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Netzausbau in Deutschland: Erst viel zu langsam, jetzt komplett falsch?


Mobilfunk-Ausbau in Deutschland
Erst viel zu langsam, jetzt komplett falsch?

Von Laura Stresing

Aktualisiert am 16.11.2019Lesedauer: 5 Min.
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Deutschland wird beim Netzausbau abgehängt. Die Bundesregierung will das ändern, doch die geplanten Maßnahmen werfen Fragen auf.Vergrößern des Bildes
Deutschland wird beim Netzausbau abgehängt. Die Bundesregierung will das ändern, doch die geplanten Maßnahmen werfen Fragen auf. (Quelle: imago-images-bilder)

Mit einer neuen Mobilfunkstrategie will die Bundesregierung den Netzausbau beschleunigen. Doch statt einer schnellen Lösung erwarten Experten viel Bürokratie und womöglich ein Debakel.

Das deutsche Mobilfunknetz ist schlecht – so schlecht, dass es sogar lebensbedrohlich werden kann. Das jedenfalls legen Berichte von einem tödlichen Unfall in Brandenburg nahe. Anfang November verunglückte ein Mann bei einem Überholmanöver auf der B96 in der Nähe von Fürstenberg. Zeugen versuchten, den Rettungsdienst zu rufen – vergeblich. Der Unfall hatte sich ausgerechnet in einem Funkloch ereignet.

Ein Extremfall – doch er passt ins Bild. "Ein internationaler Vergleich von Mobilfunkdiensten zeigt, dass die Mobilfunkversorgung in Deutschland den Ansprüchen einer hochentwickelten Wirtschaftsnation bislang nicht ausreichend gerecht wird", konstatiert die Bundesregierung in einem kürzlich veröffentlichten Eckpunktepapier, in dem sie ihre neue Mobilfunkstrategie umreißt. Die letzten Funklöcher sollen beseitigt werden – mit Geld und Infrastruktur vom Staat. Am Wochenende trifft sich das Kabinett zur Digitalklausur in Meseberg, um die Pläne aus dem Verkehrsministerium abzusegnen.

Netzbetreiber klagen über schwierige Standortsuche

Demnach will die Bundesregierung unter anderem den Bau von Sendemasten beschleunigen. "Im Durchschnitt vergehen in Deutschland zwei bis drei Jahre, bis ein Funkmast aufgestellt wird. Das ist viel zu lange. Es sollte maximal ein halbes Jahr dauern", sagt Torsten Gerpott vom Lehrstuhl für Telekommunikationswirtschaft der Universität Duisburg-Essen.

Das sehen auch die Netzbetreiber so. Sie klagen schon lange über Schwierigkeiten bei der Standortsuche und langwierige Genehmigungsverfahren. Künftig soll ihnen der Staat dabei unter die Arme greifen – indem er seine eigenen Grundstücke und öffentlichen Gebäude zur Verfügung stellt. Wälder und Naturschutzgebiete kämen dafür ebenso in Frage wie Schulen und Kindergärten.

Die Bundesregierung ahnt offenbar bereits, dass die neue Strategie nicht überall auf Begeisterung stoßen wird und plant eine "Kommunikationsoffensive" ein – insbesondere in Bezug auf den neuen Mobilfunkstandard 5G. Denn obwohl es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass die hochfrequente Mobilfunkstrahlung der Gesundheit schadet, ist die Verunsicherung groß.

Deutschlands schlechtes Netz ist eine Wachstumsbremse

Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für t-online.de fürchten gut 35 Prozent der Deutschen, dass die Gesundheitsrisiken durch den 5G-Ausbau zunehmen. Mehr als 30 Prozent sind sich unsicher, ein Drittel der Befragten hält die Mobilfunkstrahlung für ungefährlich.

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Den diffusen Ängsten mancher Bürger stehen die immer deutlicheren Warnungen aus der Wirtschaft gegenüber. Erst kürzlich hat das Weltwirtschaftsforum (WEF) Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit herabgestuft. In dem internationalen Ranking belegt die Bundesrepublik jetzt nur noch Platz sieben statt Platz drei. Ein Hauptgrund für den Abstieg: die schlechte digitale Infrastruktur.

Bei der LTE-Abdeckung rangiert Deutschland laut der unabhängigen Analysefirma Opensignal auf Platz 70 von 88 – noch hinter Ländern wie Albanien und Kasachstan. Der Mobilfunkanalyst Francesco Rizzato führt das auf eine Mischung aus Markt- und Politikversagen zurück. "Netzbetreiber in anderen Ländern haben den 4G-Ausbau aggressiver voran getrieben, um den Nutzern höhere Geschwindigkeiten zu ermöglichen", sagt er.

Den deutschen Firmen fehlte dazu offenbar der Anreiz – oder der nötige Konkurrenzdruck. Hier hätte die Politik gegensteuern können, meint Rizzato. "Die Regierungen in manch anderen Ländern waren erfolgreicher darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die mobile Innovation fördern."

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Eine andere interessante Erklärung für Deutschlands rückständiges Mobilfunknetz liefert das Tarifportal Verivox: Im Gegensatz zu den Ländern des Baltikums beispielsweise – also Estland, Lettland und Litauen – konnte man sich in Deutschland lange Zeit auf ein "gut funktionierendes Festnetz" verlassen. "In vielen anderen Ländern ist diese Dichte nie erreicht worden und man hat sich schnell auf die mobile Abdeckung konzentriert", schreibt Verivox in einer Stellungnahme für t-online.de. Mit anderen Worten: Während anderswo Masten gebaut wurden, hielt man Mobilfunk in Deutschland für weitgehend verzichtbar.

Die Bundesregierung drückt aufs Tempo

Diese Zeiten sind vorbei. "Es muss Schluss sein mit den Funklöchern", verkündete Kanzleramtsminister Helge Braun im Interview mit t-online.de. Zumindest nach außen hin erhöht die Politik den Druck auf die Netzbetreiber, stellt Forderungen und verspricht dafür Förderung.

Auch der auf dem letzten Mobilfunkgipfel geschlossene Deal zur LTE-Abdeckung steht noch aus: Demnach sollen bis Ende 2021 durch neu zu errichtende Mobilfunkstandorte 99 Prozent der Haushalte in jedem Bundesland eine LTE-Versorgung erhalten. Laut Medienberichten wird mindestens ein Anbieter dieses Ziel voraussichtlich verfehlen.

Dabei wurden die Anforderungen mit der Vergabe der 5G-Frequenzen sogar noch einmal verschärft. Das LTE-Netz soll nun auch in der Fläche ausgebaut werden, vor allem entlang der Bahnstrecken und Autobahnen. Noch ist unklar, was passiert, wenn die Versorgungsauflagen nicht erfüllt werden. Die Netzagentur könnte Strafen verhängen. Doch dann würde das Geld erst recht beim Netzausbau fehlen.

So will Andreas Scheuer "weiße Flecken" beseitigen

Das passt nicht zum aktuellen Plan. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will den Kampf gegen Funklöcher und "weiße Flecken" auf der LTE-Karte lieber staatlich bezuschussen. Geld ist genug da: Nach der Versteigerung der 5G-Frequenzen liegen mehr als sechs Milliarden Euro im Staatsfonds Digitale Infrastruktur.

Damit will die Bundesregierung bis zu 5.000 Mobilfunkstandorte erschließen, die bislang unterversorgt sind – und es voraussichtlich bis 2024 auch bleiben werden, trotz aller Versorgungszusagen der Unternehmen. Die staatlichen Förderprogramme sollen sich an die Netzbetreiber, aber auch an die Kommunen richten, die damit Funkmasten auf eigene Faust errichten könnten.

Zusätzlich schlägt Scheuer die Gründung einer staatlichen Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) vor. Die soll überall dort aktiv werden, wo kein privates Mobilfunkunternehmen freiwillig hingeht und alle Fördermaßnahmen versagt haben. Mit wie vielen solcher "Härtefälle" die Bundesregierung rechnet, sagt sie nicht.

Branchenkenner widersprechen

Das stört auch den Marktforscher Torsten Gerpott. "Nirgendwo wird begründet, warum man so eine Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft überhaupt braucht.", kritisiert er den Kurswechsel und wirft der Bundesregierung Planlosigkeit vor. "Seit mindestens fünf Jahren diskutieren wir über weiße Flecken und erst jetzt kommt man viel zu spät mit so einem Vorschlag um die Ecke."

Auch in der Branche ist der Vorschlag aus dem Verkehrsministerium extrem unbeliebt. "Die Gründung einer staatlichen Infrastrukturgesellschaft dürfte mit einem hohen Zeitaufwand verbunden und außerdem sehr kostspielig sein", sagt der Telekommunikationsexperte Eugen Ensinger von Verivox.

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Verbände fürchten zudem, dass sich Staat und Unternehmen ins Gehege kommen und fordern klare Regeln. "Wenn überhaupt, sollten sich staatliche Eingriffe auf wirklich kritische Standorte beschränken, wo die Netzbetreiber mit eigenen marktwirtschaftlichen Mitteln nicht weiterkämen", fasst Ensinger die Einwände zusammen. Hinzu kommt: Nach Einschätzung von Experten könnten sich die staatlichen Mobilfunkmasten als Fehlinvestition erweisen, wenn sich die Provider weigern, die neu geschaffenen Sendenetze auch zu nutzen.

Wie geht es weiter?

Sollte sich die Bundesregierung trotz aller Einwände auf die Eckpunkte zur Mobilfunkstrategie festlegen, würde sie damit einen neuen Weg einschlagen – weg von einem rein privatwirtschaftlichen Netzausbau hin zu einem Mischsystem. Für Gerpott ergibt dieser Kurswechsel wenig Sinn. "Die Bundesregierung war viel zu lange untätig und verbreitet jetzt operative Hektik ohne strategisch überzeugendes Konzept", sagt er.

Dabei mangelt es nicht an alternativen Lösungsvorschlägen. Während die staatliche Infrastrukturgesellschaft erst noch geschaffen werden muss, hätten Maßnahmen wie negative Frequenzauktionen längst umgesetzt werden können, ärgert sich der Wirtschaftswissenschaftler.

Wenn das Kabinett am Sonntag oder Montag die Eckpunkte beschließt, wird wohl niemand mit schnellen Ergebnissen rechnen. Zunächst bleiben ohnehin viele Fragen offen. Auf einem zweiten Mobilfunkgipfel will die Politik die Maßnahmen mit den Netzbetreibern sowie den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden abstimmen. Man wird sehen, was am Ende der Verhandlungen noch von den umstrittenen Plänen des Verkehrsministers übrigleibt.

Hinweis: Das Portal t-online.de ist ein unabhängiges Nachrichtenportal und wird von der Ströer Digital Publishing GmbH betrieben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • ARD: "Funkloch in Brandenburg: Kein Notruf möglich"
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