU hat für uns alle versagt. Wir müssen uns losmachen von der EU und unsere Kontrolle zurückerlangen".

Tatsächlich aber ist genau das Gegenteil passiert. Die positiven Asylbescheide sind so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Das hat einen einfachen Grund: Großbritannien liegt weit entfernt von den EU-Außengrenzen, über die ein Großteil der Migranten kommen. Solange es noch Mitglied war, konnte Großbritannien darauf verweisen: Laut den sogenannten Dublin-Regeln ist das erste EU-Land zuständig, das die Migranten erreichen.

Gefährliche Route über den Ärmelkanal

Nun aber gilt das für Großbritannien nicht mehr: Das Land ist seit seinem EU-Austritt für alle Migranten, die ankommen, selbst zuständig, wie das britische Innenministerium schrieb. Und immer mehr Menschen machen sich in kleinen Booten von Frankreich oder Belgien aus über den Ärmelkanal nach Großbritannien. Darunter sind auch viele, die bereits Familie in Großbritannien haben, aufgrund eines fehlenden Abkommens aber nicht von Europa aus Asyl beantragen konnten. Und die Route ist gefährlich: Der Ärmelkanal gehört zu den am meisten befahrenen der Welt, die Strömungen sind stark, die Wassertemperaturen niedrig. Immer wieder kommen Menschen bei der Überfahrt um.

Ein Abkommen mit der EU gibt es nicht, obwohl Experten schon lange dazu raten. So könnte es etwa einen Deal geben, in dem sich die EU verpflichtet, illegal in Großbritannien eingereiste Migranten zurückzunehmen und das Königreich wiederum ein Kontingent aus Europa aufnimmt. "Eine Lösung wäre so einfach", sagte Migrationsexperte Gerald Knaus im vergangenen Jahr t-online dazu. Mehr dazu lesen Sie hier.

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UN: Absolut falsch und katastrophal

Doch der britischen Regierung geht es darum, die Zahl der Asylbewerber möglichst weit zu drücken. Legale Wege, um überhaupt Asyl in Großbritannien zu beantragen, gibt es derzeit kaum. Stattdessen wurde etwa über schwimmende Grenzzäune im Meer diskutiert, über den Einsatz von Kriegsschiffen oder von Wellenmaschinen, um die Boote abzuwehren. Dass nun ein Abkommen mit Ruanda steht, wirkt dagegen fast harmlos. Doch laut den Vereinten Nationen (UN) ist es genau das nicht: Neben all der menschenrechtlichen Bedenken könnte es am Ende auch eine unbeabsichtigte Kettenreaktion auslösen.

Davor warnt etwa Filippo Grandi. Als absolut falsch und katastrophal beschreibt der Hohe Flüchtlingskommissar der UN das Abkommen. Es dürfe nicht sein, dass ein Land, das die nötigen Mittel für Asylabklärungen hat, solche Prüfungen auslagere. Seine Arbeit mache das unglaublich schwierig: Afrikanische Staaten etwa fragten sich nun, warum sie so viele Geflüchtete aufnehmen, wenn selbst reiche Länder das nicht machen wollen. Die Sorge ist nicht unberechtigt: Der große Teil der afrikanischen Geflüchteten kommt in Regionen im eigenen Land oder eben in Nachbarländern unter.

UN: Ineffektiv und "unglaublich teuer"

Dazu komme, dass Ruanda im Gegensatz zu Großbritannien gar nicht die Strukturen habe, so viele Asylbewerber abzuwickeln – und deswegen schon das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) um Hilfe gebeten habe. Das Resultat also könnte lauten: Die ohnehin schon unterfinanzierte UN-Flüchtlingshilfe kümmert sich in Ruanda um die Belange Großbritanniens – und das Geld fehlt dann anderswo.

Tatsächlich ist auch die britische Idee nicht neu. Schon Israel hatte ein ähnliches Abkommen mit Ruanda und Dänemark befindet sich derzeit mit dem Staat in Gesprächen. Australien betrieb sogenannte "offshore detention centers" auf den Inselstaaten Papua-Neuguinea und Nauru. Sowohl in Israel als auch in Australien wurde die Praxis von den obersten Gerichten später gekippt.

Die Beispiele Israel und Australien zeigen weitere Probleme auf: Nicht nur kamen trotz des "Offshorings" weiter viele Migranten über illegale Wege nach Australien, es war auch "unglaublich teuer", wie ein UNHCR-Referent kürzlich im Radiosender der britischen Times sagte. Diejenigen, die von Israel nach Ruanda geschickt wurden, haben das Land zudem zu einem großen Teil innerhalb weniger Tage wieder verlassen, sagte Bottinick. "Sie landeten in Uganda, dann Süd-Sudan, Sudan, Libyen und wer das alles überlebt hat, schaffte es bis nach Europa".

Verwendete Quellen
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