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Untergang der "Costa Concordia": "Haben sich unmenschliche Szenen abgespielt"


"Die Crew hat die Leute nicht in die Rettungsboote gelassen"

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 13.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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32 Tote, darunter zwölf Deutsche: Diese Bilder der "Costa Concordia" hielten die Welt vor zehn Jahren in Atem. (Quelle: Reuters)

Er wollte seine Genialität beweisen – doch Kapitän Francesco Schettino manövrierte die "Costa Concordia" in den Untergang. Eine Sky-Dokumentation zeigt, wie es vor zehn Jahren zu dem Desaster kam.

"Gehen Sie an Bord, verdammt noch mal!" Unmissverständlich waren die Worte, die Kapitän Francesco Schettino in der Nacht vom 13. auf den 14. Januar 2012 per Handy hörte. An Bord? Gemeint war das Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia", eine Ozeanriesin, eine Art schwimmende Kleinstadt mit mehr als 4.000 Passagieren und Crew-Mitgliedern darauf. Auf der sich zu diesem Zeitpunkt allerdings eine Katastrophe ereignete.

Denn um 21.45 Uhr am 13. Januar hatte Schettino sein Schiff gegen einen Felsen vor der italienischen Insel Giglio manövriert, nur ein paar Hundert Meter von dem Eiland entfernt. Auf rund 70 Meter Länge schlitzte der Felsen den Rumpf der "Costa Concordia" auf. Was folgte, hätte Francesco Schettino zum Helden werden lassen können. Doch dazu kam es nicht.

Vom Traum zum Albtraum

Denn als Schettino die bereits erwähnte Aufforderung "Gehen Sie an Bord" erhielt, befand er sich bereits auf sicherem Land. Während auf der sich in starker Schlagseite befindlichen "Costa Concordia" Menschen um ihr Leben bangten. Es war Gregorio De Falco von der italienischen Küstenwache in Livorno, der Schettino per Telefon die Leviten las. Als Koordinator der Rettungsarbeiten auf dem havarierten Schiff ist er ein Zeitzeuge von besonderer Bedeutung.

Sendehinweis: "Costa Concordia – Chronik einer Katastrophe" startet am 13. Januar 2022 bei Sky Documentaries. Zudem ist die Sendung bei Sky Ticket sowie auf Abruf via Sky Q verfügbar.

Zehn Jahre nach der Katastrophe gab De Falco nun Auskunft über die Geschehnisse im Januar 2012. Und zwar in der überaus sehenswerten Sky-Dokumentation "Costa Concordia – Chronik einer Katastrophe" von Produzent Till Derenbach und Regisseur Michael Mueller, die ab dem 13. Januar 2022 zu sehen ist.

Aber nicht nur der Experte Gregorio De Falco von der Küstenwache erinnert sich in der Dokumentation an die verhängnisvolle Nacht vor zehn Jahren. Die Macher lassen zahlreiche Menschen zu Wort kommen, deren Leben mit der "Costa Concordia" verwoben ist.

Es sind Passagiere wie Matthias Hanke und Marcel Zuhn, die an Bord des Schiffes eine unbeschwerte Zeit genießen wollten. "Die Concordia? Ein Traum", erinnert sich Hanke fast schwärmerisch. "Ich habe im Nachhinein noch ein paar Kreuzfahrten gemacht, aber das war das schönste Kreuzfahrtschiff, das ich jemals besucht hatte." Beinahe wäre die "Costa Concordia" allerdings sein Grab geworden, nur mit viel Glück sind Hanke und Zuhn dem Tod entkommen.

Nicht das Zeug zum Helden

Auch Retter wie Mario Pellegrini, damals Vize-Bürgermeister von Isola del Giglio, berichten. Pellegrini war ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit in der verhängnisvollen Nacht zur "Costa Concordia" gefahren, um zu helfen. "Wir konnten das Wasser kommen hören", so Pellegrini. "Das Rauschen des Wassers war schrecklich."

Und nicht zuletzt sprechen die Juristen. Francesco Verusio etwa, der als Staatsanwalt die Anklage gegen Francesco Schettino vorbereitet hatte. Und von Schettinos Auftreten entgeistert war: "Schettino hat auf tausend Arten versucht, aus dieser Klemme herauszukommen, in die er geraten war."

Ganz anders bewertet Saverio Senese den unglückseligen Schiffsführer. "Schettino war nicht weggelaufen", so der Jurist. "Er war nicht der feige Kommandant, der abgehauen war." Senese ist Schettinos Rechtsanwalt. Dass er sich in der Dokumentation "Costa Concordia – Chronik einer Katastrophe" äußert, ist bemerkenswert. Normalerweise verhält sich Senese zurückhaltender.

Was aber hatte überhaupt die "Costa Concordia" so nah an Giglio und den verhängnisvollen Felsen geführt? Immerhin eine Gigantin von fast 300 Metern Länge? Wieso riskierte Franceso Schettino so viel? Es war die berühmte, seit 2012 eher berüchtigte "Verbeugung": Bei diesem Manöver versucht ein Schiff so nah wie möglich an einen bestimmten Punkt vorbeizufahren. Das kann gut gehen – muss es aber nicht.

War eine Frau im Spiel?

Erst recht, wenn Eitelkeit im Spiel ist. Ein Besatzungsmitglied hatte Schettino um eine knappe Vorbeifahrt an Giglio gebeten, wie man der Dokumentation entnimmt. Und dann waren beim Kapitän wohl auch noch die Hormone im Spiel. Eine Dame, die er umwarb, war bei dem fraglichen Manöver auf der Kommandobrücke. "Zwischen ihr und Schettino war was im Gange", sagt der frühere Ankläger Francesco Verusio. "Vielleicht hat er dieses Manöver auch gemacht, um vor ihr zu posieren."

"Komplett aufgeschnitten, wie mit der Rasierklinge", beschreibt Giuseppe Miccoli den folgenden Schaden am Rumpf der "Costa Concordia". So katastrophal wie unnötig die Kollision mit dem Felsen war, so desaströs verlief die Zeit danach.

Schettino, wohl in Schockstarre, blieb weitgehend untätig. Statt die Evakuierung einzuleiten, wurde gegenüber den Passagieren von einem "Stromausfall" gefaselt. Wertvolle Zeit ging verloren. "Die Crew stand vor den Eingängen der Rettungsboote und hat die Leute nicht in die Rettungsboote gelassen", berichtet der Zeitzeuge Hanke.

"Als wir dann Deck 4 betreten haben ... war alles gerammelt voll", erinnert sich sein Freund Marcel Zuhn. "Und da haben sich dann unmenschliche Szenen abgespielt." Später versuchten sich Hanke und Zuhn mit einigen älteren Frauen in Sicherheit zu bringen: "Da gab's einen kurzen, heftigen Schrei von einer von den beiden Damen. Und da waren sie weg."

Eine Katastrophe mit vielen Gründen

32 Menschen kostete die Katastrophe der "Costa Concordia" das Leben, das Unglücksschiff wurde 2017 verschrottet. Schettinos Anwalt Saverio Senese sieht seinen Mandanten bis heute als eine Art Opfer der Medien. Er wäre keineswegs ein Kapitän gewesen, der Schiff und Passagiere im Stich gelassen habe. Nun, da kann man durchaus anderer Meinung sein.

Das große Verdienst der Sky-Dokumentation, die neben beeindruckenden Aussagen von Zeitzeugen auch Handy-Aufnahmen des Unglücks sowie nachgestellte Szenen zeigt, ist ihre Ausgewogenheit. Denn selbstverständlich stand Kapitän Schettino im Fokus der Ermittlungen. Das Chaos an Bord der "Costa Concordia" war bei den Rettungsmaßnahmen aber nicht allein seine Verantwortung.

Produzent Till Derenbach bringt es auf den Punkt: "Es war eine Verkettung von ganz vielen unglücklichen Momenten: Sprachprobleme, kulturelle Unterschiede, eine nicht perfekte Crew-Gemeinschaft, vielleicht aber auch ein bestimmtes Laissez-faire, wie man mit den Dingen umgeht."

Die Bereitschaft, Fehler einzugestehen, ist ein Schlüssel, zukünftige derartige Tragödien zu vermeiden. Ob sich diese Fähigkeit auch bei Francesco Schettino eingestellt haben mag? Viel Zeit zum Nachdenken hat er. 2015 verurteile ihn ein Gericht zu 16 Jahren Haft.

Verwendete Quellen
  • Sky Documentaries: "Costa Concordia – Chronik einer Katastrophe", ab dem 13. Januar 2022 auf Sky, Sky Ticket und Sky Q
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