"Ich nie weiß, was auf mich zukommt" Üstra-Nutzung ist für Rollstuhlfahrerin "Tortur"
Der öffentliche Nahverkehr kann für Rollstuhlfahrer zur Herausforderung werden. Eine Betroffene wirft Üstra und Transdev vor, von Barrierefreiheit weit entfernt zu sein.
Defekte Rampen, zu enge Waggons, überfüllte Bahnen oder defekte Fahrstühle: Wenn Susanne Borchers aus Wunstorf (Region Hannover) mit den öffentlichen Verkehrsmitteln für Arztbesuche nach Hannover fahren will, muss sie eine Vielzahl an Hürden nehmen. Die 46-Jährige benötigt seit einem Unfall auf der Arbeit häufig einen Rollstuhl. Die Fahrten mit dem ÖPNV werden für sie oft zur Tortur, schildert der Sozialverband Deutschland (SoVD).
"Von Wunstorf bis Hannover braucht man eigentlich nur 38 Minuten", berichtet Borchers. Sie plane aktuell aber immer eine Stunde Puffer ein – "weil ich nie weiß, was auf mich zukommt". Manchmal werde sie nicht mitgenommen, weil die Waggons überfüllt sind. Manchmal, weil die Rampen kaputt sind. In anderen Fällen kommt sie erst gar nicht zum Bahnsteig, weil die Aufzüge nicht funktionieren. Dann müsse sie zunächst zu einer anderen Haltestelle gelangen. Es komme sogar vor, dass sie für eine Fahrt zwei Stunden brauche. "Dass ich mich mindestens 24 Stunden vorher anmelden muss, wenn ich zum Beispiel die Bahn nehmen möchte, macht das Ganze nicht weniger stressig und kompliziert."
Umwege haben auch gesundheitliche Folgen
Für Susanne Borchers haben die Umwege und Verzögerungen auch gesundheitliche Folgen. "Wenn ich nach einem Arzttermin nach Hause komme, falle ich tagelang aus, bin total erschöpft und kann mich nicht richtig um meine Kinder kümmern", sagt sie. "Dann ist sogar das Essen und Trinken schwer für mich."
Die Schwierigkeiten von Susanne Borchers seien leider kein Einzelfall, sagt Dirk Swinke vom SoVD-Landesverband Niedersachsen. "In unserer täglichen Arbeit stoßen wir immer wieder auf die mangelnde Barrierefreiheit des ÖPNV bei uns in Deutschland und wissen, welche Belastung sie für Betroffene darstellt." Er fordert deshalb einen massiven barrierefreien Ausbau, eine bessere Infrastruktur, mehr Personal und Fahrzeuge – vor allem auf dem Land. "Auf ihrer Homepage spricht die Üstra von barrierefreiem Nahverkehr und gleichwertigen Mobilitätschancen. Davon ist die Realität weit entfernt", meint Swinke.
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"Schwarzbuch sozial": Hilfsbedürftige kämpfen um ihr Recht
Borchers wünscht sich, zumindest besser informiert zu werden. Es sei sehr ärgerlich, dass die Apps keine zuverlässigen Hinweise auf kaputte Toiletten oder Aufzüge bieten. "Zusätzlich könnten die Infobildschirme in den Bahnen dafür genutzt werden, Hinweise anzuzeigen, wo etwas nicht funktioniert. Dann müsste ich mich nicht erst umsonst auf den Weg machen oder aussteigen", schlägt die Wunstorferin vor.
"Uns ist bewusst, dass defekte Aufzüge besonders stark die Fahrgäste treffen, die mobilitätseingeschränkt sind und deshalb auf die Anlagen angewiesen sind", so die Üstra auf Anfrage. "Unter aufzuege.uestra.de sind die langfristigen Ausfälle einsehbar – wenn möglich mit einer prognostizierten Ausfallzeit und dem Grund des Ausfalls", erklärt ein Sprecher. Die S-Bahn Hannover, die Borchers auf der Strecke von Wunstorf nach Hannover ebenfalls nutzen muss, unterstreicht auf Anfrage, dass sie sich an alle EU-Vorgaben zum Thema Barrierefreiheit halte. "Wir haben in Sachen 'Barrierefreiheit' keinen Nachhofbedarf", teilt ein Sprecher des Unternehmens mit.
Borchers' Beispiel ist einer von mehr als 20 Fällen aus dem neuen "Schwarzbuch sozial" des SoVD Niedersachsen, in denen Hilfsbedürftige um ihr Recht kämpfen mussten. In diesem Jahr habe der SoVD landesweit bereits mehr als 47.600 Verfahren geführt, das seien acht Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Besonders betroffen seien Menschen mit Behinderung.
- "Schwarzbuch sozial 2024" (pdf)
- Anfrage bei der Üstra
- Anfrage bei der S-Bahn Hannover / Transdev
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa