Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Heiß. Brennend heiß
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
ist "Jürgen" einfach nur Wetter oder schon Klima? Das Hochdruckgebiet zieht von Westen kommend über Deutschland und beschert uns sengende Hitze. Im Westen werden heute bis zu 40 Grad Celsius erwartet, morgen soll das Thermometer auch im Norden, Süden und Osten auf 37, 38 oder mehr Grad klettern. Womöglich wird sogar der Hitzerekord aus dem Jahr 2019 gerissen: 41,2 Grad betrug der damals. Für den Abend rechnen die Meteorologen im Westen mit einer "Tropennacht", die ebenfalls kaum für Abkühlung sorgt. Vielerorts fehlen Schutzmöglichkeiten, man denke nur an Wohnblocks und Seniorenheime. "Das Land kocht, doch die Politik schläft", schreibt meine Kollegin Theresa Crysmann.
Auch andere europäische Länder ächzen unter den Folgen der Hitzewelle. In Portugal, Spanien, Griechenland und der Türkei wüten Waldbrände. Oberitalien geht das Wasser aus; Obst und Getreide verdorren. In Frankreich gilt die höchste Hitzewarnstufe. Sogar in England herrschen Rekordtemperaturen. 40 Grad Celsius – das kannten die Briten bisher nur aus dem Fernsehen oder dem Urlaub. Die Regierung hat den Katastrophenfall ausgerufen. Aus quasi allen Teilen Europas werden immer mehr Hitzetote gemeldet; vor allem alte oder kranke Menschen kommen mit den Extremtemperaturen nicht zurecht. In Spanien macht der Zusammenbruch eines Mannes auf offener Straße Schlagzeilen: Die Körpertemperatur des 50-Jährigen war auf 40 Grad gestiegen – Exitus.
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Einfach nur Wetter oder schon Folge der Klimakrise? Sie ahnen es: Letzteres natürlich. Auch in der Vergangenheit hat es heiße Sommer gegeben, aber derart extreme, immer häufigere Hitzeperioden sind nur durch den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu erklären. Erleichterung ist leider nicht in Sicht. Vor wenigen Tagen sorgte eine Studie des Helmholtz-Instituts für Aufsehen, der zufolge die Zäsur von 1,5 Grad Erwärmung bereits 2026 erreicht werden könnte. Da der Klimaschutz und der nachhaltige Umbau der Wirtschaftsproduktion, der Energieversorgung und des Verkehrs nicht schnell genug vorankommen, durch den Erdgaskonflikt mit Russland sogar zurückgeworfen werden, dürfte sich die Lage weiter verschärfen: Unsere Zukunft wird heiß sein. Brennend heiß.
Nun könnte ich Ihnen einmal mehr aufzeigen, was das für uns alle bedeutet. Ich könnte Ihnen prophezeien, dass unsere Kinder und Enkel uns verfluchen werden, weil wir ihnen einen geschundenen Planeten hinterlassen. Ich könnte über die mutlosen Trippelschrittchen der Regierenden lamentieren und den Treibhausgaswahnsinn in China, Indien, Brasilien, Südafrika, den Golfstaaten und den USA geißeln. Ich könnte Ihnen von Klimaforschern berichten, denen zufolge sich das Ruder nur herumreißen lässt, wenn ein starkes Land mit Einfluss und Renommee beim konsequenten Klimaschutz vorangeht, und dass dieses Land Deutschland sein kann. Ich könnte Ingenieure zitieren und über die enormen wirtschaftlichen Chancen für Ländern schreiben, die Pioniertechnologien entwickeln, testen, patentieren und verkaufen. Ich könnte all das lang und breit beschreiben – doch ich tue es nicht, weil es schon viele Male Thema in diesem Newsletter war.
Stattdessen stelle ich heute die Frage, wie wir mit der neuen, heißen Normalität umgehen können – denn darauf wird es letzten Endes hinauslaufen: Wir müssen uns anpassen. Und da dieser Text nicht ausufern soll, beantworte ich die Frage kurzerhand selbst: Wir sollten uns ein Vorbild an den Arabern nehmen.
Wie bitte? Doch, Sie haben richtig gelesen. Wer einmal den Orient besucht hat, weiß, was ich meine: Morgens steht man früh auf zum Arbeiten oder Einkaufen, hält dann von mittags bis zum späten Nachmittag Siesta, abends geht's wieder in die Firma oder ins Büro. Wer draußen unterwegs ist, trägt luftige Ganzkörpergewänder, nicht zu vergessen das Tuch um den Kopf. Statt kaltem Bier gibt's heißen Tee, so kühlt der Körper besser ab. Schweineschnitzel und Nudelberge sind tabu, stattdessen greift man zu viel Gemüse und Obst. Wohnzimmer, Büros, Ämter und Busse sind auf arktische Temperaturen heruntergekühlt, was zwar weder klimafreundlich noch gesund, aber erträglicher ist als die Gluthitze draußen. Und wem trotzdem zu warm zum Arbeiten ist, der lehnt sich zurück und gönnt sich eine Partie Backgammon oder noch ein Gläschen Tee. So kriegt man die Tage entspannt rum.
Moment, das kann doch nicht ernst gemeint sein, denken Sie jetzt? Dann haben Sie natürlich recht. Doch ein Körnchen Wahrheit liegt in jeder Parodie. Extremtemperaturen gehören jetzt zu unserem Leben, sie werden uns immer häufiger heimsuchen, und wir werden uns darauf einstellen müssen – ob wir wollen oder nicht. Dazu zählen neue Technologien, ganz sicher der Verzicht auf manche Annehmlichkeiten, aber eben auch ein veränderter Lebensstil im Sommer. Es ist wie bei allem, was man neu erlernen muss: Man fängt lieber früher als später damit an.
Was steht an?
Bundesbauministerin Klara Geywitz reagiert auf die Klimaveränderungen: In Potsdam stellt die SPD-Politikerin heute das Programm "Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel" vor. Das Statistische Bundesamt wiederum veröffentlicht die neuesten Zahlen zu Waldschäden durch die zunehmende Trockenheit.
Was kommt dabei heraus, wenn sich ein Diktator mit zwei Autokraten trifft? Russlands Machthaber Wladimir Putin reist heute nach Teheran, um dort mit Irans starkem Mann Ebrahim Raisi und dem noch stärkeren türkischen Mann Recep Tayyip Erdogan Pläne zu schmieden. Es soll um die Kriege in der Ukraine und in Syrien gehen. Kommt wohl nichts Gutes dabei heraus.
In London findet die, Moment, ich sehe noch mal nach, vierte Abstimmung der konservativen Fraktion für die Nachfolge von Parteichef und Premierminister Boris Johnson statt. Vier Kandidaten sind noch im Rennen, in jeder Runde fällt einer raus. Die letzten beiden stellen sich dann in einer Stichwahl den Parteimitgliedern. Falls nichts schiefgeht, steht der Sieger am 5. September endlich fest.
Der große Brian May feiert heute seinen 75. Geburtstag. Mit Freddie Mercury und der Band Queen erspielte er sich Weltruhm, anschließend spielte er einfach weiter. Und wie.
Die Kollegen der Deutschen Presseagentur kündigen einen Bericht an zum Thema "Buddeln im Dreck, Heizung im Stall: Die Zukunft des Mastschweins". Offensichtlich gibt es das Sommerloch also doch noch. Beruhigend.
Was lesen?
Mit brachialer Gewalt rückt Russlands Armee im Osten der Ukraine vor. Mittlerweile können die Verteidiger zurückschlagen – sie brauchen aber schnell mehr Waffen aus dem Westen, denn Putins Pläne reichen noch viel weiter, erklärt der ehemalige Bundeswehrgeneral Heinrich Brauß im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir.
Als Mitverantwortlicher für den Krieg in der Ukraine steht Wladimir Plotnikov auf der EU-Sanktionsliste. Trotzdem macht der russische Politiker mit seiner Tochter Urlaub in Venedig. Wie kann das sein? Meine Kollegin Marianne Max hat einen Experten gefragt.
Regierungskrise in Großbritannien, Regierungskrise in Italien – und in Deutschland? Unser Kolumnist Gerhard Spörl zollt dem zuverlässigen Kanzler Olaf Scholz Respekt.
CDU und CSU schlagen der Ampelkoalition einen Deal vor: Sie stimmen dem Tempolimit auf Autobahnen zu – dafür verlängert die Regierung die Laufzeiten der letzten drei Atomkraftwerke. Lassen sich SPD, Grüne und FDP darauf ein?
Was amüsiert mich?
Gegen die Hitze hilft Erfindungsreichtum!
Ich wünsche Ihnen genügend Abkühlung an diesem heißen Tag.
Herzliche Grüße,
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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