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Donald Trump — Experte: "Er ist ein Politverbrecher wie Putin oder Erdogan"


Ende der Amtszeit
"Trump ist ein Politverbrecher wie Putin oder Erdoğan"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 15.01.2021Lesedauer: 8 Min.
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Donald Trump: In die Geschichte wird er als der schlechteste US-Präsident aller Zeiten eingehen, sagt Stephan Bierling.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: In die Geschichte wird er als der schlechteste US-Präsident aller Zeiten eingehen, sagt Stephan Bierling. (Quelle: Archivbild/Leah Millis/Reuters-bilder)

Provokation ist Donald Trumps beliebteste Methode. Zum Ende seiner Amtszeit stürmten seine Anhänger noch das Kapitol. US-Politikexperte Stephan Bierling erklärt, wie ein Präsident Trump überhaupt möglich wurde.

t-online: Professor Bierling, die Tage von Donald Trump im Weißen Haus sind erst einmal gezählt. Wie bewerten Sie seine Amtszeit, erst recht nachdem Trumps Anhänger das Kapitol gestürmt haben?

Stephan Bierling: Donald Trump ist ein Demokratiefeind und Politverbrecher wie Putin oder Erdoğan – das ist seit dem 6. Januar absolut klar. Nach dem von ihm angefachten Sturm auf das Kapitol gehört ihm der Prozess gemacht, um eine institutionelle Selbstreinigung in den USA in Gang zu setzen.

Sie spielen auf das angestrengte neue Amtsenthebungsverfahren gegen Trump an? Am 20. Januar wird er so oder so nicht mehr das Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten sein.

Trump könnte sogar binnen einer halben Stunde Ex-Präsident sein, wenn die Mehrheit des Kabinetts unter Führung des Vizepräsidenten ihn für amtsunfähig erklärt. Das ermöglicht der 25. Zusatz zur Verfassung. Dagegen könnte Trump zwar Widerspruch einlegen, aber sein Amt hätte er erst mal verloren.

Allerdings käme es dabei auf Vizepräsident Mike Pence und das Kabinett Trumps an. Insbesondere Pence galt viele Jahre als Trumps treuer Paladin.

Einige Republikaner haben auf einmal ihr Rückgrat wiederentdeckt, das sie fünf Jahre lang verlegt hatten. Dazu gehört auch Mike Pence, der den Sturm auf das Kapitol verurteilt und Joe Biden ordnungsgemäß als 46. Präsidenten der USA bestätigt hat. Trotzdem trauen sie sich nicht, Trump für amtsunfähig zu erklären. Ein anderes Mittel zur Absetzung Trumps ist das erneute Impeachment, wie es nun in die Wege geleitet wird.

Womit Trump es als erster US-Präsident fertiggebracht hätte, dass gleich zwei Mal ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn angestrengt worden wäre.

In der Tat. Trump gehört ohnehin bereits in die sehr kurze Liste von nur drei Präsidenten in der 230-jährigen Geschichte der Vereinigten Staaten, die mit einem Impeachment angeklagt wurden.

Stephan Bierling, geboren 1962, lehrt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Er war Gastprofessor in den USA, Israel, Australien und Südafrika. 2013 wurde er von der Zeitschrift UNICUM zum "Professor des Jahres" gewählt. Regelmäßig analysiert Bierling für große Medienhäuser politische Entwicklungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Kurz vor der US-Präsidentschaftswahl im vergangenen November erschien sein Spiegel-Bestseller "America First. Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz".

So sehr Trump von seinen Gegnern verachtet wird, so beliebt ist er bei seinen Anhängern. Woher stammt die Faszination, die von ihm ausgeht? In Ihrem neuen Buch "America First. Donald Trump im Weißen Haus" behandeln Sie das Thema ausführlich.

Ja, es gibt eine morbide Faszination mit Trump. Über keinen anderen Präsidenten wurden während dessen Amtszeit derart viele Bücher verfasst. Bei der "Lichtgestalt" Barack Obama waren es rund 500, wie viele, schätzen Sie, sind es im Falle von Donald Trump?

Wesentlich mehr.

Richtig. 1.200 Bücher wurden bislang über Trump verfasst. Das liegt daran, dass er so ungewöhnlich ist: Als erster Präsident hatte er zuvor kein militärisches oder politisches Amt inne, er ist der erste Milliardär und Fernsehstar im Weißen Haus. Und er hat den Regel- und Tabubruch zu seinem Markenzeichen gemacht – und das wollen seine Anhänger von ihm.

Vor allem ist Trump aber eine Art Schauspieler, der viele Jahre Erfahrung im Reality-Fernsehen gesammelt hat.

Schauspieler ist er nicht wirklich, für ihn gibt es nämlich keinen Unterschied zwischen Rolle und Realität. Doch der Noch-Präsident ist auf zwei Gebieten äußerst talentiert, in der Selbstvermarktung ist Trump sogar ein Genie. Überall hat er seinen Namen drauf plakatiert, vom Trump Tower in New York bis hin zu seinen Casinos, die regelmäßig bankrottgegangen sind. Wirklich erfolgreich wurde seine Selbstdarstellung aber erst mit der TV-Show "The Apprentice" ("Der Lehrling"). Trump passt perfekt ins Privatfernsehen, da sind Tiefgang und Wissen eher hinderlich. Stattdessen zählen Improvisationsgabe und eine schnelle Reaktionsfähigkeit.

Und was ist Trumps zweite große Begabung?

Auch die hängt stark mit seiner Lehrzeit beim Fernsehen zusammen: Trump hat einen geradezu animalischen Instinkt für die öffentliche Stimmung. Genau den braucht man auch, wenn man im Privatfernsehen – und in der Politik – Karriere machen will.

Ich ahne, worauf es hinausläuft: Dieser mit allen Wassern gewaschene Trump traf auf ein politisches System, das ohnehin äußerst polarisiert war.

Ja, das ermöglichte seinen Aufstieg, zumal die Republikaner ihre Wähler seit Jahrzehnten verhetzt hatten. Zugleich war Washington auf den Tsunami überhaupt nicht vorbereitet. Er begann dann auch 2016 gleich mit seiner Demontage der Verfassung, indem er ankündigte, das Wahlergebnis nur zu akzeptieren, wenn er gewinnt – eine irrwitzige Aussage in einer Demokratie.

Tatsächlich hofften viele Beobachter, dass sich Trump im Weißen Haus mäßigen würde.

So funktioniert sein Regierungsstil aber nicht. Bei Trump jagt eine Wahnsinnstat die nächste. In gewissem Sinne ist es wie im Reality-TV: Jede neue Folge einer Serie muss überraschender und radikaler sein als die vorhergegangene, um den Erregungszustand der Zuschauer weiter hoch zu halten. Sonst flacht das Interesse ab.

Nur dass diese Show nun im Weißen Haus als Zentrale der immer noch mächtigsten Nation der Welt stattfand.

Genau.

Woraus resultiert aber diese extreme Polarisierung der US-Gesellschaft, die Trump nutzte?

Wenn wir weit zurückblicken, liegen ihre Grundlagen in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Damals kam es zu einer starken Liberalisierung: Schwarze erhielten volle Bürgerrechte, Frauen emanzipierten sich, die Abtreibung wurde legalisiert, die Religion weniger wichtig. Dies führte zu einer konservativen Gegenrevolution von Menschen, die ihre gesellschaftliche Stellung und ihr Wertesystem bedroht sahen. Außerdem befinden sich alle westlichen Demokratien seit rund 30 Jahren in einem Prozess massiven Wandels, der in der Form noch nie in der Weltgeschichte stattgefunden hat.

Bitte erklären Sie das näher.

Dieser Wandel betrifft alle Lebensbereiche: die Technologie mit Computern und Smartphones, die Kommunikation mit Internet und sozialen Medien, den Arbeitsplatz mit der neuen Billigkonkurrenz Chinas und mit der immer größeren Bedeutung guter Ausbildung, aber auch die Gesellschaft als Ganzes. Gerade die enorme Zuwanderung seit den Neunzigerjahren hat die Zusammensetzung der Vereinigten Staaten nachhaltig verändert. 1970 waren 86 Prozent der Amerikaner weiß, heute sind es noch 60 Prozent.

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Auch dies erzeugte eine Reaktion, die Trump für sich nutzte.

Oh ja. Trump hat weiße Männer und Frauen in der Idee angestachelt, sie seien bedroht und Opfer dieses Wandels.

Und das in einer US-Gesellschaft, die immer mehr in sogenannte Stämme zerfällt.

Tatsächlich kehrt eine Art Stammesdenken zurück: Hier die Profiteure des rapiden Wandels, dort die von ihm Überforderten. Trump hat sich zum Sprachrohr der zweiten Gruppe gemacht. Die Gefolgschaft zu ihrem Guru geht bei vielen so weit, dass sie bereit sind, demokratische Werte über Bord zu werfen. Das ist brandgefährlich: Die Demokratie lebt davon, dass die Loyalität der Bürger nicht Clan A oder Sippe B gehört, sondern dem Verfassungssystem. Trump ist daher der Rückfall in finstere Vorzeit.

Womit wir beim Stichwort Stämme wieder beim Sturm aufs Kapitol angelangt wären.

Das ist der Höhepunkt und die letzte Konsequenz Trump'scher Aufstachelung: Kleine extremistische Gruppen erklären sich so zum wahren Kern des Volkes und der Nation – und besetzen das Kapitol mit Gewalt.

Wobei wir Europäer uns keineswegs gegenüber den Vorgängen in den USA als erhaben betrachten sollten.

Ähnliche Phänomene beobachten wir auch bei uns. Der Brexit – ein paar Monate vor Trumps Wahl – wurde von ähnlichen sozialen Kräften getragen und mit ähnlichen Lügen vorbereitet. In Europa haben wir in Ungarn mit Victor Orbán jemanden an der Regierungsspitze, der sich ähnlicher Taktiken bedient. Trump ist also keineswegs eine Absonderlichkeit, sondern ein Symptom der Krankheit, die wir in allen entwickelten Demokratien des Westens wahrnehmen.

Trump hat allerdings erstaunlich wenig für seine Anhänger erreicht.

Materiell stimmt das, aber er hat ihnen ein Gefühl des Respekts gegeben. Von ihren tatsächlichen Sorgen weiß er auch wenig. Trump ist in den 1970er-Jahren ins Berufsleben eingestiegen, ausgestattet mit vielen Millionen Dollar von seinem Vater. Schon als Dreijähriger bekam er 200.000 Dollar im Jahr, als Achtjähriger war er Millionär. Als Immobilien- und Casino-Tycoon war er ein ziemlicher Versager. Wenn er das Geld seines Vaters damals einfach in einen Aktienindex angelegt hätte, wäre er heute ein wesentlich wohlhabenderer Mann.

Tatsächlich verkauft Trump doch weniger ernsthafte Politik als Traumschlösser einer besseren Zukunft an seine Fans.

Man könnte Trumps "Geschäftsmodell" als Erinnerungsoptimismus bezeichnen. Seine Wähler sind vor allem ältere, schlechter ausgebildete weiße Männer und Frauen, die sich die Zustände der Fünfziger- und Sechzigerjahre wieder herbeiwünschen. Oder besser gesagt, was sie sich darunter vorstellen: Amerikas Macht war unangefochten in der Welt damals und ein weißer Industriearbeiter konnte mit seinem Lohn die ganze Familie ernähren.

Mit seinen Traumschlössern hatte Trump bei der Wahl im letzten Jahr noch eine beeindruckende Zahl an Wählern hinter sich versammelt. Er hat seine Stimmenzahl von 2016 kräftig steigern können.

Trump hat noch einmal gezeigt, was für eine Naturgewalt er ist. Mehr als 74 Millionen Stimmen hat er bekommen, das ist das zweitbeste Präsidentschaftswahlergebnis aller Zeiten. Nur hat Joe Biden gut 81 Millionen Stimmen geholt und damit fast fünf Prozentpunkte mehr.

Womit das Kapitel des Präsidenten Trump – vorerst – beendet ist. Was wird er aber danach tun? Doch sicher nicht nur Golf spielen?

Nein, das sicher nicht. Trump hat bereits eine riesige Schatzkiste gefüllt. Er hat Spenden von seinen Anhängern eingesammelt, um juristisch gegen den angeblichen Wahlbetrug vorgehen zu können – aber das Geld dann gebunkert. Jetzt sitzt Trump auf 250 Millionen Dollar. Damit kann er Großauftritte und einen Mitarbeiterstab finanzieren und einen eigenen Medienkanal starten, wenn er will.

Was will er damit anfangen?

Trump will die dominierende Kraft in der Republikanischen Partei bleiben. Er spielt offenbar mit dem Gedanken, in vier Jahren noch einmal anzutreten.

War der Sturm aufs Kapitol, etwas überspitzt gesagt, bereits ein Warnschuss für 2024?

Ja, aber der ging nach hinten los. Mit seiner Aufstachelung des gewaltbereiten Mobs zum Sturm auf das Parlament hat sich Trump verkalkuliert. Nun gibt es endlich Republikaner, die von ihm abrücken.

Ziehen wir noch einmal Bilanz: Wodurch zeichnet sich die Amtszeit Donald Trumps aus, der als einer der schlechtesten Präsidenten der USA in die Geschichte eingehen wird?

Als der schlechteste aller 45 Amtsinhaber, da bin ich mir sicher. Trump ging es allein darum, sich selbst zu glorifizieren und für diesen Zweck seine Wählerschaft zu instrumentalisieren. Dafür hat der Präsident alle Prinzipien, Werte und Strategien geopfert, die Amerika einmal groß gemacht haben. Er hat Demokratie und Rechtsstaat beschädigt, das Land weiter gespalten und zum Gespött der Welt gemacht. Trump sah sich als der große Dealmaker. Tatsächlich hat er nur Chaos gesät. Denken Sie an die Treffen mit Nordkoreas Kim Jong Un: Der nordkoreanische Diktator hat Trump über den Tisch gezogen wie einen Amateur. Trump hat das Geschäft der Feinde Amerikas betrieben.

Wladimir Putin im Kreml hat sich bestimmt gefreut.

Die massive Wahlmanipulation 2016 zugunsten Trumps war Putins beste Investition überhaupt. Unter dem Anfänger Trump konnte Putin seinen Einfluss skrupellos ausbauen. Und noch mehr Chinas Xi Jinping.

Immerhin haben die Ex-Generäle John Kelly, James Mattis und Herbert McMaster versucht, das Weiße Haus und seinen prominentesten Bewohner zumindest etwas zu disziplinieren.

Weswegen sie auch schnell wieder gefeuert wurden. Die Generäle haben Trump nicht Trump sein lassen, das hat er ihnen nicht verziehen. Nach ihrem Abgang 2018 haben wir einen entfesselten Trump erlebt. Wirklich kompetente Leute wollten auch gar nicht in seine Regierung eintreten, von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Selbst einen Getreuen wie Mike Pence verspottete Trump hinter dessen Rücken als "religiösen Spinner".

Trump ist niemandem gegenüber loyal, seine Regierung war wie die Mafia. Oder nein, selbst die Mafia hat einen Ehrenkodex. Den kann man Trump nicht unterstellen. Trumps einziger Ehrenkodex besteht aus einem Wort: Trump.

Professor Bierling, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Stephan Bierling via Zoom
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