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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auftakt "Jungsturm"-Prozess Hooligans aus Umfeld von Rot-Weiß Erfurt vor Gericht
Mitglieder der rechten Hooligangruppe "Jungsturm"?: Vier Männer aus dem Umfeld des RWE müssen sich in Gera vor Gericht verantworten. Zum Prozessauftakt wurde auch die Vernetzung der deutschen Hooliganszene sichtbar.
Nur einer der vier Männer versteckt sich nicht: Der 26-Jährige aus Halle, der dort in einem Kampfsportstudio trainiert und auch Titel im Kickboxen gewonnen hat. Er steht am Donnerstag in einem blauen Hemd, ohne Jacke, ohne Kapuze unmittelbar vor Beginn des Prozesses gegen ihn in einem Saal des Landgerichts Gera und blickt mit ausdrucksloser Miene in den Raum. Was wohl in seinem Kopf vorgeht? Das lässt sich nicht mal erahnen.
Seine drei Mitangeklagten, die zwischen 21 und 29 Jahre alt sind, verbergen sich dagegen. Sie, die sich wie der 26-Jährige nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Gera in den vergangenen Jahren so gerne als harte und brutale Kämpfer geriert haben, haben die Kapuzen ihrer Jacken über ihre Köpfe gezogen. Weil sie alle Corona-bedingt einen Mundschutz tragen, sind von ihnen nur die Augen zu sehen, die sie zum Schutz vor den Blicken der Zuschauer stur auf die Tische vor sich gerichtet lassen. So sehen mutmaßliche Hooligans aus, nachdem der Staat mit Macht gegen sie vorgegangen ist. Der Staat kann das. Wenn er will.
Prozess könnte lange dauern
Dass er das in diesem Fall will, macht nicht nur das Setting deutlich, in dem dieser Staatsschutzprozess beginnt, von dem schon jetzt feststeht, dass er groß werden und damit lange dauern wird. Schon jetzt hat die Staatsschutzkammer des Landgerichts für das Verfahren fast 30 Verhandlungstage angesetzt. Der letzte davon soll Anfang März 2021 stattfinden – jedenfalls nach den aktuellen Planungen.
Zu diesem Setting gehören an diesem Tag etwa ein Dutzend Polizisten, die im Verhandlungssaal und davor positioniert sind. Dazu weitere Justizwachtmeister, die darauf achten sollen, dass keiner der Angeklagten während des Verfahrens zu fliehen versucht oder sich anderweitig daneben benimmt.
"Jungsturm" als Sammelbecken für gewaltbereite Fußballfans
Im Zentrum dieses Prozesses stehen gleich mehrere Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft Gera gegen die Männer erhebt: Sie sollen schon 2014 eine Gruppierung namens "Jungsturm" im Umfeld des Fußballklubs Rot-Weiß Erfurt gegründet haben beziehungsweise ihr als Mitglieder angehören.
Die Ermittler stufen den "Jungsturm" als Sammelbecken für gewaltbereite und auch rechtsgerichtete Fußballgewalttäter ein, was zum Ruf der Fanszene des Rot-Weiß Erfurt passt. Denn wenngleich ganz sicher nicht jeder Fan des Vereins ein Rechtsextremer oder ein Gewalttäter ist, gilt die RWE-Fanszene seit Jahren als nach rechts offen. Immer wieder müssen sich der Klub und seine Anhänger vorwerfen lassen, sich von derartigen Fans nicht entschieden genug zu distanzieren, sie gar zu dulden.
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Dass die Ermittler mindestens drei der Angeklagten der rechten Szene zuordnen, hatte ein Sprecher der Thüringer Polizei schon bei deren Festnahme im April 2020 gesagt: "Es sind alle drei jetzt Festgenommenen der Polizei als rechte Straftäter bekannt", formulierte er das damals.
Angriffe auf Fans des Carl Zeiss Jena
Als "Jungsturm"-Mitglieder sollen sich die vier Männer nach Überzeugung von Polizei und Staatsanwaltschaft gleich einer ganzen Reihe von Straftaten schuldig gemacht haben. Sie sollen zum Beispiel im Juli 2019 an einem Übergriff auf bis zu 150 Fußballfans des FC Carl Zeiss Jena am Bahnhof in Gotha beteiligt gewesen sein. Anhänger des FC Carl Zeiss Jena gelten politisch als eher linksorientiert. Auch sollen sie sich an Übergriffen auf Jena-Fans in Saalfeld in den Jahren 2018 und 2019 beteiligt haben. Ebenso wie sie sich verabredete Schlägereien mit Angehörigen anderer Hooligangruppen in Hessen und Brandenburg geliefert haben sollen.
Als der Staatsanwalt die Details der Anklageschrift zu diesem letztgenannten Punkt verliest, wird deutlich, wie eng vernetzt die gewaltbereite deutsche Fußballszene ist: So sollen die Männer sich bei diesen Gelegenheiten mit Anhängern aus dem Umfeld von Fußballklubs aus Essen, Babelsberg, Frankfurt und Bielefeld geschlagen und getreten haben – auch dann noch, als die Gegner schon am Boden lagen – selbst dann noch gegen den Kopf.
Die Staatsanwaltschaft wirft den vier Angeklagten entsprechend die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Raub und gefährliche Körperverletzung vor. Das sind schwerwiegende Tatvorwürfe, die für die Angeklagten durchaus in mehrjährigen Haftstrafen enden können. Wie sie sich zu den Vorwürfen verhalten, ist derzeit unklar. Zum Prozessauftakt schweigen sie.
Umfangreiche Ermittlungen gegen Angeklagte
Wie machtvoll der Staat jedenfalls in diesem Fall gegen derlei mutmaßliche Gewalttäter vorgeht oder schon vorgegangen ist, zeigt sich zum Auftakt des Prozesses auch an der ersten Aussage eines Zeugen – was juristisch betrachtet zumindest teilweise erst durch die Schwere der Vorwürfe möglich geworden ist. Auch das gehört zum Setting dieses Tages.
Der Zeuge – der Ermittlungsführer der Polizei in dem Verfahren – erklärt ausführlich, was die Beamten gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft alles unternommen haben, um die vom "Jungsturm" mutmaßlich verübten Straftaten aufzuklären: Nicht nur nämlich, dass es wegen der Vorwürfe bei den Angeklagten und noch weiteren Beschuldigten umfangreiche Durchsuchungen gegeben habe, sagt der Polizist. Auch ihre Telefone wurden seinen Angaben nach abgehört. Außerdem hätten die Thüringer Polizisten in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Nachrichten mitgelesen, die die Angeklagten über Messengerdienste geschrieben hätten. Ganz abgesehen davon, dass die Angeklagten durch Polizisten observiert worden seien.
Diese Schilderungen nimmt nicht nur der 26-Jährige mit ausdrucksloser Mine hin. Auch seine drei Mitangeklagten sitzen ohne erkennbare Regung im Raum und hören sich das an.
- Besuch des Prozessauftakts