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Halloween: So aufwendig sollten die Untoten in ihren Gräbern gehalten werden


Gebete, Holzpflöcke, Kopfabschlagen
So aufwendig sollten die Untoten in ihren Gräbern gehalten werden


30.10.2018Lesedauer: 5 Min.
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Weltchronik von Hartmann Schedel, 1493: Die Toten erheben sich aus ihren Gräbern.Vergrößern des Bildes
Weltchronik von Hartmann Schedel, 1493: Die Toten erheben sich aus ihren Gräbern. (Quelle: Schedelsche Weltchronik/ullstein-bild)

Heute sind sie Schauergestalten aus dem Fernseher: Doch der Glaube unserer Vorfahren an Untote war viel weiter verbreitet, als bislang bekannt. Sie griffen zu brutalen Mitteln.

Als Forscher des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr östlich der Ortschaft Theißen auf einen kleinen Friedhof aus der Merowingerzeit im 6. Jahrhundert stießen, war die Freude zunächst groß. Es schien ein äußerst vielversprechender Fundort zu sein. In einigen Gräbern lagen Waffen und sogar drei Pferde hatte man den Toten mitgegeben.

Doch dann trafen sie auf eine merkwürdige Bestattung. Der Mann lag nicht, wie sonst bei christlichen Toten üblich, auf dem Rücken, sondern mit dem Gesicht nach unten. Seine Hände waren nicht etwa friedlich zusammengefaltet, sondern an den Handgelenken gefesselt. Und auf seinem Rücken lag eine Eisenstange.

Immer mehr Entdeckungen von "Untoten"

Schnell war klar: Die Ausgräber hatten einen sogenannten Untoten gefunden: Oder besser gesagt, einen Toten, von dem die Hinterbliebenen gefürchtet hatten, dass er aus dem Reich der Verstorbenen wiederkehren könnte. Offenbar hatten sie ihn erfolgreich im Grab gebannt. Selbst wenn er aufgewacht wäre, hätte er sich in der misslichen Bauchlage nicht aus dem Grab befreien können, sondern hätte sich nur immer tiefer in die Erde hineingewühlt – vorausgesetzt, er hätte überhaupt die Fesseln abstreifen können. Und die betreffende Eisenstange lag, als die Archäologen ihn fanden, zwar längs auf seinem Rücken, vermutlich steckte sie aber einst aufrecht in seinem Brustkorb und fixierte ihn zusätzlich in seinem Grab, bevor sie umfiel, als der Körper verweste.

Seit einiger Zeit entdecken die Archäologen mehr und mehr vermeintliche Untote auf ihren Grabungen – denn erst seit relativ kurzer Zeit werden überhaupt Friedhöfe näher untersucht. Vorher galten sie als archäologisch uninteressant, weil meist in christlichen Gräbern keine wertvollen Beigaben liegen. Auch hätte sich vor zehn Jahren noch kein Archäologe getraut, zuzugeben, dass er auf seiner Grabung einen sogenannten Untoten gefunden hat – zu groß war die Angst vor dem Spott der Kollegen. Erst seit sich das Selbstverständnis der Archäologie gewandelt hat, und es weniger um die Jagd nach Kunstgegenständen als vielmehr um die Erforschung des historischen Alltags geht, tauchen Untote überhaupt in den Fachpublikationen auf.

Einen Untoten erkennt der Archäologe dabei nicht etwa an den spitzen Eckzähnen oder blutigem Schaum vor dem Mund – sondern an den Maßnahmen, die seine Hinterbliebenen trafen, um ihre Angst vor seiner Wiederkehr zu bekämpfen. Nicht alle lassen sich so leicht nachweisen wie die Bauchlage oder die Eisenstange im Brustkorb des Toten aus Theißen: Ein wohlmeinendes Gebet verklingt, ohne Spuren zu hinterlassen. Knoblauchzehen verrotten. Weihrauchschwaden verziehen sich. Weihwasser trocknet.

Der Glaube an Untote ist uralt

Andere warnen die Ausgräber deutlich. Eine beliebte Maßnahme waren Steine, mit denen der Tote beschwert wurde – oft riesige Findlinge oder auch eine Schicht aus Ziegelsteinen. Eisenstangen im Herzen finden Archäologen eher selten, häufiger einen Pflock aus Holz. Und auch wenn der längst zersetzt ist, bleiben eindeutige Spuren: Er hat den Brustkorb über dem Herzen zertrümmert. Als besonders wirksame Maßnahme gegen die Wiederkehr der Toten galt das Abschlagen des Kopfes, der dann gerne zwischen den Beinen mit in den Sarg gelegt wurde.

Nicht nur im 6. Jahrhundert, sondern zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben Menschen an Untote geglaubt. Die ältesten Beispiele dafür, dass Tote an einer Wiederkehr gehindert werden sollten, stammen bereits aus der Steinzeit. Alle darauffolgenden Epochen und Kulturen fürchteten sich ebenfalls vor den Untoten. Auch unsere alten Legenden sind voll von ihnen – viele ältere Leute kennen die Geschichten noch.

Es konnte im (Aber)Glauben so leicht passieren, zum vermeintlich Untoten zu werden: Zum Beispiel, wenn der Schreiner vergaß, ein paar Hobelspäne mit in den Sarg zu legen. Oder die Nadel, mit der das Totenhemd genäht wurde, fiel hinunter in eine Ritze zwischen den Bodenbrettern und fehlte dann im Sarg, die Magd kam vor lauter Arbeit nicht dazu, das Feuer zu löschen, nachdem die Leiche aus dem Haus getragen wurde, oder der Knecht stibitzte eine Goldmünze des Verstorbenen.

Tiefsitzender Aberglaube

Einige Risiken waren auch schon zu Lebzeiten bekannt, etwa das falsche Geburtsdatum in einer der sogenannten Rauhnächte zwischen Weihnachten und Neujahr, oder die Neigung zu Alkohol und Glücksspiel. Und wer als Zwilling geboren, körperlich deformiert oder geistig zurückgeblieben war, galt von vornherein als suspekt. Die Gründe waren vielzählig und im (Aber)Glauben damit das Risiko enorm hoch, zum Untoten zu werden.

Wie viele Tote für untot erklärt wurden, ist schwer zu sagen. Es gibt nur wenige Statistiken. Eine aber stammt aus der Hauptstadt Berlin – vom Gelände des Skandalflughafens Berlin Brandenburg (BER). Bevor die Bauarbeiten begannen, stand dort der Ort Diepensee. Doch dieser musste dem Neubau weichen und wurde im Jahr 2004 komplett umgesiedelt.

Als die Baumaschinen anrückten, untersuchten Ausgräber das Gelände – und den Friedhof mit mittelalterlichen Gräbern aus dem frühen 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, als das Dorf – vermutlich nach einer Pestwelle – aufgegeben wurde. Die Archäologen fanden 422 Tote – und 25 davon, also fast sechs Prozent, standen in der Vergangenheit unter Verdacht, nicht wirklich tot gewesen zu sein.

Zur ewigen Ruhe gezwungen

Die Dorfbewohner hatten sich große Mühe gegeben, sie auf ewig ans Grab zu binden: mit Steinen beschwert oder auf den Bauch gedreht, die Beine abgeschlagen und zusätzlich noch mit einem Holzbrett bedeckt, in einem Fall sogar nachträglich den Kopf abgehackt. Wer zusätzlich noch mit Weihwasser besprengt wurde oder Knoblauch um den Hals gelegt bekam, weiß niemand.

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Selbst wenn nur etwa fünf bis zehn Prozent aller Toten als Untote gefürchtet wurden, lässt sich aber mit Sicherheit sagen: Jeder kannte vermeintlich einen. Dann hatte jeder sozusagen einen Untoten in der erweiterten Familie, es gab es immer einen Onkel oder Großcousin, den man im Grab mit Steinen beschweren musste. Oder eine Tante oder Cousine, der man bei der Beerdigung sicherheitshalber das Herz durchbohrte oder den Kopf abschlug. Die Untoten waren keine Legenden. Sie waren gelebte Familiengeschichte.

Angelika Franz ist promovierte Archäologin. Für ihr Buch "Geköpft und gepfählt. Archäologen auf der Jagd nach den Untoten" hat sie sich gemeinsam mit ihrem Kollegen Daniel Nösler auf die Spur von Vampiren, Wiedergängern und Nachzehrern begeben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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