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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Chef der Steuergewerkschaft Finanzämter winken ab Herbst womöglich mehr durch
Homeoffice, Kurzarbeit – die Corona-Krise hat das Arbeitsleben ordentlich umgekrempelt. Auch die Finanzämter sind betroffen – und könnten bei manchen Steuererklärungen bald ein Auge zudrücken.
Die Corona-Pandemie stellt Steuerzahler und Finanzämter vor neue Herausforderungen. Hunderttausende Kurzarbeiter müssen plötzlich eine Steuererklärung abgeben, die Pendlerpauschale fällt wegen Homeoffice knapper aus, gleichzeitig darf man die Arbeitsecke am Esstisch aber nicht absetzen.
Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, sieht die Politik in der Pflicht, die Steuerzahler zu entlasten. Im t-online.de-Interview fordert er eine Homeoffice-Pauschale von 600 Euro, mehr Kulanz für Kurzarbeiter und erläutert, warum die Finanzämter ab Herbst bei manchen Steuererklärungen womöglich nicht mehr ganz genau hinschauen.
t-online.de: Herr Eigenthaler, viele Steuerzahler müssen ihre Steuererklärung bis zum 31. Juli abgeben. Oder sind die Finanzämter in Corona-Zeiten kulanter, was verspätete Abgaben angeht?
Thomas Eigenthaler: Wer es versäumt, die Frist zu verlängern, bei dem schlägt das Gesetz zu. Corona ist kein Grund, die Dinge schleifen zu lassen. Viele hatten sogar fast mehr Zeit, sich zu kümmern. Da kann es kein großes Entgegenkommen geben. In Einzelfällen vielleicht, aber nicht flächendeckend.
Oberster Steuergewerkschafter
Thomas Eigenthaler, geboren 1958, ist seit 2011 Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG). Er vertritt die rund 110.000 Mitarbeiter in den mehr als 600 deutschen Finanzämtern. Eigenthaler ist außerdem Stellvertretender Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbund und Tarifunion.
Auch die Mitarbeiter der Finanzämter haben zum Teil im Homeoffice gearbeitet. Müssen die Steuerzahler in diesem Jahr deshalb länger auf ihren Bescheid warten?
Bei den einfachen Arbeitnehmer-Fällen stellen wir da keinen signifikanten Unterschied fest. Die Beschäftigten in den Finanzämtern waren ja nicht in Kurzarbeit. Allerdings können im Homeoffice nur die elektronischen Daten bearbeitet werden, also meist die einfachen Fälle.
Bei komplizierteren Fällen hingegen – wenn man zum Beispiel Bilanzen wälzen und Nebeneinkünfte prüfen muss – kann man nicht ausschließen, dass das länger dauert. Im Interesse der Finanzämter ist das aber nicht. Wir wollen keine Bugwelle an Steuererklärungen vor uns herschieben.
Heißt das, die Finanzämter drücken bald ein Auge zu?
Es ist doch so: Wir dürfen als einzige Behörde in Deutschland nicht jahrelang im Rückstand sein. Deshalb müssen wir uns genau überlegen, was wir prüfen – und was nicht. Es kann sein, dass wir im Herbst nicht mehr jede Kleinigkeit beanstanden, dass wir die Ampel nach den Ferien häufiger auf "grün" schalten.
Die Corona-Krise hat viele Arbeitnehmer ins Homeoffice gezwungen. Ein Arbeitszimmer, das vom Finanzamt anerkannt wird, besitzen aber die wenigsten. Das ist doch ziemlich ungerecht, oder?
Da haben Sie recht. Ein häusliches Arbeitszimmer anerkannt zu bekommen, ist – Stand heute – tatsächlich sehr schwierig. Dafür müssen Sie einen Raum haben, der nahezu ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt wird. So große Wohnverhältnisse haben viele gar nicht. Andererseits werden die Finanzämter nun aber genau hinschauen und die Kilometerpauschale um die Zeit des Homeoffice kürzen.
Sollte man die Regel deshalb lockern?
Ja! Ich bin für eine Homeoffice-Pauschale. Dann braucht niemand mit dem Zollstock nachzumessen. Das hessische Finanzministerium hat sich bereits dafür ausgesprochen, maximal 600 Euro pauschal von der Steuer abzuziehen. Das halte ich für eine sinnvolle Idee.
- Wegen Corona im Homeoffice: So setzen Sie die Kosten ab
Für Steuergesetze ist allerdings der Bund zuständig. Wie realistisch ist es, dass der Vorschlag durchgeht?
Ich kann nur hoffen, dass die Politik ein Einsehen hat. Denn wenn wir im Finanzamt jetzt anfangen, die Kilometerpauschale zu kürzen, im Gegenzug aber nichts anbieten, bringt das nur Ärger.
Im Einsatz für die Finanzämter
Die Deutsche Steuergewerkschaft (DSTG) ist eine parteipolitisch unabhängige Interessenvertretung für die Mitarbeiter der deutschen Finanzverwaltung. Sie ist Mitgliedsgewerkschaft der DBB Beamtenbund und Tarifunion. Sie setzt sich dafür ein, dass die Beschäftigten in den Finanzämtern gute Arbeitsbedingungen vorfinden, verfolgt aber auch steuerpolitische Ziele. Unter anderem tritt sie ein für einfachere Steuergesetze und den Kampf gegen Steuerhinterziehung.
Nicht nur Homeoffice ist in diesem Jahr für viele neu, auch Kurzarbeit betrifft Millionen Arbeitnehmer. Welche Folgen hat das für ihre Steuern?
Kurzarbeitergeld ist an sich erst mal steuerfrei, es unterliegt aber dem sogenannten Progressionsvorbehalt. Das heißt: Kurzarbeitergeld erhöht den Steuersatz für den Rest des zu versteuernden Einkommens. Man bekommt dann weniger Geld zurück, als wenn man nicht in Kurzarbeit gewesen wäre. Der Arbeitgeber darf zudem im Dezember keinen Lohnsteuerjahresausgleich machen, mit dem er dem Arbeitnehmer zu viel gezahlte Steuer erstattet. Wer Kurzarbeitergeld erhalten hat, wird also tendenziell mit einer Überzahlung ins Jahr 2021 geschickt und muss eine Steuererklärung abgeben.
- Kurzarbeit in der Corona-Krise: Was gilt jetzt für Arbeitnehmer
Die Finanzämter bekommen also viele neue Fälle?
Genau. Und für die Arbeitnehmer bedeutet das womöglich weitere Kosten, wenn sie sich von einem Lohnsteuerhilfeverein oder Steuerberater helfen lassen müssen. Im Finanzausschuss des Bundestages habe ich deshalb vorgeschlagen, die Regel für 2020 auszusetzen, um sich nicht den Unmut vieler Kurzarbeiter zuzuziehen. Allerdings stieß das nur bei der FDP auf offene Ohren, der Rest lehnt das ab.
Die Finanzämter würden sich auch Arbeit sparen, wenn mehr Steuererklärungen automatisch bearbeitet werden könnten. Wie weit sind Sie von Ihrem Ziel entfernt, die Hälfte bis 2023 vollautomatisiert zu prüfen?
Davon sind wir noch ein deutliches Stück weg. Etwa zehn bis 15 Prozent der Erklärungen werden aktuell bearbeitet, ohne dass ein Mitarbeiter eingreift. Das deutsche Steuerrecht ist in vielen Fällen zu kompliziert für eine Automatisierung.
Um das 50-Prozent-Ziel überhaupt zu erreichen, müsste der Gesetzgeber öfter Fünfe gerade sein lassen, was aber nicht meine Zustimmung findet. Besser wäre, er würde mehr mit Pauschalen arbeiten – so wie wir jetzt fürs Homeoffice vorschlagen.
- Gespräch mit Thomas Eigenthaler