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Kampf um Rechtsstaat
Das droht Polen in dem EU-Sanktionsverfahren

Lukas Latz

20.12.2017Lesedauer: 4 Min.
Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (li.) und Jean-Claude Juncker entschieden heute, ein Sanktionsverfahren gegen Polen einzuleitenVergrößern des Bildes
Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (li.) und Jean-Claude Juncker entschieden heute, ein Sanktionsverfahren gegen Polen einzuleiten (Quelle: dpa-bilder)
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Nach einer Erklärung von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker könnte die EU erstmals ein Suspendierungsverfahren einleiten. Es richtet sich gegen Polen. Was heißt das genau? t-online.de klärt die wichtigsten Fragen.

Was wird an Polen kritisiert?

Die rechtskonservative Partei PiS (zu deutsch: „Recht und Gerechtigkeit“) stellt seit Juli 2015 den polnischen Staatspräsidenten und regiert seit November 2015 mit einer absoluten Mehrheit im Parlament. Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für Rechtsstaatlichkeit, kritisiert mehrere Entwicklungen in Polen. Zum einen blockierte die PiS das Verfassungsgericht, zum anderen versucht sie, Richter und Staatsanwälte auszutauschen. Da die Regierung versucht, direkten Einfluss auf die Judikative zu nehmen, wird dies als Untergrabung der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung angesehen.

Wie blockierten Regierung und Staatspräsident das Verfassungsgericht?

Im März 2016 verabschiedete die PiS ein Gesetz, das das Verfassungsgericht de facto arbeitsunfähig gemacht hätte. Postwendend erklärte das Verfassungsgericht dieses Gesetz über sich selbst für verfassungswidrig. Die Regierung weigerte sich, dieses Urteil im amtlichen Gesetzesblatt zu drucken. So wurde das Urteil nicht rechtskräftig.

Die Regierung ignorierte das Verfassungsgericht so lange, bis die Mehrheit der unabhängigen Richter in Pension ging. Mittlerweile steht die Mehrheit der Verfassungsrichter der PiS nahe. Kritiker wie der Rechtsphilosoph Wojciech Sadurski werfen dem neuen Verfassungsgericht vor, dass es nicht mehr im Geiste eines Verfassungsgerichtes handelt. Statt die Macht der Regierung zu begrenzen und die Rechte der Opposition zu stärken, schwächt das Verfassungsgericht in seinen Urteilen die Opposition und stärkt die Regierung.

Wie versucht die Regierung, die Gerichte zu kontrollieren?

Im Juli 2017 wollte die PiS drei Gesetze verabschieden, die ihr einen massiven Einfluss auf die polnischen Gerichte erlaubt hätten. Nach großen Demonstrationen in Warschau und internationalem Protest legte Staatspräsident Andrzej Duda gegen zwei von drei Gesetzen sein Veto ein. Das dritte aber erlaubte Justizminister Zbigniew Ziobro, innerhalb von sechs Monaten Gerichtspräsidenten neu ernennen – was Ziobro seit dem Sommer mehrfach tat. Die polnische Zeitung „Gazeta Wyborcza“ dokumentierte seither Dutzende von Umstrukturierungen in den Gerichten. So seien einige unliebsame Richter abberufen worden. Für besonders heftige Kritik sorgte die Beförderung eines Richters, der nur wenige Monate vorher ein für die PiS günstiges Urteil gesprochen hatte.

Am vergangenen Freitag verabschiedete die PiS mit ihrer Parlamentsmehrheit weitere umstrittene Gesetze. Dadurch würde die Partei auch das Oberste Gericht Polens und den nationalen Gerichtsrat umbesetzen können. Der nationale Gerichtsrat ist ein wichtiges Kontrollgremium von Richtern, das die Unabhängigkeit der Judikative absichern soll.

Staatspräsident Andrzej Duda hat die Gesetze noch nicht unterschrieben. Die beiden Gesetze sind jenen sehr ähnlich, gegen die Duda im Sommer noch sein Veto eingelegt hatte. Nun aber gilt es als wahrscheinlich, dass er unterschreibt, da er die Gesetze mitentworfen hatte.

Warum sind diese Gesetze so problematisch?

In jedem Staat funktionieren die rechtsstaatlichen Institutionen ein wenig anders. Ob und wann eine Justizreform die Gewaltenteilung eines Landes gefährdet, ist auch unter Experten umstritten. Im Fall Polens gibt es mehrere Stellungnahmen von internationalen Fachgruppen. Unter anderem kritisierte die US-Juristenvereinigung American Bar Association die Entwicklungen in Polen scharf. Sie kündigte an, sich wachsam für die Verteidigung des Rechtsstaates in Polen zu engagieren und wolle absichern, "dass unsere Kollegen ihre Pflichten ohne Angst und Vergeltung ausüben können".

Warum will die PiS die Gerichte kontrollieren?

Durch die Kontrolle der Gerichte könnte die PiS ihre Macht entschieden ausbauen. Die Partei plant eine Reihe von umstrittenen Gesetzen. Zum Beispiel will sie ein Mediengesetz verabschieden, das kritische Berichterstattung erschweren könnte. Indem sie Kontrolle über die Gerichte behält, dürfte die Partei bei umstrittenen Gesetzen kaum noch Gegenwind vonseiten der Justiz spüren.

Was tut die EU jetzt?

Die EU-Kommission leitete ein Verfahren nach Artikel 7 des Vertrages von Maastricht ein. Der Passus regelt, wie Mitgliedsstaaten suspendiert werden können. Im schlimmsten Fall droht Polen nun der Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene. Bis dahin müssten fünf Schritte erfolgen. Junckers Erklärung heute ist ein erster Schritt zum ersten Schritt. Sozusagen Schritt 0,5.

Nach seiner Empfehlung, ein Suspendierungsverfahren einzuleiten, braucht er die Zustimmung des EU-Parlaments sowie von mindestens 22 der insgesamt 28 EU-Staaten. Wenn all dies erfolgt ist, stellt die EU fest, dass in Polen „die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der Grundwerte der Europäischen Union vorliegt. Und zu diesen Grundwerten zählt auch die Rechtsstaatlichkeit.

Kann die EU Polen überhaupt suspendieren?

Wahrscheinlich nicht. Bis zur endgültigen Suspendierung müssen vier weitere Schritte folgen, für die es einen sehr breiten Konsens unter den Mitgliedsstaaten bräuchte. Dass es dazu in absehbarer Zeit kommt, ist unwahrscheinlich. Ungarn etwa kündigte an, sein Veto gegen eine Suspendierung Polens einlegen zu wollen. Aber schon durch das Verfahren übt die EU auf Warschau erheblichen Druck aus. Dieser Druck muss nicht wirkungslos bleiben.

Polen ist zwar extrem gespalten zwischen Unterstützern und Gegnern der PiS. Durch viele Familien geht ein tiefer Riss. Die einzige Sache, auf die sich fast alle Polen einigen können, ist ihre freundliche Haltung zur EU. In Umfragen finden achtzig Prozent der Polen es gut, dass Polen Teil der EU ist. Millionen von Polen leben und arbeiten in anderen EU-Ländern. In jeder polnischen Familie gibt es jemand, der vom gemeinsamen europäischen Binnenmarkt und von der Reisefreiheit tagtäglich profitiert. Ein "Polexit", ein Rausschmiss Polens aus der EU, will dort niemand. Dass gegen Polen nun als erstes Land ein Suspendierungsverfahren eingeleitet wird, wird viele Polen erschrecken. Die Regierung kann diese Stimmung nicht vollkommen ignorieren.

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