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Ampel-Streit um FDP-Papiere und Mindestlohn: Sie simulieren nur


Tagesanbruch
Einfach nervtötend


Aktualisiert am 16.05.2024Lesedauer: 6 Min.
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Habeck, Scholz und LindnerVergrößern des Bildes
Robert Habeck, Olaf Scholz, Christian Lindner: In der Zeitschleife gefangen. (Quelle: Michael Kappeler/dpa/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

kennen Sie noch Punxsutawney Phil? Das Murmeltier aus dem 90er-Jahre-Film "Groundhog Day", der im Deutschen den sprechenden Namen "Und täglich grüßt das Murmeltier" trägt. Der Wetteransager Phil Connors erlebt darin denselben Tag immer wieder und wird von Mal zu Mal verdrießlicher.

Im Deutschland des Jahres 2024 braucht es kein Murmeltier und auch keinen Miesepeter Phil Connors, um sich wie in einer Zeitschleife gefangen zu fühlen. Das bekommt die Ampelkoalition ganz gut allein hin. Und schafft mindestens so viel Verdruss.

Nehmen wir nur mal diese Woche. Sie begann damit, dass die FDP ein Papier geschrieben hatte, einen Fünf-Punkte-Plan. Sie plädierte darin für eine "generationengerechte Haushaltspolitik" und für eine "Haushaltswende", was für die FDP unter anderem das Einhalten der Schuldenbremse sowie weniger Sozialausgaben durch die Abschaffung der "Rente mit 63" und eine Reform des Bürgergelds bedeutet.

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Wenn Ihnen das alles irgendwie bekannt und wenig aufregend vorkommt, dann haben Sie vollkommen recht. Die Forderungen sind weder neu noch überraschend. Das meiste findet sich sogar in einem anderen Papier, das die FDP geschrieben hatte, vor drei Wochen erst: im Zwölf-Punkte-Papier.

Am Montag wurde FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai deshalb von einem Journalisten gefragt, wonach die FDP entscheide, ob es fünf, zwölf oder zehn Punkte würden. Werde das einfach variiert oder gewürfelt? Djir-Sarai antwortete, vermutlich komme demnächst noch ein Papier, auf dem neun Punkte draufstünden. "Aber Spaß beiseite." Es gebe nun mal die dringende Notwendigkeit zu handeln, wenn man im nächsten Jahr wieder Wirtschaftswachstum haben wolle.

Es ist ein ernster Papier-Spaß, soll das heißen. Das kleine Problem: Als Regierungspartei handelt man, indem man Gesetze beschließt. Und nicht, indem man Papiere schreibt, in denen wahlweise zwölf, fünf oder neun altbekannte Dinge stehen, die mit der Ampel niemals Realität werden. So wie das Ende der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren, die Olaf Scholz und seine SPD als Lebensversicherung in eigener Sache betrachten, weil eine sichere Rente eines ihrer Hauptwahlversprechen war. Diese Papiere sind die Simulation von Politik.

Mit dem Papiereschreiben haben es SPD und Grüne zwar nicht ganz so wie die FDP, das mit der Politiksimulation aber können auch sie gut. Einer ihrer Gassenhauer heißt Mindestlohn. Dass sie den lieber bei 14 und bald bei 15 Euro sähen, sagen Vertreter beider Parteien schon, seit die zuständige Mindestlohnkommission ihn auf 12,41 Euro erhöht hatte. Diese Woche tat es Scholz in einem Interview mit dem "Stern". Das ist zwar in der Sache ähnlich aufregend wie der FDP-Papier-Spaß, hat aber genauso zuverlässig Aufruhr in der Ampel hervorgerufen. War eben der Bundeskanzler, der es diesmal gesagt hat.

Die FDP will wenig überraschend keinen höheren Mindestlohn. Aber auch SPD und Grüne tun nichts dafür. Sie machen keine Anstalten, den Mindestlohn ein weiteres Mal politisch festzulegen wie beim Sprung auf 12 Euro. Die SPD hat sogar mehrfach versichert, das in Zukunft nicht mehr tun zu wollen. Genauso wenig aber können sie sich dazu durchringen, die Mindestlohnkommission so zu reformieren, dass bei ihren Beratungen höhere Steigerungen herauskommen. Auch hier: Politiksimulation.

Das Nervtötende ist wie bei jedem neuen Morgen in "Und täglich grüßt das Murmeltier": All das führt zu absolut nichts, es geht weder vor noch zurück. Der Papier-Spaß und die Mindestlohndiskussion bringen die Debatte keinen Zentimeter voran. Die Positionen der Parteien sind alle lange abgesteckt. Es gibt zwar viel Streit, das schon, aber eben viel Streit um nichts.

Nun ist die Simulation von Politik ein gebräuchliches Mittel. Wahlkämpfe sind voll davon, und eigentlich ist dagegen wenig einzuwenden. Parteien machen klar, was sie wollen und werben dafür. Unabhängig davon, wie realistisch das alles ist. In normalen Zeiten ist das kein Problem, auch für Regierungskoalitionen nicht, die alternativ natürlich auch einfach gut regieren könnten, um für sich zu werben.

Nur sind die Zeiten eben nicht normal, und das Ampelbündnis ist es ebenfalls nicht. Die Bundesregierung ist auch ohne diesen Streit für die Galerie hochgradig fragil. Der Wahlkampf vor der Europawahl am 9. Juni kommt ihr deshalb gar nicht gelegen. In den Wahlkampfstreit mischt sich ein Streit, der sehr ernst ist: der um den Haushalt 2025. Dort fehlen bekanntermaßen rund 25 Milliarden Euro. Wie viele genau es sind, dürfte heute mit der aktuellen Steuerschätzung klar werden.

Mit tollen Nachrichten rechnet angesichts der Wirtschaftslage niemand. Und damit auch nicht mit großer Entspannung. Die erste Eskalation im Haushaltsstreit gab es in der vergangenen Woche. Da verhinderte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, dass das Kabinett das Rentenpaket II beschließen konnte. Wir erinnern uns: Rente, ein Hauptwahlkampfversprechen der SPD.

Es war eine gute Wahl für ihn, denn Lindner wollte vor allem die SPD treffen, deren Ministerinnen und Minister die Sparvorgaben des Finanzministers besonders überzogen hatten. Die Geldforderungen seien "geradezu provokant" gewesen. So begründete Lindner nun ganz offen seine Blockade und versprach zugleich, dass das Rentenpaket noch im Mai beschlossen werde.

Auch Lindners Blockade führt damit: ins Nichts. Nicht vor, nicht zurück. Die Ministerinnen und Minister scheinen nicht einlenken zu wollen. Verteidigungsminister Boris Pistorius wurde diese Woche bei einem Koalitionsfrühstück mit Haushalts- und Verteidigungspolitikern regelrecht wütend. "Ich muss das hier alles nicht machen", soll er gesagt haben, um seiner Forderung nach zusätzlichen 6,5 Milliarden Euro Nachdruck zu verleihen.

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Parteifreund und Kanzler Scholz sich zuvor im Interview mit dem "Stern" hinter Lindners Sparvorgaben gestellt hatte. Wie er die Milliarden einsparen wolle? "Ich habe da meine Vorstellungen", behauptete Scholz. Ohne seine Vorstellungen zu verraten, versteht sich.

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Mancher in Berlin hofft, dass es nach der Europawahl am 9. Juni einfacher wird mit den Kompromissen im Haushaltsstreit. Sollte das stimmen, könnte es noch was werden mit dem Plan, den Haushalt Anfang Juli im Kabinett zu beschließen. Nur scheint das eher Wunsch als Wirklichkeit zu sein. Aus dem Wahlkampf kommt die Ampel nämlich nicht mehr raus. Im September gibt es Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, diverse Kommunalwahlen kommen hinzu. Überall drohen den Ampelparteien miese Ergebnisse, die Nervosität ist groß.

Vielleicht also sollte Olaf Scholz seine "Vorstellungen" zum Haushalt zumindest mal mit seinen Ministerinnen und Ministern teilen. Sonst drohen wir alle weiter in einer nervtötenden Zeitschleife sinnlosen Streits gefangen zu bleiben. Ob das alles irgendwann ein Happy End hat wie für Phil Connors und das Murmeltier im Film, ist dabei längst nicht ausgemacht. Berlin ist eben nicht Hollywood.


Der slowakische Premierminister Robert Fico ist angeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt worden. Der 59-jährige Politiker wurde per Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen. In der Nacht gab es ein erstes Update zu seiner Not-Op. Die Polizei teilte mit, der Angreifer sei festgenommen worden. Was über den mutmaßlichen Täter bekannt ist, berichten meine Kolleginnen und Kollegen hier.


Termine des Tages

Erst mal nach China: Russlands Präsident Wladimir Putin bricht zu seiner ersten Auslandsreise nach Übernahme seiner fünften Amtszeit auf. Ziel ist sein wichtigster Verbündeter: China und dessen Staatschef Xi Jinping. Putin dürfte sich weitere Rückendeckung im Krieg gegen die Ukraine sowie gute Geschäfte erhoffen.


Erst mal in die Kasse schauen: Der Arbeitskreis Steuerschätzung sagt voraus, wie hoch die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen in diesem und in den folgenden Jahren voraussichtlich ausfallen. Am Nachmittag wird sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zur wichtigsten innenpolitischen Frage dieser Wochen äußern: Was bedeutet das für den Haushalt 2025?


Was tun gegen die Gewalt? Nach Angriffen auf Wahlkampfhelfer diskutiert der Bundestag über den Umgang mit der zunehmenden Gewalt gegen Politiker, Ehrenamtliche und Einsatzkräfte.


Viel los im Schloss Bellevue: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt morgens zunächst die Bundespräsidentin der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Viola Amherd. Am Nachmittag kommt der Schriftsteller Salman Rushdie zur Gesprächsreihe "Begegnungen in Bellevue".


Historisches Bild

Lange Zeit erklommen nur Männer den Mount Everest. 1975 triumphierte eine Frau. Mehr lesen Sie hier.


Lesetipps

Nach zwei Gerichtsurteilen gegen sie geht die AfD zum Angriff über. Ihr Ziel: die dritte Gewalt. Ein perfides und gefährliches Spiel, kommentiert meine Kollegin Annika Leister.


Die Lage der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland ist heikel. Was hinter Wladimir Putins Offensive steckt, erklärt Militärexperte Gustav Gressel meinem Kollegen Patrick Diekmann.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen schönen Donnerstag. Am Freitag schreibt wieder Chefredakteur Florian Harms für Sie.

Ihr Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
BlueSky: @jbebermeier.bsky.social
X: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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