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Angriffe auf Politiker: Experte zu Attacken im Wahlkampf


Kommunalpolitiker als Gewaltopfer
"Das führt zu einer deutlichen Verrohung"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 07.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Ein Wahlkampfhelfer der SPD trägt ein Plakat mit Politiker Matthias Ecke: Ecke wurde Opfer eines brutalen Angriffs.Vergrößern des Bildes
Ein Wahlkampfhelfer der SPD trägt ein Plakat mit Politiker Matthias Ecke: Ecke wurde Opfer eines brutalen Angriffs. (Quelle: Matthias Rietschel/reuters)

Angriffe auf Wahlkämpfer mit Schwerverletzten wie in Dresden: Was ist aus dem Ziel geworden, vor allem Kommunalpolitiker besser zu schützen? Ein Fachmann gibt Auskunft.

Die Attacke auf den SPD-Politiker Matthias Ecke beim Plakatieren für die Europawahl in Dresden hat Gewalt gegen Politiker wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Wegen der zunehmenden Verrohung wurde bereits 2020 ein Gesetzespaket verabschiedet, das Menschen, die sich im politisch-demokratischen Gemeinwesen engagieren, besser schützen sollte. Die Entwicklung ist also nicht völlig überraschend, sagt André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Bei der Gesetzesänderung sollte es ausdrücklich auch um Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker gehen – also jene, die sich im Lokalen einsetzen, Anfeindungen aus ihrer Umgebung erleben und wenig im Blickpunkt stehen. Einige Verbesserungen hat das gebracht, sagt Berghegger.

Herr Berghegger, wie sehr trifft und überrascht Sie die Nachricht von den Übergriffen auf Wahlkämpfer am Wochenende?

André Berghegger: Die gewalttätigen Angriffe sind erschütternd und durch nichts zu entschuldigen. Wir müssen alles daran setzen, Tatverdächtige rasch zu fassen und die Taten dann auch konsequent zu ahnden. Leider ist die Entwicklung nicht vollkommen überraschend. Wir beobachten seit Jahren, dass Hass, Hetze, Beleidigungen und Bedrohungen auch und gerade gegen kommunalpolitisch Engagierte online und offline zunehmen. In einem Jahr mit insgesamt neun Kommunalwahlen in rund 6.000 Kommunen treffen uns diese Vorkommnisse sehr. Die Kraft des Arguments und sachlich-konstruktive Auseinandersetzungen werden durch diese inakzeptable Art des Umgangs verdrängt.

Wegen der von Ihnen beobachteten Zunahme wurde 2020 ein Paket gegen Hasskriminalität verabschiedet und das Strafrecht geändert. Hat davon auch die Kommunalpolitik profitiert?

Ausdrückliches Ziel war es, die Verfolgung von Hass und Hetze zum Schutz von Kommunalpolitikerinnen und -politikern zu verbessern. Der besondere Schutz vor Beleidigungen, Verleumdungen und übler Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens gilt jetzt auch für die kommunale Ebene. Damit können Vorfälle dieser Art im Einzelfall leichter strafrechtlich verfolgt werden. Zudem kann in ausgewählten Fällen von Amts wegen aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses ermittelt werden.

Aber?

Unabhängig davon haben es haupt- und vor allem ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker auf kommunaler Ebene in aller Regel schwerer als die auf Landes- und Bundesebene, sich gegen Hass und Anfeindungen aufzustellen. Diese verfügen organisatorisch und personell über ganz andere Voraussetzungen. Notwendig ist aber gerade für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die in direktem und unmittelbarem Kontakt mit den Menschen stehen, im konkreten Bedrohungsfall auf die gleichen Schutzmaßnahmen zurückgreifen zu können, die auch für Bundes- und Landespolitiker zur Verfügung stehen.

Dafür braucht es an vielen Stellen entsprechendes Bewusstsein.

Die Sensibilisierung der Polizei, Justiz, aber auch der Gesellschaft für die besondere Betroffenheit von Politikerinnen und -politikern auf kommunaler Ebene ist heute deutlich höher als noch vor einigen Jahren. Mittlerweile gibt es auch in den meisten Bundesländern spezialisierte Ansprech- und Meldestellen im Bereich der Hasskriminalität. Zum Teil wurden sie sogar eigens für Betroffene aus der Kommunalpolitik eingerichtet. Das Thema wird auch von der Bundespolitik bis hin zum Bundespräsidenten sehr ernst genommen. Mit zahlreichen Maßnahmen wird Sichtbarkeit, Wertschätzung und Rückendeckung gegenüber der kommunalen Ebene geschaffen.

Aber?

Dennoch bleiben deutliche Herausforderungen: Die Anzeigebereitschaft bleibt leider dann, wenn "nur" die eigene Person betroffen ist, sehr gering, es wird zu wenig angezeigt. Das Dunkelfeld der Betroffenen bleibt also groß. Trotz aller Maßnahmen fühlen sich zahlreiche Kommunalpolitikerinnen und -politiker weiterhin mit der Thematik alleingelassen. Es gibt nach wie vor Hürden und Hemmungen, mit Generalstaatsanwaltschaften oder Landeskriminalämtern in Kontakt zu treten. Sowohl die bestehenden als auch die erst kürzlich geschaffenen Strukturen in den Ländern sowie beim Bund brauchen Zeit, um in der Fläche bekannt zu werden und Vertrauen für ihre Arbeit zu gewinnen.

André Berghegger.
André Berghegger. (Quelle: KreativMedia Berlin / Marten Ron/imago-images-bilder)

Zur Person

André Berghegger übernahm zum 1. Januar 2024 von Gerd Landsberg das Amt des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und gab dafür sein Mandat als CDU-Bundestagsabgeordneter auf. Der promovierte Jurist wurde 1996 in seiner Heimat Ostercappeln im Landkreis Osnabrück in den Gemeinderat gewählt, war von 2006 an hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Melle und gehörte dem Präsidium des Niedersächsischen Städtetages an. 2013 schied er mit seiner Wahl in den Bundestag aus dem Rathaus aus.

Ende Januar hat Innenministerin Nancy Faeser auch den Start einer bundesweiten Ansprechstelle für bedrohte kommunale Amts- und Mandatsträger erklärt. Bringt das etwas?

Sie kann eine Chance zu sein, ohne selbst in die Prüfung einzusteigen, einen Überblick über die unterschiedlichen Hilfs- und Unterstützungsstrukturen in den Ländern zu erhalten.

Gibt es denn einen Überblick, wie oft Kommunalpolitikerinnen und -politiker Anzeige wegen Hatespeech erstatten und was daraus wird?

Es gibt Studien, Befragungen und ein seit 2021 erhobenes "Kommunales Monitoring zu Hass, Hetze und Gewalt gegen Amtsträgerinnen und -träger" des Bundeskriminalamtes und der Kommunalen Spitzenverbände. Da werden seit 2021 Zahlen und Fakten zu Hass, Hetze und Gewalt gegenüber Amtsträgerinnen und -trägern erhoben.

Und wie sehen die aus?

Die jüngsten Ergebnisse der halbjährlichen Befragung im Rahmen des Monitorings zeigen: 12 Prozent der Vorfälle wurden zur Anzeige gebracht. In den Fällen standen bei 60 Prozent der Fälle noch das Ergebnis aus.

Da laufen Verfahren also noch. Und wo es bereits Ergebnisse gibt?

In nur einem Prozent kam es zu einer Verurteilung, in 24 Prozent der Fälle wurde das Verfahren eingestellt, bei 15 Prozent der Fälle kam es zu keiner strafrechtlichen Verfolgung. Wir appellieren generell an die von derartigen Vorfällen Betroffenen, diese Dinge konsequent zur Anzeige zu bringen. Beleidigungen, Hass und Bedrohungen sind nicht akzeptabel und müssen nicht hingenommen werden. Hier müssen den Verursachern klare Grenzen aufgezeigt werden.

Einige Politiker gehen da sehr rigide vor, Marie-Agnes Strack-Zimmermann etwa lässt nach möglichen strafbaren Inhalten im Netz suchen und verfolgt das auch zivilrechtlich mit einer Anwaltskanzlei. Hilft das anderen Betroffenen?

Dass Politikerinnen und Politiker auf allen Ebenen mit Fällen von Hass und Hetze an die Öffentlichkeit gehen, hilft. Es verdeutlicht, welchen Umfang das im täglichen Leben und im digitalen Raum hat. Es stellen sich dieselben Herausforderungen für alle: Wie gehe ich mit meinem Fall um? Wie kann ich mich und meine Familie schützen? Handelt es sich um eine Straftat? Habe ich eine Chance auf Strafverfolgung und Ahndung durch die Justiz? Wie im Einzelfall damit umgegangen wird, entscheidet jeder für sich. Wichtig ist jedoch, dass wir Vertrauen in die Arbeit der Polizei und Justiz stärken. Private Beauftragung von Anwaltskanzleien kann jedenfalls nicht die Lösung für alle haupt- und vor allem ehrenamtlichen Kommunalpolitiker sein.

Hat sich denn mit dem Abflauen der Corona-Aufregung die Lage etwas entspannt?

Wir wissen durch Erhebungen und das Kommunale Monitoring mit dem BKA, dass die Zahlen in Krisen – wie der Corona-Pandemie – besonders hoch ausfallen. Die allgemeine Stimmung der Gesellschaft tritt auf kommunaler Ebene besonders deutlich hervor und schlägt vielerorts in Aggression, Anfeindungen und Gewalt um. Allerdings bewegen sich die Zahlen auch nach der Pandemie auf einem konstant hohen Niveau. Die Krisen setzen sich seitdem leider fort, was zu einer deutlichen Verrohung der Sprache und des Umgangs führt.

Und was außer besserer Strafverfolgung macht Ihnen Hoffnung?

Der Rückhalt und Respekt gegenüber ihren Kommunalpolitikerinnen und -politikern ist bei den allermeisten Bürgerinnen und Bürgern weiterhin sehr hoch. Darauf sollten wir aufsatteln. Außerdem muss es jetzt darum gehen, eine Kultur des Respekts zu etablieren. Alle Demokraten sind aufgerufen, sich aktiv für unseren Rechtsstaat und einen fairen, demokratischen Diskurs einzusetzen.

Verwendete Quellen
  • Schriftlich geführtes Interview
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