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Klartext von Altkanzler Gerhard Schröder: Deutschland braucht endlich Führung


Klartext vom Altkanzler
Deutschland braucht endlich Führung

MeinungVon Gastautor Gerhard Schröder

Aktualisiert am 16.04.2021Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Quelle: t-online

Die Krisen-Republik sehnt sich nach klaren Entscheidungen, die auch durchgesetzt werden. Doch echte Führung bedeutet auch: Das tun, was für das Land richtig ist – unabhängig von Popularitätswerten und Wahlterminen.

Es gab in den vergangenen Jahren nicht wenige, die glaubten, es habe sich ein neuer Stil in der Politik etabliert: eine Ära des moderierenden Führens sei angebrochen. Aber nun, in Zeiten der Krise, wird der Ruf nach "Basta-Entscheidungen" lauter.

Das ist ein Begriff, der mit meiner Kanzlerschaft verbunden ist. Ich habe dieses "Basta" im Jahr 2000 auf einer Gewerkschaftsveranstaltung verwendet, um auszudrücken, dass eine damals beschlossene Rentenreform Gesetz werden müsse. Aber auch mir war klar, dass ich dafür Mehrheiten organisieren musste. Vor allem im Parlament, aber auch in der Gesellschaft.

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Entscheidend ist Führung von vorne

In einer Demokratie braucht es die Fähigkeit, sowohl zu führen als auch zu überzeugen. Ich habe Führen immer so verstanden, dass ich deutlich machen muss, was ich will. Es ging mir darum, die demokratische Willensbildung zu strukturieren und nicht abzuwarten, wie die Dinge sich entwickeln würden.

Nun mag manch einer einwenden: Aber die Kanzlerin ist damit doch in den vergangenen Jahren gut gefahren. Das ist nicht falsch. Aber eben auch nur bedingt richtig.

Entwicklungen zu beobachten, alle an der Entscheidung partizipieren zu lassen und nach Konsens zu suchen, mag in Situationen funktionieren, in denen man viel Zeit hat und es keinen Entscheidungsdruck gibt. Aber mehr denn je gilt in der aktuellen Jahrhundertkrise der Corona-Pandemie: Nach der Abwägung von Alternativen muss eine Entscheidung getroffen und zügig durchgesetzt werden.

Ich glaube, dass ein solches Verhalten in Krisenzeiten die angemessene Art zu führen ist. Krise erzwingt Führung von vorne. Um es konkret zu machen: Wenn der Impfstoff von Astrazeneca unter einem Akzeptanzmangel leidet, sodass die Dosen nicht rasch verimpft werden können, wäre es klug zu sagen: Wir geben ihn für alle frei. Und jede und jeder kann selbst entscheiden, ob er die etwaigen Risiken tragen mag.

Markus Söder simuliert Führung eher

Dazu ist es bislang nicht gekommen. Und es ist nur ein Beispiel, dass derzeit die Führung von vorne fehlt. Überraschenderweise reklamieren trotzdem einige Politiker in unserem Land diesen Führungsstil für sich. Dazu gehört vor allem auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Seine vermeintliche Entschlossenheit wird im Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union als angeblicher Vorteil gegenüber Armin Laschet, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, aufgerufen.

Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Markus Söder diesem Anspruch wirklich gerecht wird. Er simuliert Führung mehr, als dass er sie tatsächlich ausübt. So unterstützt er die Kanzlerin bei einem harten Kurs, wenn es ihm opportun erscheint, aber lässt sie auch im Regen stehen, wenn es ihm politisch passt.

Die Ergebnisse seiner Corona-Politik in Bayern können jedenfalls nicht überzeugen. Bei Armin Laschet ist es dagegen so, dass er versucht zu überzeugen, dabei aber den Eindruck von Führung vermeidet, was dem innerparteilichen Ringen um die Kanzlerkandidatur geschuldet sein mag. Das wäre aber aus meiner Sicht nicht notwendig, denn Armin Laschet hat alle Chancen, trotz der jüngsten Turbulenzen in der Union Kanzlerkandidat zu werden.

CDU und CSU sind zwei Parteien, eine große und eine kleine, genau genommen: eine sehr große und eine sehr kleine. Helmut Kohl und Angela Merkel haben in ihren Zeiten als CDU-Vorsitzende bewiesen, dass der Chef der deutlich kleineren Partei nur Kandidat werden kann, wenn die viel größere zustimmt. Das ist im Fall von Franz-Josef Strauß im Jahr 1980 und von Edmund Stoiber im Jahr 2002 geschehen. Die Ergebnisse sind bekannt: Strauß unterlag Helmut Schmidt, Stoiber dann mir.

Politische Führung zeichnet aber nicht nur aus, wirklich etwas zu tun. Sie ist auch dadurch gekennzeichnet, das zu tun, was richtig für das Land ist. Und Entscheidungen eben nicht von Popularitätswerten oder Wahlterminen abhängig zu machen.

Das war meine Leitlinie, als ich in den Jahren 2003 und 2004 die Agenda 2010 durchgesetzt habe. Mir war klar, dass mich diese umfassenden Reformen mein politisches Amt als Bundeskanzler kosten können. Und ich lag damit nicht falsch. Aber die Arbeitsmarktreformen waren zum damaligen Zeitpunkt notwendig. Das sehen inzwischen selbst viele Kritiker von einst ein.

Was sich leider im Moment auch noch beobachten lässt: Das Kompetenzgerangel insbesondere zwischen Bund und Ländern führt immer mehr dazu, dass wertvolle Zeit in der Pandemiebekämpfung verloren geht. Ministerpräsidentenkonferenzen werden abgesagt. Das Infektionsschutzgesetz, das einheitliche Regeln für die gesamte Republik festlegen soll, wird verwässert.

Andere Demokratien schaffen es besser als wir

Führung darf sich nicht hinter existierenden oder vermeintlichen Kompetenzfragen verstecken, sondern muss Kompetenzen bis an den Rand des Möglichen ausschöpfen und vor allem zügig entscheiden. Dies gilt umso mehr, als die Europäische Union, auf die die Bundesregierung vertraut hat, bei einer schnellen und verlässlichen Impfstoffbeschaffung versagt hat.

Führung geht also auch in einem demokratischen System deutlich besser, als wir es derzeit erleben. Sie hat jedoch nichts mit Autoritarismus zu tun. Und es gibt auch nicht den geringsten Grund, danach zu streben. Denn autoritäre Systeme kommen keinesfalls besser durch die Pandemie als Demokratien.

Allerdings – und das ist für Deutschland besonders schmerzhaft – gibt es Demokratien, die es besser als wir schaffen, ihre Gesellschaften durch die Pandemie zu führen. Etwa Südkorea, Taiwan, Neuseeland, Australien, aber auch – zumindest was die Impfkampagne betrifft: die USA und Großbritannien.

(Quelle: Michael Hübner)


Gerhard Schröder war von 1998 bis 2005 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. An der Spitze einer rot-grünen Bundesregierung setzte er damals unter anderem umfassende Sozialreformen (Hartz-Gesetze) durch. Der 77-Jährige arbeitet heute als Rechtsanwalt in Hannover, wo er mit seiner Frau, der südkoreanischen Wirtschaftsexpertin Kim So-yeon, lebt Außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Energiekonzerns Rosneft und der Pipeline Nord Stream.

Um den Mangel an Führung, unter dem wir derzeit leiden, zumindest noch so gut es eben geht, zu kompensieren, sollten wir von diesen Ländern lernen. Daher braucht es jetzt möglichst schnell vor allem auf vier Gebieten entschlossene Entscheidungen:

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Erstens bundesweit angeglichene Regeln, damit Maßnahmen für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind. Daher weisen die geplanten Ergänzungen des Infektionsschutzgesetzes zumindest in die richtige Richtung.

Zweitens geht es jetzt um Impfen, Impfen und nochmals Impfen. Keine Impfdosis sollte für die Zweitimpfung zurückgehalten werden, alle verfügbaren Impfstoffe sollten genutzt werden, das Tempo muss über die Einbindung von Hausärzten und Betriebsärzten beschleunigt werden sowie die hemmende Priorisierung gelockert werden.

Drittens sollte die südkoreanische "3T-Strategie" ("Test, Trace und Treat" – also Testen, Nachverfolgen und im Krankheitsfall behandeln) angewendet werden, damit Schulen, Universitäten, Geschäfte und Kultureinrichtungen wieder öffnen bzw. geöffnet bleiben. Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil durchgesetzte Testpflicht in Unternehmen ist dafür wichtig.

Darüber hinaus muss viertens die Digitalisierung vorangetrieben werden, was auch bedeutet: Die Balance zwischen Datenschutz und Gesundheitsschutz muss in einer Pandemie neu gewichtet werden: und zwar zugunsten des Gesundheitsschutzes.


Es geht längst nicht mehr nur darum, dass wir diese Pandemie meistern. Nein, es geht gerade jetzt darum, dass wir das Vertrauen in den Staat zurückgewinnen. Dafür muss die Politik den Bürgerinnen und Bürgern rasch das Gefühl und die Gewissheit vermitteln, dass unsere Gesellschaft diese Krise gemeinsam meistern kann. Denn das kann und wird gelingen, wenn wir zusammenhalten und an unsere Stärken glauben.

Diese Gemeinsamkeit brauchen wir als Gesellschaft insgesamt. Aber es ist eben die Aufgabe des politischen Führungspersonals, es in Handeln und Reden vorzuleben. Das ist die Verantwortung der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten. Das ist auch Teil von politischer Führung. Und ein "Basta" kann hier gelegentlich nicht schaden.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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