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Klimakrise | Sara Schurmann: Wir müssen die Plastikflut jetzt stoppen


Zerstörerischer Abfall
Das ist ein gigantisches Problem

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 17.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Toter Fisch neben Plastik an einem tropischen Strand (Archivbild): Mit dem Meer stirbt der Mensch.Vergrößern des Bildes
Toter Fisch neben Plastik an einem tropischen Strand (Archivbild): Mit dem Meer stirbt der Mensch. (Quelle: enviromantic/getty-images-bilder)

Helfen Trinkhalme aus Papier und an der Getränkepackung befestigte Plastikdeckel gegen die Plastikverschmutzung im Meer? Mülltrennung jedenfalls reicht nicht aus, um die Plastikflut auszutrocknen.

Wie soll denn bitte mein Plastikstrohhalm aus Deutschland im Meer landen? Dass dieses Szenario nicht unrealistisch ist, wurde mir 2018 klar und schockierte mich. Dabei sortiere ich doch schon immer akribisch Abfall! Aber ein Artikel in der "Zeit" berichtete 2018 über "Die Plastik-Lüge". Darin wurde einer engagierten Mülltrennerin wie mir erklärt, dass das Plastikmüll-Problem mit sauberem Sortieren leider nicht gelöst sei.

Selbst in Deutschland, einem der weltweiten Vorreiter beim Recycling, wird auch heute, sechs Jahre später, nur etwa ein Drittel des Plastikmülls wiederverwertet. Der Großteil wird verbrannt. Die giftige Schlacke und Asche wird in ehemaligen deutschen Salzbergwerken verklappt. Der Rest wird in Containern ins Ausland verschifft, etwa nach Asien, wo diese teilweise an irgendwelchen Stränden landen und von Menschen, die sie finden, auf der Suche nach Wertvollem aufgebrochen werden. Ist es nur Müll im Container, bleibt der am Strand liegen. Und so gelangt auch mein Plastikmüll weiterhin in die Ozeane.

Die EU hat bereits vorgearbeitet

Dabei hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan: 2021 verbot die EU Einwegprodukte wie Plastikstrohhalme, Wattestäbchen, Plastikteller oder auch Styropor-Becher. Seit 2022 sind in deutschen Supermärkten keine Plastiktüten mehr erlaubt. 2023 folgte in der EU ein Verbot von absichtlich zugesetzten Mikroplastikpartikeln, etwa in Kosmetikprodukten, aber auch bei Kunstrasen auf dem Sportplatz. Ab Juli tritt eine EU-Richtlinie in Kraft, die regelt, dass PET-Einwegflaschen und Getränkekartons einen festsitzenden Verschluss haben müssen. Und vor ein paar Wochen einigte sich das Europaparlament darauf, weitere Verpackungen zu verbieten: Ab 2030 sollen etwa Einzelverpackungen wie Zuckertütchen oder portionierte Milchpackungen wegfallen. Unverarbeitetes, frisches Obst und Gemüse darf dann nicht mehr in Einwegmaterialien verpackt werden.

2021 wurden außerdem Exporte von Plastikmüll aus der Europäischen Union stark eingeschränkt. In Entwicklungsländer darf seitdem kein unsortierter Plastikmüll mehr ausgeführt werden, sondern nur noch sauberer Kunststoffabfall zum Recyclen. Die exportierte Menge nimmt zwar seit Jahren ab – 2023 sind die Exporte nach Asien jedoch wieder um fast die Hälfte gestiegen.

Es ist also längst nicht alles gut. Aber wir befinden uns auf dem richtigen Weg – oder?

Mit dem Teelöffel gegen die überfließende Badewanne

Stellen wir uns mal vor, das Plastikproblem sei eine überfließende Badewanne. Dann wird schnell klar, dass es nicht reicht, mit einem Teelöffel das Wasser abzuschöpfen, wenn man das eigene Badezimmer nicht überfluten will. Um das Problem zu lösen, müssen wir den Hahn zudrehen. Der Leitsatz für das Plastik- und Müllproblem lautet daher: Reduce, Reuse, Recycle – reduzieren, wiederverwenden, wiederverwerten.

Die bisherigen Regelungen sind besser als nichts. Die einen sagen, die eigentliche Lösung – weniger Einwegplastik – werde so Schritt für Schritt umgesetzt. Andere kritisieren: Das Ziel sei so nicht zu erreichen, die Regelungen reichten bei Weitem nicht aus.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
In ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. 2022 wurde sie vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt. Hier geht es zum Autorinnen-Profil.

Tatsächlich sollen die Maßnahmen den Verbrauchenden möglichst wenig wehtun – vor allem aber den Unternehmen. Doch es gibt mit den bisherigen Regelungen diverse Probleme:

Viele der Einwegprodukte aus Plastik wurden durch solche aus Holz oder Pappe ersetzt. Ökologisch betrachtet ist das zwar eine Verbesserung, aber keine große. Die Lösung hieße eigentlich: weg von Einweg, hin zu Mehrweg.

Nicht nur im Supermarkt ist weiterhin fast alles in Plastik verpackt: Joghurt, Wasser, Waschmittel, Käse … Die bisherigen Plastikverbote fallen im Vergleich zur Verbreitung von Plastik homöopathisch aus. Und mir fällt kein Politiker, keine Politikerin ein, die öffentlich thematisieren würde, dass auch das sich zeitnah ändern muss.

Das macht die Maßnahmen unglaubwürdig und es Kritikern leicht, sie als sinn- und nutzlos abzutun.

Und weil das begrifflich oft etwas durcheinander gerät: Die Plastikproduktion ist auch, aber nicht primär, ein Klimaproblem. Die Plastikindustrie ist für etwa 4,5 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich und damit für einen gar nicht mal so kleinen Anteil. Der größte Faktor hier ist die Produktion von Kunststoffen; Recycling und Verbrennen machen einen geringen Anteil aus.

Plastik verseucht die Umwelt – und schlußendlich uns

Noch größer ist aber das Problem, dass Plastik unsere Umwelt verseucht. An Land und im Meer – vor allem mit Mikroplastik.

Mikroplastik sind kleinste Kunststoffteilchen mit einem Durchmesser von unter 5 Millimetern; oft sind sie so klein, dass man sie mit bloßem Auge gar nicht sehen kann. Mikroplastik findet sich mittlerweile überall. Studien haben es im Eis der Arktis und der Alpen nachgewiesen und im Magen von Lebewesen, die im Marianengraben wohnen, dem tiefsten Ort des Meeres. Es wurde in Regen, Grund- und abgefülltem Trinkwasser nachgewiesen, in Bier und Salz. Ebenso in der Luft, die wir atmen.

Kleine Kunststoffpartikel aus einem Peeling-Gel: Zahlreiche Kosmetikprodukte enthalten weiterhin Mikroplastik, dass sich auch in Kläranlagen nicht ganz aus dem Wasser filtern lässt.
Kleine Kunststoffpartikel aus einem Peeling-Gel: Zahlreiche Kosmetikprodukte enthalten weiterhin Mikroplastik, dass sich auch in Kläranlagen nicht ganz aus dem Wasser filtern lässt. (Quelle: Alexander Stein/ Imago/ Joker)

Mikroplastik – fast überall in unserer Umwelt

Mikroplastik ist kaum zu erkennen und findet sich dennoch fast überall. Mittlerweile ist es auch im menschlichen Körper nachgewiesen. Welche Auswirkungen die winzigen Teilchen haben, ist noch ungewiss. Mehr dazu lesen sie hier.

Auch im menschlichen Blut ist Mikroplastik zu finden, sogar in Muttermilch. Eine Studie im Auftrag der Umweltorganisation WWF geht davon aus, dass Menschen pro Woche durchschnittlich bis zu fünf Gramm Mikroplastik aufnehmen. Das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkarte.

Im Modell der "planetaren Grenzen", also dem, was der Planet an Verschmutzung und Ausbeutung aushält, wird Mikroplastik unter dem Schlagwort "Einbringung neuartiger Substanzen und Organismen" gemessen. Diese Grenze haben wir laut Forschenden mittlerweile deutlich überschritten, sodass sie die Funktionsweise von Ökosystemen beeinträchtigen.

Das Problem ist auch die Fleecejacke

Nur ein Teil des Mikroplastiks, das in die Umwelt gelangt, stammt von Plastikmüll, der sich in der Umwelt langsam zersetzt. Ein wesentlicher Teil entsteht, wenn wir etwa Sportkleidung, Fleece-Jacken und Polyester-Hosen waschen. Die Kunststofffasern reiben sich ab und werden mit den Jahren brüchig. Filter in der Waschmaschine können sie nicht auffangen, über den Abfluss gelangen sie direkt in unser Wasser.

Mikroplastik entsteht auch auf der Straße, durch den Abrieb der Reifen von Autos und Lkw. Und es wird noch immer vielen Körperpflegeprodukte zugefügt und gelangt so beim Duschen direkt ins Wasser. Denn verboten sind bisher nur feste "Mikroplastik-Partikel", nicht aber flüssige oder gelartige Polymere.

Als mir damals, 2018, klar wurde, wie akut das Plastikproblem ist, informierte ich mich wochenlang intensiv dazu und beschloss schließlich, möglichst plastik- und müllfrei zu leben. Ich wusste, dass ich damit nicht das Problem lösen würde. Aber ich dachte: Da mir bewusst ist, wie schädlich Plastikverschmutzung ist, muss ich da zumindest nicht mehr mitmachen.

Lösung plastikfrei leben? Es kostet Aufwand

Außerdem war ich überzeugt, wenn ich als relativ privilegierte Person nicht anfinge, mein Verhalten zu ändern, von wem konnte ich es dann verlangen? Ich wohnte im Zentrum einer deutschen Großstadt, mit relativ bequemem Zugang zu Unverpackt- und Bioläden und dem nötigen Einkommen, um dort auch einkaufen zu können.

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Den Aufwand, sich zu informieren und Alternativen zu suchen – das würde ich von meinen Freundinnen mit mehreren kleinen Kindern, studentischen Nebenjobs oder von meiner Familie auf dem Land in Brandenburg gar nicht verlangen. Sie hatten weniger Zeit, weniger Geld und wohnten zu weit weg von entsprechenden Läden.

Mir war klar, dass es gesellschaftliche, strukturelle Lösungen für diese Probleme braucht, aber ich vermutete, dafür müssten erst mal genug Menschen damit anfangen. Also tat ich es.

Ich habe ein paar Jahre fast plastikfrei gelebt. Seit ich sehr viel Zeit und Energie darin investiere, mich für strukturelle Veränderungen einzusetzen, bin ich da etwas weniger streng mit mir. Im Einkaufskorb landet auch mal wieder ein Joghurt im Plastikbecher. Auch weil wer sich hauptsächlich pflanzenbasiert ernährt, oft gar nicht die Auswahl hat, ein Produkt in Glas oder Plastik verpackt zu kaufen. Jetzt, nachdem ich mir für diesen Text noch mal all die Fakten angeschaut habe, werde ich künftig aber wohl doch wieder mehr darauf achten.

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