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Bestuhlung im Bundestag: Darum ist Merkels Stuhl größer als die anderen


Bestuhlung im Bundestag
Die Sessel der Macht

Von Mauritius Kloft

Aktualisiert am 26.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Angela Merkel auf "ihrem" Stuhl: Der Sessel der Kanzlerin hat eine etwas höhere Rückenlehne als die anderen Stühle.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel auf "ihrem" Stuhl: Der Sessel der Kanzlerin hat eine etwas höhere Rückenlehne als die anderen Stühle. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Am heutigen Dienstag kommen die Parlamentarier zum neu gewählten Bundestag zusammen. Viele dürften zum ersten Mal auf dem wohl bekanntesten Stuhl Deutschlands Platz nehmen: dem Figura-Sessel.

Die vergangenen 16 Jahre waren in Deutschland bestimmt von einer Frau: Angela Merkel. Wenn sich am heutigen Dienstag der Bundestag konstituiert, endet eine Ära. Doch nicht nur Merkel war eine Konstante in den vergangenen Jahren. Sondern auch ihr Stuhl.

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Der Sessel mit dem markant-blauen Bezug und den schwarzen Armlehnen war Merkel über Jahre ein treuer und bequemer Diener. Unzählige Sitzungstage, Hunderte Plenardebatten, Tausende Themen und Gesetze, die die Kanzlerin mit ihren Regierungen umsetzte. Merkel und ihr Stuhl blieben.

Bundestagsstühle stammen aus der Schweiz

Der Stuhl stammt – wie seine blauen Kollegen für die anderen Bundestagsabgeordneten – aus der deutschen Fabrik der Schweizer Firma Vitra. Der Mittelständler, rund 700 Mitarbeiter, seit der Gründung 1950 in Familienbesitz, sei "ein wunderbar grenzüberschreitendes Unternehmen", sagt Deutschland-Chef Roman Ehrhardt t-online.

Die Entscheidung für die heutigen Sessel der Macht fiel 1992. Damals – der Bundestag tagte noch in Bonn, Merkel diente als Frauenministerin unter Helmut Kohl – waren es der Altkanzler selbst sowie Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die das Vitra-Fabrikat als Bestuhlung für den Bonner "Neuen Bundestag" auswählten: Modell "Figura", königsblauer Bezug.

Figura gab es zu diesem Zeitpunkt schon etwas länger. Designer des Stuhls ist der Italiener Mario Bellini. 1984 kreierte er das Modell für die Vitra AG. Der Stuhl zeichne sich dadurch aus, dass er nicht wie für ein Büro gemacht wirke, erklärt Firmen-Manager Ehrhardt. Vielmehr solle er an zu Hause erinnern und sehe deshalb nicht aus "wie eine Maschine".

Als der Umzug des Bundestags nach Berlin anstand, war schnell klar: Auch dort sollen die auserwählten Stühle zum Einsatz kommen. Entgegen der Anregung von Stararchitekt Sir Norman Foster, der für das neue, alte Parlamentsgebäude die moderne Reichstagskuppel entworfen hatten, bekamen sie dabei erneut einen blauen statt eines grauen Bezuges.

Stühle im "Reichstags-Blau"

Legendär aus dieser Zeit ist der Satz des damaligen SPD-Politikers Peter Conradi: "Graue Männer mit grauen Haaren in grauen Anzügen auf grauen Sesseln vor grauen Tischen auf grauem Teppich und rundherum graue Wände – wen packt da nicht das Grauen?"

Deshalb also: das inzwischen altbekannte Blau, das je nach Lichteinfall ein wenig changiert, manchmal fast wie Violett anmutet. Nutzen darf diese Farbe tatsächlich nur das Parlament der Bundesrepublik Deutschland – Foster ließ sie sich patentieren, auf den griffigen Namen "Reichstags-Blue".

1.700 D-Mark kostete ein Bundestagsstuhl

Spätestens seit der ersten feierlichen Plenarsitzung unter der neuen Reichstagskuppel am 19. April 1999 stehen die blauen Vitra-Stühle unter verschärfter Beobachtung. Wohl kein Sessel ist öfter in der Tagesschau zu sehen, Figura womöglich der bekannteste Stuhl des Landes.

Profitiert Vitra davon finanziell? Nicht wirklich. Produziert und verkauft werden sie schon länger nicht mehr. Aber, so Deutschland-Chef Roman Erhardt: "Wir sind stolz, dass Angela Merkel auf unseren Stühlen sitzt."

Und das schon sehr lange. Nicht ein einziges Mal musste der Sessel selbst ausgewechselt werden – obwohl das trotz Produktionsstopps problemlos möglich wäre. Denn: Der Bundestag hat, bevor er nach Berlin umzog, eine Vielzahl an Stühlen gekauft – "auf Reserve", wie der Vitra-Manager erzählt.

Wie viele genau, wollte er nicht sagen. Auch die Bundestagsverwaltung konnte dazu auf t-online-Anfrage keine Angaben machen, verwies auf das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, das womöglich "Aufzeichnungen und Dokumente zur damaligen Vergabe" habe. Die Vorgängerbehörde zeichnete sich damals für die Sanierung des Reichstagsgebäudes verantwortlich.

Klar ist immerhin: Billig waren die Stühle nicht. Ein Sessel kostete in der Anschaffung knapp 1.700 D-Mark. Selbst wenn die Verwaltung mehrere Tausend Stühle eingelagert haben sollte – für die Vitra AG mit einem Jahresumsatz von etwa 350 Millionen Euro wäre das kaum mehr als ein netter, kleiner Auftrag. "Reich wurden wir davon nicht", sagt Vitra-Manager Erhardt. "Und vom Bundestag allein leben können wir schon gar nicht."

Das gilt umso mehr, als die Reserve so groß ist, dass der Bundestag keine Stühle nachbestellen muss. "Alle zwei, drei Jahre schicken wir Service-Mitarbeiter nach Berlin, die schauen, ob bei den Stühlen alles in Ordnung ist", erklärt Erhardt. "Aber mehr als eine wackelige Armlehne gibt es meist nicht zu reparieren. Die Stühle sind sehr robust." In den vergangenen 22 Jahren mussten die Bezüge lediglich einmal ausgetauscht werden. Kostenpunkt damals, im Frühjahr 2016: rund 695.000 Euro.

Das größte Parlament der Welt wird noch größer

Als Geschäftsmann kümmert es Ehrhardt daher auch wenig, dass nun abermals über eine Verkleinerung des Bundestags debattiert wird. Immerhin kommen am Dienstag mit 736 Abgeordneten noch einmal 27 mehr im Reichstagsgebäude zusammen, die alle auf den Vitra-Stühlen Platz finden müssen. Das größte demokratische Parlament der Welt, es wird noch größer.

Es sei "ein schönes Referenzobjekt, mit dem wir dann zeigen, was wir können", sagt Erhardt. Das verfängt auch bei den Bundestagsabgeordneten selbst: Viele bestellen auch die Ausstattung ihrer Büros im Berliner Regierungsviertel bei dem Unternehmen.

Firma mit breiter Produktpalette

Vitra beliefert aber längst nicht nur den Bundestag und seine Parlamentarier. Das Unternehmen stellt auch Stühle für Konferenzzentren her, für Flughäfen und Behörden. Auch in manchen Wohnzimmern dürften sich Produkte der Firma finden, etwa Sofas, Tische, Uhren und Kissen. "Dadurch haben wir eine breite Produktpalette", sagt Erhardt.

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Getestet werden die Möbel am Produktionsstandort in Weil am Rhein. Dort befindet sich ein ganzer "Vitra-Campus". 300.000 Besucher kämen zu Nicht-Corona-Zeiten dorthin, so der Manager, auch um selbst auszuprobieren, auf welchen Stühlen es sich am besten sitzt, auf welcher Couch es sich am bequemsten liegt.

Bequemlichkeit war vor 30 Jahren offenbar auch Altkanzler Helmut Kohl wichtig, so Ehrhardt. Das Gerücht, dass Kohl aufgrund seines Körperumfangs und seines Gewichts eine Sonderanfertigung für seinen Stuhl bekommen habe, wie eine Schweizer Zeitung vor einigen Jahren behauptete, kann Ehrhardt derweil nicht bestätigen.

"Das ist mir nicht bekannt", sagt er. "Ich weiß nicht, wie viel Kohl tatsächlich wog, unsere Stühle sollten es aber aushalten. Sie passen sich an nahezu jedes Gewicht an." Fakt ist aber: Kanzlerin- und Bundestagspräsidenten-Stuhl haben eine höhere Rückenlehne als die übrigen Sessel im Plenarsaal.

Die Insignien der Macht benötigen den Blick fürs Detail.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Roman Ehrhardt
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