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Franziska Giffey (SPD): "Männer hinterfragen sich weniger selbstkritisch als Frauen"


Ministerin Giffey
"Frauenfreie Vorstandszonen darf es nicht mehr geben"

  • Kati Degenhardt
InterviewVon Sven Böll, Kati Degenhardt

Aktualisiert am 11.09.2020Lesedauer: 9 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Franziska Giffey: Bald könnte die Familienministerin Regierende Bürgermeisterin von Berlin seinVergrößern des Bildes
Franziska Giffey: Bald könnte die Familienministerin Regierende Bürgermeisterin von Berlin sein (Quelle: Arno Wölk/T-Online-bilder)

Warum machen so wenige Frauen Karriere? Weil es "Männerclubs" in den Unternehmen gibt und der weibliche Nachwuchs zu viel an sich zweifelt. Sagt nicht irgendwer, sondern die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.

t-online: Frau Giffey, ist es für Frauen schwieriger als für Männer, Karriere zu machen?

Franziska Giffey: Wenn man die Anzahl von Frauen in Führungspositionen betrachtet, dann haben Frauen es auf jeden Fall schwerer. Es ist nicht durch weniger Talent und Begabung zu erklären, dass wir in den Chefetagen der großen Unternehmen – aber zum Beispiel auch in der Politik – weniger Frauen haben als Männer.

Wenn Frauen es so schwer haben, wie Sie sagen: Müsste dann nicht ein Mann das Familienministerium leiten?

Gegenfrage: Müssen die Innen-, Wirtschafts- und Verkehrsminister oder Kanzleramtschefs immer männlich sein?

Natürlich nicht. Aber das sind alles Ressorts, die von der Union besetzt werden. Fangen Sie doch in Ihrer Partei an und schlagen Finanzminister Olaf Scholz vor, die Ressorts zu wechseln.

Er macht einen richtig guten Job als Finanzminister und Vizekanzler. Da muss jetzt nicht mitten in der Legislatur was dran geändert werden.

Mehr Mut, Frau Giffey!

Den habe ich durchaus, ich bin aber auch Realistin. Eine Idee für eine nächste Regierung wäre: Mindestens eine weitere Frau besetzt ein bisher typischerweise von Männern geführtes Ressort.

Und umgekehrt?

Na klar. Was immer zählen sollte, ist die Qualifikation, also Eignung, Leistung und Befähigung. Darum geht es mir – bei Frauen und Männern.

Was macht es qualifizierten Frauen denn so schwer, Karriere zu machen?

Vor allem liegt es an den Rahmenbedingungen für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber es kommt natürlich auch auf den Willen der Frauen an. Ihnen fehlen noch zu häufig die Unterstützer und Unterstützerinnen. Männer setzen eher auf Netzwerke und Beziehungen. Das ist auch für Frauen wichtig. Frauen, die bereits in Führungspositionen sind, können andere ermutigen, sich mehr zuzutrauen.

Und das liegt daran, dass es zu wenige Frauen in Führungsjobs gibt?

Eine Studie der Allbright-Stiftung hat ergeben, dass es in den Chefetagen der Wirtschaft bis vor Kurzem zusammengerechnet mehr Männer mit den Vornamen Thomas und Michael gab als Frauen. Inzwischen muss man Stefan noch mitzählen. Aber das müssen Sie sich mal vorstellen: Drei Männernamen sind häufiger als alle Frauennamen zusammen. Der Punkt ist: Thomas fördert Thomas, Michael fördert Michael. Gleich und gleich gesellt sich gern. Es entstehen Männerclubs.

Wie kommen wir dahin, dass Michael Michaela fördert und Stefan Stefanie?

Ich fürchte nur mit mehr Druck.

Warum sind Sie so pessimistisch?

Weil wir es schon so lange auf anderem Wege versuchen. Mit unverbindlichen Empfehlungen kommen wir nicht weiter. Bei den Aufsichtsräten sehen wir, dass es erst funktioniert, seit es klare Vorgaben gibt. Seit 2015 gilt das Gesetz, das gut 100 börsennotierten Unternehmen vorschreibt, 30 Prozent der Posten im Aufsichtsrat mit Frauen zu besetzen. Wir sind jetzt bei gut 35 Prozent – das hat also geklappt. Deshalb wollen wir auch die Zahl der Unternehmen, für die das gilt, noch ausweiten. Und wenn Sie sich nun die Vorstände großer deutscher Unternehmen anschauen, dann sitzen da nicht einmal acht Prozent Frauen. Und viele Unternehmen – es sind 78 Prozent – haben einfach die "Zielgröße Null" angegeben oder sich gar keine Zielgröße gegeben. Das heißt, die wollen auch in Zukunft frauenfreie Vorstandszonen. Das geht doch so nicht.

Klingt ein wenig nach: Niemand hat die Absicht, Frauen zu fördern.

Ich finde das erschreckend. Wir haben ja 2020 und nicht 1920. Von allein wird sich deshalb kaum etwas ändern. Ein "Es wäre schön" reicht nicht mehr. Ohne Druck, ohne feste Zielgröße, ohne Sanktionen geht es nicht. Wenn wir das Tempo nicht anziehen, dann brauchen wir noch Jahrzehnte, um zur Parität zu kommen.

Sie haben Ihren Gesetzentwurf mit präzisen Vorschriften bereits im Frühjahr vorgestellt. Bislang ist allerdings nicht viel passiert. Liegt das an der aktuellen Stimmung, dass alles, was der Wirtschaft zusätzlich zur schwersten Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik Schwierigkeiten machen könnte, vermieden werden sollte?

Frauen in Führung zu bringen, ist doch keine Erschwernis. Wenn man bedenkt, dass erwiesenermaßen gemischte Teams erfolgreicher sind, dann reden wir hier über einen notwendigen Modernisierungsschub, über echte Wirtschaftsförderung – gerade auch in Krisenzeiten. Aber ich kenne diese Abwehrargumente zur Genüge.

Aber was antworten Sie einem Unternehmer, der sagt: "Sie haben ja im Prinzip recht. Aber ich bin froh, wenn es mein Unternehmen im nächsten Jahr noch gibt. Da ist die Frage, wie viele Frauen im Vorstand sind, derzeit für mich zweitrangig."

Meine Antwort ist ganz einfach: "Wir wollen ja nicht, dass Sie einen Vorstand, der gerade Krisenmanagement macht, rauswerfen. Wir wollen nur, dass Sie eine Frau suchen, wenn es um die nächste Neubesetzung geht." Es geht mir darum, dass künftig in Vorständen mit mehr als vier Mitgliedern mindestens eine Frau sitzen muss. Das ist nicht revolutionär, sondern überfällig.

Das sehen viele bei Ihrem Koalitionspartner CDU/CSU aber anders. Wie geht es mit Ihrem Gesetzentwurf weiter?

Wir müssen uns in der Koalition noch im September einigen, und der Entwurf muss spätestens im Dezember im Kabinett sein, damit der Bundestag das Gesetz noch in dieser Wahlperiode verabschieden kann.

Die Kanzlerin könnte ein Machtwort sprechen. Schließlich wird sie gerade von allen Männern in der Union mit Lob überschüttet. Warum macht sie das nicht?

Angela Merkel hat sich schon mehrfach – auch im Bundestag – für mehr Frauen in Führungspositionen und klare Vorgaben ausgesprochen. Ich hoffe, dass sie ihren Einfluss in den eigenen Reihen geltend macht.

Sie geben Ihren Gesetzen gern schöne Namen – etwa "Gute-Kita-Gesetz". Müssten Sie Ihr Vorhaben nicht konsequenterweise "Franziska Giffey verleiht Frauen Flügel"-Gesetz nennen?

Wir wollen mal nicht übertreiben. Es geht mir darum, dass die Leute verstehen, was sich hinter einem Gesetz verbirgt. Und ich glaube, bei meinem Führungspositionen-Gesetz ist das klar.

Aber das kann doch alles bedeuten. Müsste es nicht wenigstens "Mehr Frauen in Führungspositionen"-Gesetz heißen?

Nein, es geht doch um die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen.

Also "Weniger Männer in Führungspositionen"-Gesetz?

Nein, der Ausgleich steht im Vordergrund. Im Familienministerium schauen wir zum Beispiel, dass wir ausreichend Männer in Führungspositionen haben.

Dann ist es ein "Führungspositionen für alle"-Gesetz?

Für alle ist auch Quatsch.

Für alle Qualifizierten?

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Verfremden darf man es auch nicht.

Okay, wir geben auf. Wir sind aber trotzdem nicht sicher, ob ein Gesetz – unabhängig davon, wie es heißt – wirklich das Denken verändern kann.

Ein Gesetz allein nicht. Aber es kann eine Haltung in der Gesellschaft beeinflussen und forcieren. Zum Beispiel bei den Themen Partnerschaftlichkeit und Vereinbarkeit. Beruflich erfolgreich sein, darf eben nicht bedeuten, keine Familie zu haben. Es geht darum, dass sich niemand zwischen Karriere und Familie entscheiden muss.

Das gilt für Mütter und Väter, oder?

Natürlich. Bei den Vätern gibt es tolle Fortschritte. Früher, kurz bevor 2007 Elterngeld und Elternzeit eingeführt wurden, da blieben nur drei Prozent zu Hause, wenn Kinder auf die Welt kamen. Inzwischen sind es gut 40 Prozent. Noch immer weniger als Mütter, aber immerhin.

Im Berufsalltag beobachten wir immer wieder, dass Frauen attraktive Jobs angeboten werden, sie aber zögern. Bekommen Männer dagegen die Chance, greifen sie in der Regel zu.

Das Zutrauen in sich selbst ist auch ein entscheidender Faktor. "Kann ich das überhaupt? Bin ich gut genug für den Job?" Frauen fragen sich das. Männer nicht. Die sagen: "Cooler Job, mach ich."

Haben Sie den Eindruck, dass es bei der Verteilung der Posten im Kabinett ähnlich war?

Das weiß ich nicht. Grundsätzlich hinterfragen sich Männer weniger selbstkritisch, als das Frauen tun. Mir geht es aber darum, Frauen Mut zu machen: Nicht so viel zweifeln, sondern einfach machen und zeigen, dass man es kann.

Wie wollen Sie das ermöglichen?

Indem wir gute Rahmenbedingungen dafür schaffen – zum Beispiel mit dem Ausbau der Kitaplätze und der Ganztagsbetreuung in Grundschulen. Der Bund unterstützt die Länder bei ihrer Aufgabe, Eltern und Kindern genügend Kapazitäten und Qualität zu bieten. Denn gute Kinderbetreuung ist ein Schlüssel für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Frauen, die für Vorstandsjobs in Frage kommen, haben wahrscheinlich gar kein Problem mit der Kinderbetreuung.

Wahrscheinlich nicht. Die zahlen die privat und beklagen sich höchstens, dass sie die Kosten nicht ausreichend von der Steuer absetzen können.

Also doch ein Grund, mit Scholz den Posten zu tauschen?

Dann würde ich eher das Ehegatten-Splitting abschaffen.

Ist das der Karrierekiller für Frauen schlechthin?

Jedenfalls haben wir ein Steuersystem, das im großen Stil Anreize für die Einverdiener-Familie setzt. Oder eben begünstigt, dass Frauen die Teilzeit-Jobs machen. Man kann keiner Familie vorwerfen, dass sie durchrechnet, wie unterm Strich am meisten übrig bleibt. Gäbe es bei uns wie in Schweden eine Individualbesteuerung, würde es dieses Gefälle weniger geben.

Sehen Sie irgendeine Chance, das Ehegatten-Splitting noch abzuschaffen?

Das ist mit unserem Koalitionspartner in dieser Wahlperiode vollkommen aussichtslos. Das Thema muss nach der nächsten Bundestagswahl angegangen werden. Und ich finde, für die SPD sollte es ein wichtiges Wahlkampfthema sein.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Sie wollten den Menschen durch die Abschaffung des Ehegatten-Splittings und den massiven Ausbau der Kinderbetreuung vorschreiben, wie sie zu leben haben?

Jede Familie muss individuell und für sich entscheiden, wie sie ihr Familienleben organisiert. Wer mehrere Jahre zu Hause bleiben will, um die Kinder aufzuziehen, kann das natürlich tun. Die Frage ist aber, inwieweit der Staat das finanziell unterstützt. Und da ist unsere Position ganz klar: Wir investieren Geld für familienpolitische Leistungen, die ermöglichen, dass Mütter und Väter gleichermaßen Beruf und Familie miteinander vereinbaren können. Deshalb fördern wir auch massiv den Ausbau der Kinderbetreuung in Kita und Grundschule.

Wenn wir in ein paar Jahren auf 2020 zurückblicken: Werden wir dann von einer verlorenen Generation sprechen? Schließlich waren die Schulen und Kitas monatelang geschlossen, und die Digitalisierung des Bildungswesens kommt nur schleppend voran – wie vor kurzem erst die OECD beklagt hat.

Ich bin gegen eine solche Dramatisierung. Digitalisierung ist wichtig, aber trotzdem mal anders gefragt: Wie haben wir alle eigentlich ohne Laptops, Smartphones, E-Mails oder Videoschalten unseren Schulabschluss gemacht? Wir sind doch auch erfolgreich durch die Schule gekommen.

Wir waren aber nicht monatelang zu Hause – oft ohne geordneten Unterricht.

Natürlich waren es schwierige Monate. Aber das heißt nicht, dass wir die junge Generation deshalb verloren geben müssen. Es war für fast alle Familien zweifelsohne eine große Belastung, aber für viele auch verkraftbar. Besonders schwierig war es doch vor allem für diejenigen, die es schon vor der Corona-Krise nicht leicht hatten. Also für Kinder, die zu Hause wenig Unterstützung bekommen, keinen ruhigen Platz zum Lernen haben, in beengten oder sozial problematischen Verhältnissen leben.

Dann drohen diese Kinder aber doch zu einer verlorenen Generation zu werden.

Man kann das aufholen, wenn man jetzt gute Angebote macht. Wir können diese Zeit ausgleichen. Deshalb lautet unser wichtigstes Ziel doch, alles zu tun, damit Schulen und Kitas nicht noch einmal schließen müssen.

Das mag ja alles sein. Aber unabhängig von der Digitalisierung der Schulen und des Ausbaus der Ganztagsbetreuung bleiben viele Frauen, die keine völlig geregelten Arbeitszeiten haben, doch zerrissen. Etwa, wenn die Kinder am Samstagmorgen sagen: "Mama, ich freue mich so, dass ich dich jetzt mal zwei Tage am Stück sehe."

Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Es gibt immer auch mal Tage, da fragt man sich: Warum mache ich das alles? Und wenn das Kind dann noch zu Hause sitzt und wissen will: "Wann kommst Du endlich?", dann ist das schwer. Diese emotionalen Momente beeinflussen häufig, wie Frauen sich beruflich entscheiden. Bei Männern ist das oft noch etwas anders. Was ich wichtig finde, ist: Wie geht es allen gut? Und wie geht es allen besser?

Das sind jetzt aber sehr große Fragen.

Ich versuche es eine Nummer kleiner: Ginge es nicht allen auch besser, wenn alle etwas weniger arbeiten würden und mehr Zeit für die Familie hätten? Könnten wir nicht Sitzungen eher beenden, damit alle ihren Kindern wenigstens noch Gute Nacht sagen können?

Bei diesem Thema sind Parteien allerdings alles andere als vorbildlich. Oder trifft sich die Berliner SPD etwa nicht abends um 19 Uhr?

Na klar. Aber man kann doch sagen: Wir machen zwei Stunden, um 21 Uhr ist Schluss. Hier kann Corona eine Chance sein, weil auch virtuelle Parteitreffen möglich sind. In diese Richtung muss es gehen. Es ist ja kein Zufall, dass weniger als zehn Prozent der Bürgermeister in Deutschland weiblich sind.

Apropos Bürgermeisterin: Die Berliner SPD will die Frauenquote erhöhen.

Echt?

Wir haben da so etwas gehört. Wenn wir Sie in einem Jahr wieder treffen wollen, müssen wir dann ins Bundesfamilienministerium kommen oder ins Rote Rathaus, wo die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sitzt?

Gucken wir mal.

Das glauben wir Ihnen nicht. Sie sind doch entschlossener als "Gucken wir mal".

Ich habe schon eine Vorstellung, wie die Zukunft aussehen kann. Aber ich mache einen Schritt nach dem anderen. Und ich habe gesagt, dass ich mich um den Landesvorsitz der Berliner SPD bewerbe. Auch weil ich überzeugt davon bin, dass es gut für die Stadt ist, wenn sie weiter sozial und demokratisch regiert wird.

Das überrascht uns nicht.

Die SPD in Berlin ist gerade auch nicht in ganz so einfachem Fahrwasser. Ich glaube, wir brauchen nochmal einen zusätzlichen Schub für die Partei. Und dazu möchte ich etwas beitragen.

Frau Giffey, vielen Dank für das Gespräch

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Franziska Giffey im Bundesfamilienministerium in Berlin.
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