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Clans in NRW – Reul im Interview: "Dürfen keine ruhige Minute mehr haben"


"Die Clans führen sich nicht mehr so selbstherrlich auf"

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 16.03.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Herbert Reul bei einer Razzia in Duisburg, August 2020: "Die führen sich nicht mehr so selbstherrlich bei der Polizei auf."Vergrößern des Bildes
Herbert Reul bei einer Razzia in Duisburg, August 2020: "Die führen sich nicht mehr so selbstherrlich bei der Polizei auf." (Quelle: imago-images-bilder)

In einigen Großstädten von Nordrhein-Westfalen besitzen kriminelle Familien ganze Straßenzüge. Im Gespräch erklärt der Innenminister, mit welchen neuen Strategien die Polizei dagegen vorgeht.

Razzien, Fahndungen, spektakuläre Einbrüche und Konflikte: In Berlin vergeht kaum eine Woche, in denen Clans nicht die Schlagzeilen beherrschen. Auch in manchen Städten von Nordrhein-Westfalen (NRW) haben sich Familien aus dem türkisch-libanesischen Raum eine maßgebliche Stellung in der kriminellen Szene erarbeitet. Der Essener Norden etwa gilt seit Langem als Hochburg der Clans.

Einer, der das ändern will, ist Herbert Reul. Der NRW-Innenminister widmet sich seit seinem Amtsantritt dem Problem, das aus seiner Sicht Jahrzehnte lang vernachlässigt wurde. Mit t-online spricht der CDU-Politiker über die Clans, das Verbrechen und darüber, welche neue Strategien Polizei und Behörden nun im Kampf um die Straßen verfolgen.

t-online: Herr Reul, neulich titelte eine Zeitung, Sie seien der "Sheriff unter den Innenministern" – sind Sie tatsächlich ein Hardliner?

Herbert Reul: Nein, ich bin kein Sheriff. Das gibt es nur in den USA. Ich stelle mich den Aufgaben in NRW einfach möglichst konsequent.

Dafür sind Sie kürzlich ausgezeichnet worden. Für Ihren Kampf gegen die Clankriminalität.

Eigentlich war es eine Auszeichnung für die Polizistinnen und Polizisten, die Finanzbeamten, die Gesundheitsexperten, die Zollbeamten. Seit Jahrzehnten hat die Politik das Problem nicht ernst genommen. Man darf nicht glauben, dass das Thema nun innerhalb von vier, fünf Jahren vom Tisch ist.

Warum wurde das Problem so lange vernachlässigt?

Bestimmte Familien mit türkisch-libanesischem Migrationshintergrund beherrschen in manchen Regionen die kriminelle Szene. Außenstehende sind da im Grunde nicht erwünscht. Konflikte, die Clans untereinander haben, werden vor vermeintliche Familienrichter getragen. Der Anspruch ist, als Ordnungsmacht an die Stelle des Staates zu treten.

Die rot-grüne Vorgängerregierung hat sich viele Jahre gescheut, das Problem zu benennen, um sich nicht angreifbar zu machen. Mir wird nun vorgeworfen, ich schürte Rassismus und Ängste. Wahr ist: Nicht jedes Mitglied jeder dieser Familien ist kriminell. Doch nur wer Probleme anspricht, kann sie lösen. Anders kann man mit diesem Thema nicht umgehen.

Vor einigen Jahren hieß es, die großen Rockergangs hätten Prostitution und Schutzgeld weitgehend im Griff. Sind Clans und Rocker Konkurrenten oder arbeiten sie zusammen?

Es gibt beides. In manchen Situationen gibt es Konflikte, weil jeder seinen Geschäftsbereich schützt. In anderen hingegen arbeiten sie zusammen. Wichtig ist zu verstehen: Beide Gruppen agieren ausschließlich profitorientiert. Es gibt aber einen großen Unterschied: Die Clans, das sind Familienstrukturen. Man geht nicht nur gemeinsam kriminellen Aktivitäten nach, sondern man schützt sich, kümmert sich. Es gilt: Blut ist dicker als Wasser.

Haben Sie Hinweise zu einem unserer Artikel? Verfügen Sie über Einblicke in Bereiche, die anderen verschlossen sind? Möchten Sie Missstände mithilfe unserer Reporter aufdecken? Dann kontaktieren Sie uns unter hinweise@stroeer.de.

Gibt es Straßen oder Viertel, wo sichtbar ist, dass die Clans das Sagen haben?

In bestimmten Straßen, Vierteln und Plätzen konzentrieren sich die kriminellen Aktivitäten. Ein Schwerpunkt liegt dabei im Ruhrgebiet. Das Sagen haben die Clans aber dort nicht. Wir mischen uns ja ein. Es gibt zum Beispiel Straßenzüge, in denen viele Häuser einer Familie gehören. Immobilien zu kaufen, ist eine Methode, Geld zu waschen. Bei Versteigerungen sind oft Clanmitglieder dabei.

Es gibt in den letzten Jahren wesentlich mehr Verfahren zu Organisierter Kriminalität mit Clanbezug. Was passiert da?

Wir erhellen hier vermutlich das Dunkelfeld. Je mehr wir graben, desto mehr Fälle fördern wir zutage. Bei den Clans ist das etwas leichter aufzuklären als bei der Mafia: Die wollen zeigen, dass sie stark und wichtig sind. Anders als die Mafia. Die legt sich immens ins Zeug, dass ihre Geschäfte nicht bekannt werden.

Das Blutbad in Duisburg im Jahr 2007, als im Morgengrauen sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant erschossen wurden, war sozusagen der Sündenfall, weil die Mafia dadurch in den öffentlichen Fokus gerückt ist.

Trotzdem haben Sie Mafia und Clans mal verglichen, das spiele zum Teil in der gleichen Liga. Die 'Ndrangheta, die mit den Morden in Duisburg auffiel, dominiert den internationalen Kokainmarkt, wäscht Milliardengewinne. Ist das nicht doch eine andere Nummer?

Es ist schwer zu beurteilen. Alles fängt mal klein an. Aber, ja: Die Quantität ist bislang eine andere, vermutlich auch die Qualität. Deswegen müssen wir jetzt aufpassen, dass sich die Strukturen bei den türkisch-libanesischen Clans nicht verhärten oder ausbreiten. Wir haben in NRW noch nicht so die Probleme wie in Berlin. Gerade deswegen müssen wir uns jetzt kümmern, weil es noch leichter ist als anderswo.

Wie ist die Lage denn insgesamt derzeit?

Unsere Lagebilder zeigen mittlerweile 111 relevante Clans. Die als Clankriminalität erkannten Straftaten nehmen zu. Im Jahr 2019 hatten wir in Nordrhein-Westfalen 6.100 Straftaten mit Clanbezug und 3.700 Tatverdächtige.

Das geht bei kleinen Dingen los – unverzollter Tabak, Sozialbetrug – und geht bis zu Geldwäsche, Drogenhandel, Zwangsprostitution und Organisierter Kriminalität in größerem Ausmaß. Deswegen sind auch unsere Methoden sehr unterschiedlich.

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Welche wären das?

Es gibt drei Säulen. Die erste ist eine Politik der tausend Nadelstiche. Wir versuchen systematisch zu stören, bei kleinen Rechtsbrüchen zu zeigen: Der Staat ist da, hier kann niemand machen, was er will.

Wir haben seitdem mehr als 1.600 Kontrollaktionen in Shisha-Bars und Wettbüros durchgeführt. Wir haben rund 4.000 Objekte durchsucht und fast 700 Personen in Gewahrsam genommen, über 2.000 Strafanzeigen und mehr als 4.000 Ordnungswidrigkeitsanzeigen geschrieben, es wurden 11.000 Bußgelder verhängt.

Die Clans dürfen keine ruhige Minute mehr haben. Diese Maßnahmen dienen aber auch dazu, den Respekt gegenüber allen Einsatzkräften "auf der Straße" zu stärken und kriminelle Strukturen aufzuhellen.

Und die zweite Säule?

Die zweite Säule sind Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität. Man muss die Bosse erwischen und das große Geld. Das ist mühsame Ermittlungsarbeit, die sehr viel Zeit benötigt. Dafür haben wir eine Taskforce gegründet, mit Steuerfahndern des Finanzministeriums, Fachleuten der Staatsanwaltschaften und Kriminalisten aus dem Landeskriminalamt. 15 große Fälle wurden in Nordrhein-Westfalen schon in Gang gesetzt.

Da waren ein paar dicke Dinger dabei: Seniorenbetrügereien mit Callcentern, ein Drogenring im Raum Aachen/Düren und ein Geldwäschekonstrukt mit Hawala-Banking. Das ist ein Zahlungssystem, das vor allem im arabischen Raum eine lange Tradition hat. Es wird jedoch ohne Genehmigung betrieben. Händler transferieren Geld dabei anonym. Bei sieben der Fälle ist Schaden in Höhe von 6,4 Millionen Euro entstanden. Wenn man ein Phänomen gemeinsam betrachtet, kommt man zu Lösungen, wo man allein an Grenzen stößt.

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Wie sieht so eine Lösung aus?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Finanzbeamter geht nachts in eine Spielhalle und teilt dem Besitzer mit, dass er noch 60.000 Euro Schulden hat beim Staat. Nun sei die finale Chance, diese zu begleichen. Ansonsten könne man auch das Auto vor der Tür mitnehmen. Ein Finanzbeamter allein setzt sich da großer Gefahr aus. Von daher braucht er polizeiliche Unterstützung. Dann hat das auch eine andere Wirkung.

Hat sich die Taskforce Schwerpunkte gesetzt?

Die Taskforce kümmert sich auch, aber nicht nur um Clankriminalität. Zum Beispiel haben wir ein Modell entwickelt, um Kindergeldbetrug einzudämmen. Das klingt läppisch, ist aber für die Profiteure sozusagen eine Art Basiseinkommen: Wenn man einmal in der Bezahlschiene ist, erhält man ohne weitere Kontrolle bis zum 18. Lebensjahr Geld. Eine super Sache für die Kriminellen.

Deswegen müssen wir den Nachweis führen: Die Kinder, die auf dem Papier stehen, gibt es möglicherweise gar nicht. Dafür müssen alle zuständigen Behörden zusammenarbeiten. Das Schulamt kann mitteilen, wer das letzte halbe Jahr nicht mehr in der Schule war. Die Polizei schaut mal, wo die schulpflichtigen Kinder abgeblieben sind. Vielleicht stehen da gar keine Häuser an der angegebenen Adresse. Und vielleicht gibt es auch kein Kind.

Gibt es dadurch erste Erfolge?

Das Modell haben wir in ein paar Städten schon durchgespielt. Andere Behörden interessieren sich bereits für diesen Ansatz. Damit setzen wir jeweils Millionenbeträge im einstelligen Bereich frei. Das ist mühsam und dauert. Aber die Strukturen, die wir entwickelt haben, sind phänomenal. Wir gehen ein Problem an, das allen seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge ist.

Was passiert innerhalb der Familien, wenn solche sicher geglaubten Finanzströme auf einmal versiegen?

Es fängt an weh zu tun. Die ärgern sich. Und das hat Folgen: Die führen sich nicht mehr so selbstherrlich bei der Polizei auf. Es kommt zu weniger Tumultlagen. Sie ändern auch ihre Arbeitsweise: Früher konnte die Polizei in den Shisha-Bars bergeweise unverzollten Tabak sicherstellen. Heute findet man da kaum noch etwas.

Jetzt haben die Clans eine zentrale Lagerstätte eingerichtet und liefern es per Taxi, immer wenn es gebraucht wird. Da muss man dranbleiben. Irgendwann erwischt man die Taxis, dann hat man auch das Lager. Die Clans merken darüber hinaus, dass die Vereinnahmung bestimmter regionaler Räume nicht geduldet wird.

Wirkt das auch in der Polizei? Fühlen sich Beamte wieder ernster genommen?

In der Polizei gibt es Erleichterung. Das, was die Beamten immer gestört hat und wofür sie nie Rückendeckung hatten, dürfen und sollen sie jetzt machen. Wir helfen ihnen dabei und stellen die Ressourcen zur Verfügung. Wunder kann man keine vollbringen. Aber alle merken, dass es vorangeht. Stück für Stück.

Oder Auto für Auto, Haus für Haus. Es wurden auch schon eine ganze Reihe von Luxusartikeln und Immobilien abgeschöpft, oder?

Ja und nein. In einem Rechtsstaat ist man immer in der Beweispflicht. Wir stellen einen jungen Straftäter mit dickem Auto und stellen dann später fest: In den Papieren steht die Oma. Dann ist die Beschlagnahme natürlich erst mal beendet. Wir mussten die Autos wieder zurückgeben.

Wir machen also den Job, den wir machen können, mit den Möglichkeiten, die wir derzeit haben. Übrigens: Im Jahr 2019 hat die Polizei im Rahmen von Verfahren mit Clanbezug mehr als zwei Millionen Euro abgeschöpft.

Fragt niemand, woher das Geld kommt?

Das ist in Deutschland nicht möglich. Es gibt keine Beweislastumkehr. Die Italiener setzen das bei der Mafia ein. Dort muss jemand, der unendlich viel Geld zur Verfügung hat, nachweisen, wo er es herhat. Hier müssen wir beweisen, dass es schmutziges Geld ist. Sonst kann man nichts machen. Bislang. Wir müssen aber scharf hinschauen, ob das reicht.

Sie haben zu Beginn von drei Säulen in der Bekämpfung der Clankriminalität gesprochen. Was ist die dritte Säule?

Politik muss sich um Prävention kümmern. Man muss Menschen Perspektiven bieten. Das kommt hundertmal zurück. Es ist viel schwerer, Leute aus bestehenden Strukturen zu lösen, die wie bei den Clans schon 30 Jahre bestehen. Das ist wahnsinnig mühsam. Das ist also die dritte Säule unserer Arbeit.

Wir haben 26 Jungs und Mädchen aus Clanfamilien in Programmen. Das Ziel muss sein, ganze Familien zum Ausstieg zu bewegen. Wir setzen bei der Jugend an, heißt: Perspektiven anbieten und Orientierung geben. Daraus entsteht eine Dynamik. Der Anfang bei der Prävention ist gemacht.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Herbert Reul am 5. März
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