Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Comeback der Volksparteien Gut, dass Merkel und Schröder weg sind
Das Ende von Union und SPD ist nah. Diese These war lange Zeit beliebt. Doch die Wahlen in diesem Jahr zeigen: Sie ist schlichtweg falsch. Für die Wiederauferstehung der Volksparteien gibt es vor allem zwei Gründe.
Manche rhetorische Figuren des politischen Betriebs haben ein langes Leben und erweisen sich als erstaunlich resistent gegenüber der Wirklichkeit. Die etwas Älteren unter uns werden sich in dieser Hinsicht vielleicht noch an das sogenannte Totenglöckchen erinnern. Diese Bimmel des nahenden Endes wurde noch zu Bonner Zeiten, aber auch zu Beginn der Berliner Republik, gerne der FDP geläutet.
Unzählige Leitz-Ordner (die Vorläufer der Cloud) füllten sich mit Kommentaren und Leitartikeln, die den Liberalen das baldige Verschwinden von der politischen Bühne vorhersagten. Bis heute sind die Freisinnigen gleichwohl fester Bestandteil der politischen Landschaft. Auch wenn die streng gebürstete Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit ihrer Aggression gegen den eigenen Kanzler und die eigene Koalition (also am Ende gegen sich selbst) alles tut, diese Position zu unterspülen.
Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".
Das Pendant zum Totenglöckchen für die FDP ist der Abgesang auf die Volksparteien. Bücherwände lassen sich füllen mit einschlägiger Literatur. Mit einem klugen und maßgeblichen Vertreter dieser Schule, Christoph Seils, habe ich zu gemeinsamen Zeiten beim Magazin Cicero lustvoll über diese hartnäckige und zählebige These gestritten.
Obwohl ich sie immer für falsch gehalten habe, sei sie kurz ausgeführt: Die beiden Volksparteien SPD und CDU respektive CSU werden allmählich zerbröseln, weil alle großen Institutionen, die Kirchen, die Gewerkschaften ihre Bindekräfte verlieren und sich die Gesellschaft zunehmend fragmentiert. Als Folge dessen halten die Wählerinnen und Wähler ihre Wahlentscheidung fluider, lösen sich also fast schon genetisch bedingte lebenslange Bindungen an eine der beiden großen Volksparteien auf.
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Diese These hat nie gestimmt, auch wenn sie von jahrelangen Schwächephasen (vor allem der Sozialdemokratie, aber auch der CDU) belegt schien. Das Ende der Mär vom Tod der Volksparteien wurde bereits mit der Bundestagswahl unterschwellig eingeläutet. Vollends widerlegt wird sie in den drei Landtagswahlen dieses Jahres 2022.
Auf Dauer Gift für eine Demokratie
Im Saarland, in Schleswig-Holstein und auch jetzt in Nordrhein-Westfalen haben die beiden Volksparteien den Wahlausgang unter sich ausgemacht. Mit Erfolgen für die eine wie die andere Seite. Im Saarland kam es sogar zu einer absoluten Mehrheit der SPD. Die Story vom Ende der Zweierkoalition ist also ebenso an ihr Ende gekommen.
Die beiden Volksparteien erstarken wieder. Die AfD und die Linken schwächeln. Warum ist das so? Das hat mehrere Gründe, aber vor allem zwei: Angela Merkel ist nicht mehr da. Und Gerhard Schröder hat sich selbst ins Abseits befördert.
Merkel, die Meisterin der Macht, hatte mit ihrer Entkräftung des politischen Gegners durch Übernahme von dessen Positionen ein politisches Rührei der Konturlosigkeit angerichtet. Wählerinnen und Wähler, die mit diesem Einerlei von Union, SPD und Grünen nichts anfangen konnten, wandten sich den Rändern zu: der Linken und der AfD. Die sich am Ende, wie das Beispiel Russland gerade zeigt, strukturell so ähnlich sind, dass sich das politische Spektrum zu einem Hufeisen formt.
Seit Merkel weg ist, hat die CDU wieder zu sich selbst gefunden. Und die SPD hat die quälenden Jahrzehnte des Leids an sich selbst und ihrem Kanzler Gerhard Schröder ("Genosse der Bosse") auch hinter sich gelassen. Die Große Koalition, die unweigerliche Folge des Diffusen, gehört der Vergangenheit an und wird so schnell nicht wieder kommen. Gott sei Dank. Sie ist auf Dauer Gift für eine Demokratie.
Ein weiterer Grund, jenseits von Schröder und Merkel: Politik ist immer Duell. Politik ist immer binär, weltweit. Die oder wir, Rote oder Schwarze, Republikaner oder Demokraten, "Freiheit oder Sozialismus". In kaum einem Satz manifestiert sich dieses Grundgesetz alles Politischen wie in jenem der CSU aus dem Bundestagswahlkampf 1976.
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Die Grünen könnten die Rolle der SPD einnehmen
Aus dem Bipolaren bezieht die Politik ihren Magnetismus, ihre Attraktivität. Es ist deshalb richtig und legitim, dass sich Friedrich Merz bei jeder Gelegenheit als der bessere Kanzler in Pose setzt, auch wenn ihm dabei Fehler unterlaufen. Dieses "Die oder wir" reduziert sich am Ende auf das einfache "Der oder ich". Und auf den einmal von Franz Müntefering wahrheitsgemäß ausgesprochenen Grundkonsens der beiden Volksparteien: dass man zwar im Wahlkampf so tue, als drohe der Untergang, wenn die anderen drankommen. Dass beide aber zugleich wüssten, dass das Land bei den andern auch nicht in ganz schlechten Händen ist. Eben nur in anderen.
Das Schwinden der Ränder und die nie verschwundene Vorherrschaft der Volksparteien wird auch durch die inzwischen strukturell starken Grünen nicht widerlegt.
Im Gegenteil. Sie sind auf dem Weg zu einer dritten Volkspartei. Wahrscheinlich sind sie es schon. Weil es aber beim dualen Grundmuster alles Politischen bleibt, zeichnet sich ab, dass sie die Sozialdemokraten als Gegenpol zur Union ablösen könnten. Weil sie mit dem Kampf gegen den Klimawandel für ein ähnlich epochales Thema stehen wie einst die SPD. Die hatte einst die Emanzipation der Arbeiterklasse zum Kern ihrer Sache gemacht. Und stieg in der Folge zur Volkspartei auf.
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