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China-Angst: Stehen jetzt die USA vor eine Zeitenwende?


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Angst vor China
Stehen jetzt die USA vor eine Zeitenwende?


Aktualisiert am 26.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Front im Technologie-Krieg zwischen den USA und China: Hunderte Millionen TikTok-Nutzer.Vergrößern des Bildes
Front im Technologie-Krieg zwischen den USA und China: Hunderte Millionen TikTok-Nutzer. (Quelle: IMAGO/Jonathan Raa)
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Sogar der Suizid eines Jugendlichen befeuert die Debatte um ein Verbot von TikTok in den USA. Dabei geht es um viel mehr als nur die Social-Media-App.

Chase Nasca war gerade einmal 16 Jahre alt und kam nie zu Hause an. Der Teenager verließ am 18. Februar 2022 sein Fitnessstudio im US-Bundesstaat New York und machte sich auf den Heimweg. Auf den Eisenbahnschienen aber hielt er an. Einem Freund schickte er noch eine Nachricht: "Ich kann nicht mehr." Ein Regionalzug erfasste den Jungen, der nicht mehr leben wollte.

Ein Jahr später beschäftigt der Selbstmord von Chase das höchste politische Gremium der USA. Seine Eltern Dean und Michelle stehen mitten im Zuschauerraum einer Anhörung im Kongress, die live im Fernsehen übertragen wird und die sich letztlich gegen ein anderes Land, gegen China richtet. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit brechen Dean und Michelle in Tränen aus. Chases Vater kann sich kaum auf den Beinen halten. Sein Schmerz lässt ihn beinahe zusammensacken.

Ein Abgeordneter dankt ihnen für ihr Erscheinen und spricht einen Mann an, der in der ersten Reihe sitzt: "Ihre Firma hat ihr Leben zerstört." Der angesprochene Mann aus Singapur heißt Shou Zi Chew. Er ist der Chef der weltweit bekannten App TikTok, die inzwischen von 150 Millionen Amerikanern und von rund 20 Millionen Deutschen genutzt wird. Stundenlang muss er am Mittwoch den bohrenden Fragen der amerikanischen Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Aber was hat Shou Zi Chew mit dem Selbstmord eines amerikanischen Teenagers aus New York zu tun?

Suizid nach App-Konsum

Bevor Chase sich das Leben nahm, hatte er sich über mehrere Tage hinweg stundenlang verstörende Videos auf der Social-Media-Plattform TikTok angesehen, die zum chinesischen Mutterkonzern ByteDance gehört. Chases Eltern verklagen TikTok: Das Unternehmen sei verantwortlich für den Tod des Sohnes, so ihre Begründung. Denn Chase habe nicht selbst nach gewalttätigen Inhalten gesucht, heißt es in der Klageschrift. Im Gegenteil, TikTok habe Chase gezielt mit deprimierenden und suizidbezogenen Videoclips geradezu überflutet.

Das Schicksal von Chase Nasca und der fragliche Jugendschutz ist nur einer der Vorwürfe, denen TikTok-Chef Shou Zi Chew in Washington ausgesetzt ist. Die weiteren lauten auf nicht weniger als: Spionage, Zensur, Desinformation und Datenklau im Auftrag von China. Was technisch gesehen ebenso ein Problem bei amerikanischen Datenunternehmen ist, wollen immer weniger US-Politiker bei einem Unternehmen akzeptieren, dessen sensible Daten prinzipiell an die kommunistische Regierung Chinas gelangen können.

Als die Abgeordnete Cathy McMorris Rodgers den TikTok-Chef anspricht, bringt sie das Grundgefühl vieler Amerikaner auf den Punkt: "Wir glauben nicht, dass TikTok jemals amerikanische Werte übernehmen wird, Werte für Freiheit, Menschenrechte und Innovation. TikTok hat immer wieder einen Weg gewählt für mehr Kontrolle, mehr Überwachung und mehr Manipulation. Ihre Plattform sollte verboten werden." Shou Zi Chew beteuert, sein Unternehmen tue alles für den Schutz seiner Nutzer, insbesondere für Jugendliche. Kurz vor seinem Termin im Kongress hatte er über TikTok angekündigt, man wolle ab sofort die Daten von Amerikanern mithilfe einer speziellen Firewall vor Zugriffen aus dem Ausland schützen.

Schon Trump wollte die App verbieten

Ausgerechnet die Social-Media-App TikTok wird derzeit zum Symbol einer amerikanischen Zeitenwende, die sich gegen einen wachsenden Einfluss von China richtet. Dabei teilen dort millionenfach vor allem Jugendliche und junge Erwachsene vor allem selbst kreierte Videoclips mit Musik, Tanzen, Rezepten, Parodien und viel unterhaltsamem Blödsinn. TikTok ist längst zu einem wichtigen Bestandteil der digitalen Popkultur geworden.

Aber die Gefahren für die nationale Sicherheit schätzen immer mehr amerikanische Politiker inzwischen als so hoch ein, dass die App nicht mehr nur auf Diensthandys verboten werden soll. Vor Kurzem wurde bekannt, dass die Biden-Regierung TikTok sogar zum Verkauf seiner chinesischen Anteile zwingen will, wenn das Unternehmen einem Komplettverbot zuvorkommen wolle. Die chinesische Regierung antworte prompt. China würde sich "entschieden dagegen wehren", sollten die USA ByteDance zwingen, seine Beteiligung an TikTok zu verkaufen, verkündete ein Sprecher des Handelsministeriums in Peking.

Solche Verbotsdiskussionen sind in dem Land, in dem Unternehmergeist und freier Markt wichtiger sind als Regulierungen, äußerst unüblich. Weil es sich aber um den Rivalen China handelt, können sich selbst die zerstrittenen Demokraten und Republikaner auf eine radikale Haltung einigen.

Der Streit um chinesische Einflussnahme auf die USA über die TikTok-App geht zurück bis in die Regierungszeit des früheren US-Präsidenten Donald Trump. Damals, im Juni 2020, wurde die Plattform zwar von vielen noch gefeiert, weil Tausende Nutzer sich organisiert hatten, um Tickets für eine Trump-Veranstaltung zu reservieren. Als Trump dann auftrat, kam aber niemand. Dass der Präsident der Vereinigten Staaten vor den Augen der Weltöffentlichkeit von Teenagern einer App aus China vorgeführt wurde, schmeckte aber bereits damals vielen nicht. Trump selbst wollte einen Verkauf von TikTok erzwingen. Doch dazu kam es nie.

Die Front im Technologie-Krieg

Die Sicherheitssorgen in den USA kommen nicht aus dem Nichts. Ende 2022 wurde etwa bekannt, dass US-Journalisten über TikTok ausgespäht worden sind. Die Unternehmensmutter ByteDance gab schließlich zu, eine interne Untersuchung habe ergeben, dass eigene Mitarbeiter die Daten von amerikanischen TikTok-Nutzern verwendet hätten. Die Mitarbeiter seien dann entlassen worden. Der Spionageskandal verschwand wieder aus dem öffentlichen Interesse. Der Argwohn in Amerika aber ist geblieben.

Während die politische Diskussion um TikTok in den USA auf immer neue Höhepunkte zusteuert, hinkt die Debatte in Deutschland ähnlich wie schon bei dem chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei hinterher. Ausgerechnet in der Woche der TikTok-Anhörung ist auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Washington. Ein wesentlicher Grund für ihre Reise ist auch die Abstimmung mit der US-Regierung über Spionagegefahren durch China.

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Eine Grundlage für ein generelles Verbot der App sehe sie nicht, sagte Faeser. Man müsse aber verstärkt darüber aufklären, dass TikTok eine Firma sei, bei der "die Daten natürlich abfließen können". Auch in Robert Habecks Wirtschaftsministerium soll ein TikTok-Verbot nach Informationen von t-online bislang kein Thema sein.

Je größer der Widerstand gegen TikTok in den USA wird, desto stärker lobbyiert der Konzern in Washington. Nach t-online-Informationen hat das Unternehmen gerade erst einen Mietvertrag für ein großes Büro im Stadtteil Noma, in Laufnähe des US-Kongresses, unterschrieben.

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TikTok-Chef Shou Zi Chew ließ vor seiner Anhörung eine große Gruppe von bekannten TikTok-Nutzern vor dem Kapitol aufmarschieren. Viele sehen ihr auf die Plattform gestütztes Influencer-Geschäftsmodell bedroht. TikTok baut auf den Druck von 150 Millionen US-Nutzern, welche die App für die harmlose Unterhaltung lieben.

Ob TikTok vor Gericht am Ende für den Suizid des 16-jährigen Chase Nasca mitverantwortlich gemacht wird oder nicht – der amerikanische Tech-Unternehmer Jason Calacanis machte schon 2022 Anti-China-Stimmung, indem er die Regierung verantwortlich für den Drogen- und Medienkonsum der Amerikaner machte. Auf Twitter schrieb er: "Fentanyl und TikTok: Wie die Chinesen still und heimlich Amerikaner töten". Eines ist schon jetzt klar: Über TikTok verläuft längst die Front im Technologie-Krieg zwischen den USA und China.

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen vor Ort
  • forbes.com: TikTok Spied On Forbes Journalists (englisch)
  • TikTok-Anhörung im US-Kongress (englisch)
  • Twitter-Acount von Jason Calacanis
  • Besuch von Innenministerin Nancy Faeser
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