"Blut der Ungläubigen soll tropfen" Die Verzweiflungs-Propaganda des IS
In den vergangenen Monaten hat der IS zahlreiche seiner führenden Propagandisten verloren. Das schlägt sich auch in den Botschaften nieder. Experten sehen die Terrormiliz nicht nur auf dem Schlachtfeld geschwächt.
Auf Krücken hüpft Abu Schuaib al-Maslawi mit seinem linken Bein zu dem schwarzen SUV, der voll mit Sprengstoff bepackt ist. Wenige Minuten später wird er damit in der nordirakischen Stadt Mossul in eine Gruppe von Soldaten fahren und sich in die Luft jagen. Für seine letzten Worte wendet sich der einbeinige Selbstmordattentäter zur Kamera und ruft die Muslime im Westen dazu auf, Anschläge in ihren Heimatländern zu verüben, wenn sie nicht in das vom IS ausgerufene Kalifat im Irak und Syrien kommen könnten.
"Ich fordere euch im Namen Gottes auf, dass von euren Schwertern bis zum Sonnenuntergang das Blut der Ungläubigen tropfen soll", sagt Al-Maslawi, ein Mann in den 50ern mit langem grauen Bart. "Jeder Tropfen Blut, der dort vergossen wird, mindert den Druck auf uns hier", sagt er und greift zum Steuer. Auf Kameraaufnahmen von Drohnen ist wenig später zu sehen, wie das Auto in Mossul in eine Reihe von Armeefahrzeugen rast. Eine Explosion, ein riesiger Feuerball, dann schwarzer Rauch.
Neuer Tonfall
Das Video mit Al-Maslawi wurde Ende Mai von der Terrormiliz Islamischer Staat in den Sozialen Medien verbreitet. Experten sehen darin eine veränderte Botschaft und einen neuen Tonfall und schreiben dies dem Druck zu, unter den die Terrormiliz zunehmend gerät. Lange Zeit klang die IS-Propaganda zuversichtlich, versprach, dass das selbsterklärte Kalifat von Dauer sein und wachsen werde.
Doch in den vergangenen Monaten haben die Extremisten Territorium verloren - und die Videos der Terroristen haben inzwischen nur noch wenig von dem prahlerischen, selbst-verherrlichenden Ton der Vergangenheit. Stattdessen ruft die Gruppe ihre Kämpfer zum Widerstand auf und dazu, nicht vom Schlachtfeld zu fliehen. Auch die Qualität der Videos hat deutlich nachgelassen, seit einige der führenden Propaganda-Experten und Produzenten getötet wurden.
"Zeichen der Schwäche"
Einst waren die IS-Propaganda-Videos professionelle Produktionen, mit Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven und unterlegt mit religiöser Musik, mit grauenerregenden Bildern von Enthauptungen und Erschießungen, mit Geständnissen von Gefangenen und ausgeklügelten Angriffen auf Gegner - alles, um Angst und Schrecken unter den Feinden zu verbreiten und Sympathisanten aus aller Welt ins vermeintlich erste Kalifat seit dem Fall des Osmanischen Reiches vor rund hundert Jahren zu locken.
"Die Propaganda der Organisation geht, offen gesagt, gegen null. Das deutet auf ihren Zusammenbruch hin und darauf, dass sich die Gruppe zurückzieht", sagt Omar Abu Laila, ein syrischer Oppositioneller, der aus der IS-Hochburg Dair as-Saur stammt und inzwischen in Deutschland Zuflucht gefunden hat. "Ihre Aufrufe an die Menschen, sich der Gruppe anzuschließen, sind ein Zeichen der Schwäche."
Opfer von Luftangriffen
Ein schwerer Rückschlag für die IS-Propagandamaschinerie war im vergangenen August der Tod von Abu Mohammed al-Adnani. Der oberste Sprecher und einer der Anführer der Terrormiliz war für seine flammenden Ansprachen bekannt, mit denen er die Moral der Kämpfer hob. Er kam bei einem gemeinsamen Luftangriff von Amerikanern und Russen in Syrien ums Leben.
Bei einem weiteren Luftangriff in Syrien wurde im Oktober Wael al-Fajadh getötet, besser bekannt als Abu Mohammed al-Furkan. Er war für die Produktion der hochprofessionellen Propaganda-Videos zuständig. Eines der wichtigsten Medien der Terrormiliz, Al-Furkan Media, ist nach ihm benannt. Sein Nachfolger Abu Baschir al-Maslawi wurde kurze Zeit später getötet. Ende Mai verlor die Terrorgruppe dann auch noch Baraa Kadek, den Gründer des IS-Sprachrohrs Aamak. Er starb Berichten zufolge bei einem Angriff in Ostsyrien zusammen mit seiner Tochter.
"Seit November haben sie 158 Videos produziert - und keines davon war professionell wie "Salil al-Sawarem"", sagt Hischam al-Haschimi, IS-Experte und Berater der irakischen Regierung. Das von ihm angesprochene Video wurde im Sommer 2014 veröffentlicht, wenige Tage bevor der IS die Stadt Mossul einnahm. Es wird maßgeblich dafür verantwortlich gemacht, dass die Verteidigung der irakischen Streitkräfte so schnell zusammenbrach.
Aufruf zu Anschlägen
"Heute gibt es nichts, was ihre Videos von denen anderer Rebellengruppen unterscheidet", sagt Al-Haschimi. "Man ruft darin nur zu Verteidigungsoperationen auf, zu Selbstmordanschlägen und dazu, standfest zu bleiben. Mehr nicht."
Ungeachtet der Rückschläge auf den Schlachtfeldern im Irak und in Syrien ist der IS noch immer schnell dabei, die Verantwortung für die jüngsten Anschläge in Großbritannien, im Iran und anderswo zu übernehmen. Das iranische Informationsministerium geht davon aus, dass fünf der Attentäter bei dem Doppelanschlag in der vergangenen Woche in Teheran zuvor für den IS im Irak und in Syrien gekämpft haben. Und das IS-Sprachrohr veröffentlichte ein 24-Sekunden-Video, das offenbar während des Angriffs im Parlament gedreht wurde.
Neben Aamak und Al-Furkan hat der IS noch eine Reihe anderer Medien, um seine Botschaften zu verbreiten, etwa das Online-Radio Al-Bajan und die Online-Wochenmagazine "Al-Nabaa" und "Dabik". Die Betreiber Sozialer Medien versuchen, IS-Accounts zu schließen. Doch bislang ist es IS-Propagandisten immer wieder gelungen, neue zu eröffnen. In einer weit verbreiteten Text-Nachricht in den Sozialen Medien wurden Anhänger jedoch angehalten, den Link zu der Gruppe nicht zu veröffentlichen, damit dieser nicht geschlossen werde. Man sei gerade einer "rigorosen Kampagne" ausgesetzt, hieß es zur Begründung.