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Kriminalität: Werden Täter immer jünger und brutaler?


Kriminalität in Deutschland
Werden Gewalttäter immer jünger und brutaler?


18.04.2024Lesedauer: 4 Min.
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In Offenburg liegen Kerzen und Blumen liegen vor dem Eingang der Waldbachschule (Archivbild): Hier ereignete sich die tödliche Attacke eines Jugendlichen auf einen Mitschüler am 09.11.2023.Vergrößern des Bildes
In Offenburg liegen Kerzen und Blumen vor dem Eingang der Waldbachschule (Archivbild): Hier ereignete sich am 9. November 2023 die tödliche Attacke eines Jugendlichen auf einen Mitschüler. (Quelle: Philipp von Ditfurth/dpa)

Zwei Mordverdächtige und ein Amokläufer stehen jetzt vor Gericht – alle drei sind Minderjährige. Werden Jugendliche immer gewalttätiger?

Nach den tödlichen Schüssen auf einen Mitschüler steht seit Donnerstag ein 15-Jähriger vor Gericht. Er hatte vor fünf Monaten in einer Schule in Offenburg (Baden-Württemberg) einem Mitschüler in den Hinterkopf geschossen, versuchte anschließend, einen Brandsatz zu zünden. Das Motiv ist noch unbekannt.

Am Montag begann der Prozess gegen zwei 16-Jährige, die Ende 2022 einen Arzt in Gerolstein ermordet haben sollen. Angeklagt sind der Sohn des Arztes und ein gleichaltriger Freund, Auslöser war wohl Gewalt gegen die Lebensgefährtin des Arztes.

Im Februar ermordeten drei 15-Jährige einen Obdachlosen in Detmold. Auch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist einen Anstieg von gewalttätigen jugendlichen Tatverdächtigen aus.

Was bewegt Jugendliche zu derart massiver Gewaltanwendung, wird sie häufiger und hat unsere Gesellschaft in puncto Prävention versagt?

Werden mehr Jugendliche gewalttätig?

Der Jurist und Kriminologe Christian Walburg forscht an der Universität Münster seit Jahren zum Thema Jugendgewalt. Er stellt klar: Nur sehr wenige Jugendliche werden überhaupt so gewalttätig, dass es zu schweren Gewaltdelikten wie Totschlag oder Mord kommt. Bei den vorsätzlichen und vollendeten Tötungsdelikten – Mord und Totschlag – gebe es in den letzten Jahren im Schnitt rund 550 bis 600 Fälle pro Jahr in Deutschland. Walburg erläutert: "Davon gehen rund 25 Fälle auf das Konto von unter 18-Jährigen. Es ist also bei jungen Menschen ein extremer Ausnahmefall, und die meisten Tatverdächtigen sind Erwachsene."

Im Jahr 2023 gab es beispielsweise etwa vier Tatverdächtige unter 14 Jahren und 23 zwischen 14 und 17 Jahren. Es sind "ganz schreckliche Einzelfälle". Auch die These, dass Täter "immer jünger" würden, sieht er nicht bestätigt – auch nicht durch Dunkelfeldstudien über die nicht angezeigte Gewalt unter Jugendlichen. Genauso sieht es Dirk Baier, Professor am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention in Zürich: "99 Prozent der jungen Jugendlichen treten nicht mit Gewalt polizeilich in Erscheinung. Wir reden also über eine kleine Gruppe."

Auch bei der Frage, ob es mehr Gewalttaten gibt, zeigt der Blick auf die nüchternen Zahlen: Langfristig betrachtet sind es nicht mehr Gewalttaten. Walburg sagt: "Insgesamt war die Verbreitung der Jugendgewalt in den letzten 20 Jahren in vielen westlichen Gesellschaften, auch Deutschland, deutlich rückläufig. Sie hat sich etwa zwischen 2005 und 2015 halbiert." Schwankungen, wie der leichte Anstieg der Zahlen in 2023, änderten daran nichts grundlegend. Nur bei den Jüngeren, den 12- bis 14-Jährigen, seien die Zahlen nach Corona etwas stärker angestiegen.

Welche Jugendlichen werden schwer gewalttätig?

Die meisten Jugendlichen lernen von ihren Eltern, Freunden oder in der Schule, dass Gewalt nicht richtig ist. Und sie lernen es erneut, wenn sie auch einmal in eine körperliche Auseinandersetzung hineingeraten, wie es in der Pubertät bisweilen bei Jugendlichen der Fall sei, berichtet Kriminologe Walburg.

Bei denen, die trotzdem intensiv und wiederholt gewalttätig werden, lassen sich Muster erkennen, sagt Kriminologe Walburg: "Diese wenigen, stärker belasteten Jugendlichen haben oft ungünstige Sozialisationsbedingungen, haben zum Beispiel Gewalt durch ihre Eltern erlebt oder wenig Zuwendung erfahren, oder hatten andere einschneidende Erlebnisse. Zum Teil lernen sie es auch im Freundeskreis, sich mit Gewalt durchzusetzen – und es gibt kein Umfeld aus Eltern und Schule, das dem ausreichend entgegenwirken kann."

Entsprechend erleben gewalttätige Jugendliche ihre Handlungen auch unterschiedlich, sagt Baier. Die eine Gruppe empfinde durch die Tat "Stärke, Selbstwirksamkeit, Macht – all die Dinge, die sie viele Jahre in der Kindheit nicht erleben durften." Gerade Kinder, die zuvor Opfer elterlicher Gewalt geworden seien, würden den Wandel vom Opfer zum Täter positiv erleben. Diese Gruppe ist gefährdet, weiter gewalttätig zu sein. Andere Gewalttäter erschreckten über sich selbst: "Sie bemerken, dass es etwas ist, was nicht mit dem eigenen Selbstbild übereinstimmt; sie fühlen mit dem Opfer, dem sie Schreckliches angetan haben, und versuchen dann, zukünftig auf Gewalt zu verzichten."

Werden die Gewalttäter immer jünger?

Um diese Frage zu beantworten, fehlten aktuell Forschungszahlen jenseits der Kriminalstatistik, sagt Dirk Baier. Er sieht allerdings Entwicklungen, die dafürsprechen könnten. Er sagt: "Ich denke, es hat etwa damit zu tun, dass bereits jüngere Menschen mit problematischen Vorbildern über soziale Medien in Kontakt kommen, ihr Gehabe wird nachgeahmt, auch ein delinquenter Lebensstil." Social Media ändere auch die Haltungen zur Gewaltakzeptanz und verbreite aggressive Männlichkeitsbilder.

Wichtig bleibe aber auch der Freundeskreis: "Jüngere Jugendliche sind mittlerweile in straffälligen Freundesgruppen unterwegs. In diesen Gruppen begehen sie dann Taten, die sie allein nicht tun würden." Außerdem habe der Einfluss der Schule abgenommen – auch durch die Schulschließungen in der Corona-Pandemie. Das zeige sich auch daran, dass Jugendliche mehr schwänzen.

Wie kann die Gesellschaft gewährleisten, dass Jugendliche weniger gewalttätig werden?

Christian Walburg sagt: "Es geht stark um soziale Einbindung und um die Vermittlung von Normen, dass Gewalt also nicht 'cool' und akzeptabel ist. Das zu vermitteln, ist eine gesellschaftliche Daueraufgabe für Eltern, im Jugendalter dann auch ganz stark in den Schulen, wo der adäquate Umgang mit Konflikten gelernt wird, und für die Jugendhilfe."

Wichtig sei auch, möglichst früh und lebensbereichsübergreifend Prävention zu betreiben, sagt Dirk Baier: "Hier spreche ich über frühe Hilfen für krisenhafte Familien, über Programme zum Aufbau elterlicher Erziehungskompetenz, über schulische Gewaltpräventionsprogramme wie die Streitschlichtung, Empathie-Trainings oder Anti-Mobbing-Programme." Auch im Freizeitbereich könne mittels Mentorenprogrammen für soziale schwache Jugendliche einiges bewirkt werden. Doch auch wenn gewalttätige Jugendliche erwachsen werden, sei es nicht zu spät: "Auch im jungen Erwachsenenalter können wir Menschen noch für Gewaltlosigkeit gewinnen. Allerdings wird es dann aufwendiger."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dr. Christian Walburg, Institut für Kriminalwissenschaften, Universität Münster
  • Interview mit Prof. Dirk Baier, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, Universität Zürich
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