t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschlandInnenpolitik

Sahra Wagenknecht und Linke: Entscheidung steht an – Parteitribunal droht


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Frist abgelaufen
Jetzt droht Wagenknecht ein Tribunal


Aktualisiert am 10.06.2023Lesedauer: 5 Min.
Sahra Wagenknecht: Die Politikerin war im Podcast von Désirée Nick zu Gast.Vergrößern des Bildes
Spaltet ihre Partei: die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. (Quelle: Jens Schlueter/Getty Images)

Niemand hat die Absicht ...: Sahra Wagenknecht soll der Linken bis Freitag versichern, dass sie keine eigene Partei gründen will. Doch die Partei glaubt nicht, dass sich ihr prominentestes Mitglied auf das Ultimatum einlässt.

Das Verhältnis der Linkspartei zu Sahra Wagenknecht erinnert an einen Song der irischen Rockband U2: "I can't live with or without you" – Ich kann ohne dich und mit dir nicht leben. Nun treibt die zerrüttete Beziehung zwischen der Ex-Fraktionschefin und ihrer Partei auf ihren vorläufigen Höhepunkt zu.

An diesem Freitag läuft ein Ultimatum ab, welches der Parteivorstand seiner berühmtesten Frontfrau gestellt hat: Sie soll sich zur Linken bekennen und schwören, dass sie keine andere Partei gründen will.

Offiziell will es zwar niemand "Ultimatum" nennen. Fraktionschef Dietmar Bartsch beteuerte im "Deutschlandfunk", er habe von keiner solchen Frist gehört. Aber er gab zu, dass die Partei- und Fraktionsspitzen Wagenknecht am 25. Mai zu einem dringlichen Gespräch getroffen haben. In diesem wurde ihr nach Informationen von t-online bedeutet, dass sie sich "zeitnah" entscheiden müsse. Zeitnah bedeutet: bis zur nächsten regulären Sitzung des Parteivorstands. Die findet an diesem Wochenende statt.

Es ist ein Showdown in einem Verhältnis, das schon lange als zerrüttet gilt. 2015 hatte sich Wagenknecht nach jahrelangen Machtkämpfen in der Linken durchgesetzt und wurde neben Dietmar Bartsch, der bis dahin eine innige Feindschaft zu Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine gepflegt hatte, Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Vier Jahre später gab sie den Fraktionsposten wieder ab, nannte dafür gesundheitliche Gründe.

Tatsächlich war es parteiintern auch zu erbittertem Streit gekommen, weil Wagenknecht eine "Bewegung" namens "Aufstehen" initiiert hatte, die von vielen als Konkurrenz zur Linken verstanden wurde. Allerdings hatte "Aufstehen" keinen Erfolg und geriet schnell wieder in Vergessenheit. In Wagenknechts Umfeld wurde erzählt, sie sei regelrecht "gemobbt" worden von der damaligen Parteiführung.

Von 107 Sitzungstagen fehlte sie an 31

Nach ihrem Rückzug von der Fraktionsführung entfremdeten sich Wagenknecht und die Linke zunehmend. Schon während ihrer Zeit als Fraktionsvorsitzende war ihr nachgesagt worden, dass sie sich lieber in Talkshows tummele, als sich mit der eigentlichen Arbeit zu befassen. Nach der Aufgabe des Postens häuften sich die Abwesenheiten. Inzwischen wird Wagenknecht kaum mehr in der Fraktion gesichtet, Sitzungen bleibt sie fern. Auch mit der eigentlichen Mandatsarbeit kann sie offenbar nur noch wenig anfangen. Eine aktuelle Auswertung der Plenarprotokolle von t-online gemeinsam mit dem Magazin "Politik & Kommunikation" ergibt: Von 107 Sitzungstagen fehlte sie an 31.

Stattdessen ist sie weiterhin viel in Talkshows zu sehen, hält regelmäßig Vorträge oder promotet ihr jüngstes Buch "Die Selbstgerechten", in dem sie auch mit der eigenen Partei hart ins Gericht geht. Dort tummelten sich zunehmend "Lifestyle-Linke", die sich von denen entfremdet hätten, "für die sie da sein sollten", so der Vorwurf.

In der Partei werfen ihr hingegen viele vor, keine linken Positionen mehr zu vertreten. So wandte sie sich gegen "offene Grenzen" in der Asylpolitik, positionierte sich in der Corona-Krise als strikte Impfgegnerin und warf mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland infolge des Angriffs auf die Ukraine dem Westen vor, einen "Wirtschaftskrieg" zu führen. Da gehen selbst viele traditionell USA-kritische Linke nicht mehr mit.

Andererseits füllt Wagenknecht bei ihren Auftritten immer noch die Säle und zieht viele an, die sonst eher nicht die Linken wählen würden. Auch in der eigenen Fraktion gibt es immer noch ein "Wagenknecht-Lager". Würde Wagenknecht hinausgeworfen, gäbe es weitere Austritte. Die Linke könnte ihren Fraktionsstatus verlieren.

Wagenknecht selbst meldete sich am Freitagnachmittag bei "Welt TV" zur Wort. Die Linke werde nicht mehr als "glaubwürdige Opposition" wahrgenommen, sagte sie und keilte einmal mehr gegen die Parteiführung: "Was von der Parteispitze kommt, überzeugt die Menschen nicht." Ausweichend reagierte sie auf die Frage, ob sie denn nun eine Partei gründen werde. Sie wünsche sich, dass "etwas in Bewegung kommt", sagte Wagenknecht lediglich und dass sie "in einiger dieser Diskussionen" involviert sei.

Ein Ausschluss aus der Fraktion ist unwahrscheinlich

Wenn am Samstag ab 10 Uhr der Parteivorstand tagt, wird es darum gehen, welche Konsequenzen er zieht. Theoretisch könnte die Parteiführung die Fraktionsführung auffordern, Wagenknecht aus der Fraktion auszuschließen.

Doch die Chancen auf einen Erfolg sind gering. Die Fraktionschefs Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali wollen nicht riskieren, dass die Fraktion auseinanderbricht, und lieber die Wagenknecht-Fans an Bord halten. Auch, um bei den Vorstandswahlen im September wiedergewählt zu werden.

Auch ein Parteiausschluss von Wagenknecht ist keine echte Option. Da reicht der Blick zur Konkurrenz: Die SPD musste jahrelang kämpfen, bis Thilo Sarrazin ausgeschlossen war. Die CDU versucht gerade, Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen loszuwerden, bislang ohne Erfolg.

Deshalb wird die Linken-Spitze nach Informationen von t-online wohl einen dritten Weg einschlagen. In einem Beschluss will sie sich verbal deutlich von Wagenknecht distanzieren und klarmachen, dass die prominenteste Parteivertreterin nicht mehr für die Linke steht.

Offen ist, was Wagenknecht macht. "Der Weg führt nicht mehr zurück, sie wird sich nicht einbinden lassen", äußert sich eine Fraktionskollegin überzeugt. Ein Szenario, das auch aus Wagenknechts Umfeld immer wieder gestreut wird, sieht so aus: Fliegt die Linke im Herbst aus dem hessischen Landtag und schafft es in Bayern erneut nicht ins Parlament (beides ist nach jetzigem Stand sehr wahrscheinlich), wird Wagenknecht unter Absingen schmutziger Lieder aus Fraktion und Partei austreten und eine eigene Partei gründen, um bei der Europawahl 2024 anzutreten. Denn bei der Wahl des Europaparlaments gibt es keine Fünfprozenthürde.

Dagegen spricht, dass eine Parteigründung selten erfolgreich ist und Wagenknecht selbst schon eher schlechte Erfahrungen mit ihrer gescheiterten "Aufstehen"-Bewegung gemacht hat.

Deutlich unspektakulärer, aber mindestens ebenso wahrscheinlich, ist ein zweites Szenario: Wagenknecht bleibt, nutzt ihre Parteizugehörigkeit weiterhin, um sich in innerparteilicher Opposition nach außen zu profilieren, und verabschiedet sich zum Ende der Legislaturperiode aus der Politik, um sich dem Dasein als Publizistin und Rednerin zu widmen. Dass sie nicht wieder für den Bundestag kandidiert, hat sie bereits angekündigt.

Video | Sahra Wagenknecht: Streitfigur und Hoffnungsträgerin
Player wird geladen
Quelle: t-online

"Es ist unendlich schwer, eine eigene Partei zu gründen"

Ein drittes Szenario geht davon aus, dass Wagenknecht aus der Linken austritt, aber auf eine eigene Parteigründung verzichtet und sich stattdessen mit einer anderen politischen Kraft zusammentut. Hartnäckig kursieren Gerüchte, sie habe unter anderem mit dem Ex-Manager Jürgen Todenhöfer, der zur Bundestagswahl mit einer eigenen Partei antrat, Möglichkeiten ausgelotet. Politisch gibt es durchaus Schnittmengen: Beide sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, kritisieren vor allem den Westen.

Aber was ist dran? Anruf bei Jürgen Todenhöfer. "Frau Wagenknecht wäre bei mehreren Parteien herzlich willkommen, auch bei uns", sagt er am Telefon. Entsprechende Gespräche gebe es aber nicht. Er gehe davon aus, dass sie es – wenn – alleine mache. Todenhöfer sagt aber auch: "Es ist unendlich schwer, eine eigene Partei zu gründen." Sein "Team Todenhöfer" erreichte nach eigenen Angaben laut Umfragen vor der Bundestagswahl ein Wahlpotenzial von neun Prozent. Am Ende erhielt es 0,5 Prozent der Stimmen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website