Leichtathletik-WM ohne Medaillen Das war noch nicht der Tiefpunkt
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschland hat bei der Leichtathletik-WM keine Medaille gewonnen. Das gab es noch nie. Und schon in einem Jahr sind die Olympischen Spiele in Paris.
Aus Budapest berichtet Melanie Muschong
Als Speerwerfer Julian Weber nach seinem letzten Wurf wusste, dass es nach den Olympischen Spielen in Tokio und der Weltmeisterschaft in Eugene auch in Budapest für ihn wieder nur der vierte Platz werden würde, sackte er in der Hocke zusammen. Er blieb für eine halbe Minute so sitzen, mit den Händen über dem Kopf. Die Enttäuschung war ihm anzusehen. Auch als die anderen Speerwerfer aus dem Stadion gingen, lief er als Letzter ganz langsam hinterher und schaute noch einmal zurück. So, als ob er es noch nicht fassen könnte, dass es wieder nicht für Edelmetall gereicht hat.
Momente, die sinnbildlich für das Abschneiden Deutschlands bei dieser WM in Ungarn stehen. Zum ersten Mal gab es keine Medaille für die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Deutschland kann mit den Top-Nationen der Leichtathletik nicht mehr mithalten.
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"Haben Anschluss an die Weltspitze verloren"
Zwar gab es dreizehn Platzierungen in den Top acht, neunmal persönliche Bestleistungen und zwei deutsche Rekorde von Christopher Linke. Doch gegen die 29 Medaillen der USA, Kanada (sechs und davon viermal Gold), Spanien (5) oder Jamaika (12) ist das nichts.
DLV-Sportdirektor Jörg Bügner bilanzierte auf einer Pressekonferenz in Budapest: "Ein Zwischenergebnis, was es zu verbessern gilt. Damit können wir nicht zufrieden sein." Und er schien auch nicht zufrieden. Seine Antworten wirkten lang und auch etwas unbeholfen, als er sagte: "Wir haben in vielen Disziplinen den Anschluss an die Weltspitze verloren. Das müssen wir so feststellen. Wir haben aber auch festgestellt, dass sich die Weltspitze ein signifikantes Stück weiterentwickelt hat. Deutsche Rekorde reichen nicht mal mehr für eine Medaille."
Damit sich dies ändert, hat sich der DLV das Ziel gesetzt, bis 2028 wieder zu den Top-Fünf-Nationen zu gehören. Das Konzept bestehe dafür aus einer "einfachen" Formel aus hochtalentierten Athletinnen und Athleten, die erfahren seien. Hinzu kämen hochqualifizierte Trainerinnen und Trainer und optimale Rahmenbedingungen.
"Tiefpunkt im deutschen Sport ist noch gar nicht erreicht"
Allerdings würden zeitgleich zu dem Plan erfahrene Trainer in den Ruhestand gehen, was die Umsetzung des Planes in den nächsten fünf Jahren sicherlich erschweren dürfte. Zudem sagte DLV-Präsident Jürgen Kessing: "Wir haben die Prognose gehabt, dass der Tiefpunkt im deutschen Sport noch gar nicht erreicht ist, sondern im nächsten Jahr zu erwarten ist, was Medaillenerwartungen bei den Olympischen Spielen angeht."
Ein Faktor sei demnach auch das Geld, da laut Kessing in den USA beispielsweise an einer Universität, wie der in Texas, so viel Geld in den Sport investiert werde, wie der Bund für ganz Deutschland freigeben würde. Der deutsche Journalist Jens Weinreich ist jedoch der Meinung, dass Geld in Deutschland im Sport nicht das Problem sei, wie er auf der Plattform X (ehemals Twitter) erklärte.
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"Muss Leistung der Athleten in Perspektive setzen"
Die deutsche Kapitänin Gina Lückenkemper begründete die fehlenden Medaillen jedoch auch mit der teils langen Saison einzelner Athleten und sagte: "Ich habe meine Saison im Januar begonnen und renne seitdem jeden Monat Wettkämpfe. Das ist etwas, das von außen oftmals gar nicht auffällt. Da habe ich mit meinem Coach meine Lehren draus gezogen, das passen wir fürs nächste Jahr entsprechend an."
Sie ergänzte: "Man muss die Leistung der Athleten in Perspektive setzen. Wir haben schon wieder Leistungen bei der WM mit dabei gehabt, die in den Vorjahren immer für eine Medaille gereicht hätten. So wie bei Christopher Linke." Das sieht auch der Geher so, der meinte: "Ich würde nicht sagen, dass wir aktuell zu schlecht sind. Vielleicht ist aktuell die internationale Konkurrenz einfach zu stark. Man kann nicht immer schauen, dass wir jetzt keine Medaille gewinnen. Sondern man muss schauen: Wie hat sich die Welt im Vergleich zu Deutschland entwickelt?"
EM vor Olympia
Und da ist klar: Sie hat sich weiterentwickelt. Die deutsche Leichtathletik sucht ein Jahr vor den Olympischen Spielen nach Antworten, die in den nächsten elf Monaten wohl nur schwer zu finden sein werden. Ob der angekündigte Tiefpunkt kommt, wird sich zeigen. Zumal ja auch noch die Europameisterschaft in Rom kurz vor Paris ansteht.
Hier werden sich einige Athleten wohl überlegen, wo sie antreten werden und für was ihre Leistung abgesehen von der Olympia-Norm reicht. So erzählte der deutsche 400-Meter-Hürdenläufer Joshua Abuaku bereits, dass er sich auf die EM freue. Dort hat er realistische Chancen, gut abzuschneiden. Olympia sei für ihn dann der Wettbewerb, um Erfahrung zu sammeln.
Andere wie der Zehnkämpfer Leo Neugebauer, der nun Fünfter wurde, sagte bereits nach der WM in Budapest: "Ich werde wahrscheinlich nicht bei der Europameisterschaft mitmachen, weil jeder Zehnkampf, den ich mache, meine Knochen belasten wird. Olympia ist ein größerer Höhepunkt als die EM, daher werde ich da dabei sein."
- Pressekonferenz des DLV in Budapest
- Aussagen aus der Mixed-Zone von Christopher Linke
- Aussagen aus der Mixed-Zone von Gina Lückenkemper
- Tweet von Jens Weinreich