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Die Kehrtwende des Christian Lindner – neue Finanzpolitik


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Neue Strategie
Die Kehrtwende des Christian Lindner


Aktualisiert am 11.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Finanzminister Christian Lindner: "Ab dem nächsten Jahr beginnt eine andere Phase der Finanzpolitik."Vergrößern des Bildes
Finanzminister Christian Lindner: "Ab dem nächsten Jahr beginnt eine andere Phase der Finanzpolitik." (Quelle: Michele Tantussi/reuters)

Christian Lindner sucht nach finanzpolitischen Antworten auf den Ukraine-Krieg und die Inflation – und vollzieht dabei eine Kehrtwende: Sein Ministerium soll, endlich, liberale Hoffnungen erfüllen.

Die Erwartungen an Christian Lindner waren groß. Vor allem die deutschen Firmenchefs dürften sich bei Amtsantritt auf einen liberalen Hüter der Finanz- und Steuerpolitik gefreut haben – einen, der den Markt wieder mehr selbst regeln lässt.

Allein: Ganz so marktfreundlich und wirtschaftsliberal waren seine ersten Monate als Minister am Ende nicht. Angesichts des Ukraine-Kriegs und der steigenden Inflation musste Lindner eine Reihe von staatlichen Subventionspaketen auf den Weg bringen, was nicht so recht zum liberalen Mantra von weniger Staatsausgaben passt. Mehr noch: Mit dem Tankrabatt erfand er sogar selbst ein Instrument, das fast alle Ökonomen als wenig zielführend und teuer bezeichneten.

Damit soll nun Schluss sein. Lindner, so scheint es, will eine Kehrtwende vollziehen. Eine, die seinen SPD- und Grünen-Kollegen der Ampelkoalition zeigen soll, dass er nun seine Rolle als liberaler Finanzminister gefunden hat. So jedenfalls liest sich seine neue finanzpolitische Strategie, die er am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat.

Preise steigen und steigen

Das 22-seitige Papier mit dem Titel "Finanzpolitik in der Zeitenwende – Wachstum stärken und inflationäre Impulse vermeiden" lag t-online vorab vor. Lindner warnt darin insbesondere vor der steigenden Inflation.

"Stark erhöhte Energie- und Rohstoffpreise führen zu auch auf längere Zeit erhöhten Inflationsraten und belasten private Haushalte sowie insbesondere energieintensive Unternehmen", heißt es. Hinzu kämen eine "erhöhte ökonomische Unsicherheit und zusätzliche Störungen von Lieferketten".

Zudem gebe es das Risiko, dass sich die erhöhten Inflationserwartungen bei Unternehmen und Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen niederschlagen. Das könnte die hohe Inflation verstetigen – Stichwort: Lohn-Preis-Spirale, bei der sich Preise und Löhne immer weiter hochschaukeln.

Ampel beschließt umfassende Entlastungen

Eine von Lindners Ableitung daraus: Der Staat, also letztlich er selbst sowie seine Kabinettskollegen, sollte umfangreiche Transferprogramme vermeiden. Auch höhere Konsumausgaben der öffentlichen Hand seien kontraproduktiv, weil sie die Inflation sogar noch verstärken könnten. Die Politik könne "den entstandenen Wohlstandsverlust für die Gesellschaft insgesamt nicht ausgleichen".

Was nach einem typischen Politikersatz klingt, ist durchaus bemerkenswert, denn: Die Ampelregierung hat gerade erst ein zweites, umfassendes Entlastungspaket beschlossen. Darin enthalten sind etwa die Energiepreispauschale, der erwähnte Tankrabatt in leicht abgewandelter Form sowie das 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr.

Das milliardenschwere Vorhaben, das Experten wie der Ifo-Präsident Clemens Fuest scharf kritisieren, hat Lindner abgesegnet. Jetzt aber schlägt er "einen finanzpolitischen Impetus" vor, "der die Inflation nicht weiter anheizt und die Voraussetzungen für einen selbsttragenden Pfad für das Wirtschaftswachstum schafft".

Lindner will weniger Steuern für Unternehmen

Was Lindner will: eine angebotsorientierte Fiskalpolitik. Der Bund soll also nicht die Nachfrage und damit den Konsum der Deutschen anheizen, was wiederum die Preise treiben würde, sondern – platt gesagt – dafür sorgen, dass Firmen mehr Waren produzieren und verkaufen. Die Wirtschaft dürfe nicht abgewürgt und das Preisniveau nicht weiter hochgetrieben werden, so sein Tenor.

Dafür sei es wichtig, Investitionen für Firmen zu erleichtern, bürokratische Hürden abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland zu steigern. Die Steuerbelastung für Firmen sei im internationalen Vergleich zu hoch, Deutschland rangiere hier noch hinter Frankreich bei den Hochsteuerländern, heißt es in dem Papier.

"Niedrigere Produktionskosten für Unternehmen, etwa durch geringere Lohnzusatzkosten oder niedrigere Abgaben, können den Wirtschaftsstandort durch steigende Gewinnaussichten attraktiver für private Investitionen machen." Diese Sätze klingen eher nach einem liberalen Finanzminister, wie viele ihn erwartet hätten.

Ordoliberale Berater

Doch woher rührt der Sinneswandel? Darüber lässt sich nur spekulieren. Eine wichtige Rolle dürfte Lindners Chefökonom spielen, Wolf Heinrich Reuter, der die Grundsatzabteilung im Finanzministerium leitet.

Er war bis zuletzt Generalsekretär des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, arbeitete also für jenes Gremium, dessen Mitglieder gemeinhin als Wirtschaftsweise bezeichnet werden. Auch der ehemalige Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, gibt Lindner seit einigen Monaten persönlich Ratschläge.

Reuter und Feld gelten als ordoliberal: Sie befürworten einen starken Markt, der möglichst wenig durch Eingriffe des Staates gestört werden soll. Vielmehr soll der Staat dieser Denkschule zufolge den gesetzlichen Rahmen vorgeben, sich ansonsten aber heraushalten.

"Exit finden aus dem Krisenmodus"

Das Strategiepapier trägt ganz deutliche ordoliberale Züge. Allerdings ist es an vielen Stellen noch sehr unkonkret. Entscheidend ist deshalb, wie Lindner seine Ideen und Pläne in die Tat umsetzen wird.

Die Voraussetzungen für ihn sind nicht schlecht. Als Finanzminister sitzt er am längeren Hebel, kann Gelder freigeben oder eben nicht. Gleichzeitig jedoch ist die FDP die kleinste Regierungspartei, und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie Kanzler Olaf Scholz (SPD) haben ganz eigene Vorstellungen – die sich zum Teil deutlich von denen Lindners unterscheiden.

So wird allein der Umbau der Wirtschaft hin zu einer klimaneutralen Produktion viele Milliarden Euro kosten. Und geht es nach Habeck und den Grünen, soll der Staat einen großen Teil der Kosten durch Förderungen abdecken. Ähnliche finanzielle Herausforderungen lauern beim demografischen Wandel und der Digitalisierung.

Fakt ist deshalb: Ohne neue Staatsschulden wird es auch in den kommenden Jahren kaum gehen. Dennoch betonte Lindner auch auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Papiers, dass er die Schuldenbremse ab dem kommenden Jahr wieder einhalten wolle. "Man muss den Exit finden aus dem Krisenmodus", sagte er.

Lindner hat einen Plan

Zusätzlichen Wünschen der Koalitionspartner erteilte er im Voraus eine Absage: Für den Kampf gegen die Klimakrise gebe es den Klima- und Transformationsfonds, für äußere Sicherheit des Landes das Sondervermögen der Bundeswehr.

"Die darüber hinausgehenden Bedarfe müssen dann irgendwann auch aus dem laufenden jährlichen Haushalt bedient werden können", mahnte Lindner in Richtung Habeck und Scholz. Seine Botschaft ist deutlich: Am Ende entscheide ich, wofür wir Geld ausgeben – und wofür nicht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Strategiepapier von Christian Lindner
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